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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die russische Raiserfamilie in Palermo. (^3^5--

Professor Giovanni Schirü, wacher an der Universität in Palermo als Lehrer
der Medizin angestellt war. Mit diesem Manne war ich ein paarmal zu dessen
Verwandten auf dem Piano gereist, um die albanesischen Frauen und deren
schöne Nationaltracht zu zeichnen. In der That ist sie einer nähern Betrachtung
nicht unwert.

Bei ihren Festanzügen -- denn nur von solchen ist die Rede -- haben
die Frauen Rock und Mieder aus starkem Seidenstoff mit Blumen durchweht,
deren untere zwei bis drei Ränder mit Gold gestickt sind; die Ärmel lang und
anschließend, die Hintere Naht offen und mit seidnen Schleifen zugebunden,
sodaß der gestickte Ärmel des Hemdes zwischen den Schleifei, in Puffen heraus-
tritt. Der Rock wird mit einer goldnen Schnur hinten fest gebunden; ihre
Enden hängen mit Goldquasten weit herunter. Der wohl drei Hand breite,
reichgestickte Hemdkragen sällt in Falten herab. Der breite Gürtel besteht ans
silbernen, durch Charniere miteinander verbundnen Schnallen. Unter der Brust
befindet sich ein handgroßer Schild mit erhabner Silberarbeit, gewöhnlich einen
griechischen Heiligen, meistens den heiligen Georg mit dem Lindwurm, darstellend.
Der Kopfputz besteht ans Goldbrokat, mit roter Seide gefüttert. Er liegt gleich
einer halben Nußsthale über dem Hinterkopf und endet in einen langen Streifen,
welcher nach hinten wieder aufgenommen und mit seidnen Schleifen an die
Haarflechten befestigt wird. Von dem Kopfputze fällt eine doppelte Goldschnur
über den Nacken herab, um in zwei Quasten an der Kniekehle zu endigen.

Die reichen Männer haben leider seit langem ihr griechisches Kostüm mit
dem häßlichen schwarzen Frack vertauscht.

Mein Freund Schiro hatte übrigens seit zehn Jahren physikalische Unter¬
suchungen in Betreff der klimatischen Verhältnisse Palermos angestellt und eine
LuoMopÄöäikl NsclicA geschrieben. Da bis dahin über dergleichen Beobachtungen
noch nichts publizirt, das Werk also interessant war, so wandte er sich an den
kaiserlichen Leibarzt, den Staatsrat I)r. von Meute, Exzellenz, überreichte ihm
das Manuskript und bat zu prüfen, ob das Werk wohl würdig wäre, Ihrer
Majestät gewidmet zu werden. Alles dieses war bald nach Ankunft der russischen
Herrschaften geschehen, und ich war gern bereit gewesen, die beiden Gelehrten
miteinander bekannt zu machen.

Einige Wochen vor der Abreise der Kaiserin erblickte dieselbe beim Durch¬
sehen meines Skizzenbuches wieder die griechischen Frauen und klagte mir, daß
die Herren ihrer Umgebung sie noch immer nicht nach dem Piano dei Greal
hingeführt hätten, und jetzt, so kurz vor der Abreise, werde sie gewiß um diese
Freude kommen.

Ist es denn nicht möglich? Könnte ich nicht hinfahren?

Ich mußte davon abraten. Der Ort sei eine starke Tagereise entfernt,
kein passendes Gasthaus vorhanden. Auch seien selbst die reichern Familien auf
solchen Besuch nicht eingerichtet. Wenn Ihre Majestät aber hauptsächlich die


Die russische Raiserfamilie in Palermo. (^3^5—

Professor Giovanni Schirü, wacher an der Universität in Palermo als Lehrer
der Medizin angestellt war. Mit diesem Manne war ich ein paarmal zu dessen
Verwandten auf dem Piano gereist, um die albanesischen Frauen und deren
schöne Nationaltracht zu zeichnen. In der That ist sie einer nähern Betrachtung
nicht unwert.

Bei ihren Festanzügen — denn nur von solchen ist die Rede — haben
die Frauen Rock und Mieder aus starkem Seidenstoff mit Blumen durchweht,
deren untere zwei bis drei Ränder mit Gold gestickt sind; die Ärmel lang und
anschließend, die Hintere Naht offen und mit seidnen Schleifen zugebunden,
sodaß der gestickte Ärmel des Hemdes zwischen den Schleifei, in Puffen heraus-
tritt. Der Rock wird mit einer goldnen Schnur hinten fest gebunden; ihre
Enden hängen mit Goldquasten weit herunter. Der wohl drei Hand breite,
reichgestickte Hemdkragen sällt in Falten herab. Der breite Gürtel besteht ans
silbernen, durch Charniere miteinander verbundnen Schnallen. Unter der Brust
befindet sich ein handgroßer Schild mit erhabner Silberarbeit, gewöhnlich einen
griechischen Heiligen, meistens den heiligen Georg mit dem Lindwurm, darstellend.
Der Kopfputz besteht ans Goldbrokat, mit roter Seide gefüttert. Er liegt gleich
einer halben Nußsthale über dem Hinterkopf und endet in einen langen Streifen,
welcher nach hinten wieder aufgenommen und mit seidnen Schleifen an die
Haarflechten befestigt wird. Von dem Kopfputze fällt eine doppelte Goldschnur
über den Nacken herab, um in zwei Quasten an der Kniekehle zu endigen.

Die reichen Männer haben leider seit langem ihr griechisches Kostüm mit
dem häßlichen schwarzen Frack vertauscht.

Mein Freund Schiro hatte übrigens seit zehn Jahren physikalische Unter¬
suchungen in Betreff der klimatischen Verhältnisse Palermos angestellt und eine
LuoMopÄöäikl NsclicA geschrieben. Da bis dahin über dergleichen Beobachtungen
noch nichts publizirt, das Werk also interessant war, so wandte er sich an den
kaiserlichen Leibarzt, den Staatsrat I)r. von Meute, Exzellenz, überreichte ihm
das Manuskript und bat zu prüfen, ob das Werk wohl würdig wäre, Ihrer
Majestät gewidmet zu werden. Alles dieses war bald nach Ankunft der russischen
Herrschaften geschehen, und ich war gern bereit gewesen, die beiden Gelehrten
miteinander bekannt zu machen.

Einige Wochen vor der Abreise der Kaiserin erblickte dieselbe beim Durch¬
sehen meines Skizzenbuches wieder die griechischen Frauen und klagte mir, daß
die Herren ihrer Umgebung sie noch immer nicht nach dem Piano dei Greal
hingeführt hätten, und jetzt, so kurz vor der Abreise, werde sie gewiß um diese
Freude kommen.

Ist es denn nicht möglich? Könnte ich nicht hinfahren?

Ich mußte davon abraten. Der Ort sei eine starke Tagereise entfernt,
kein passendes Gasthaus vorhanden. Auch seien selbst die reichern Familien auf
solchen Besuch nicht eingerichtet. Wenn Ihre Majestät aber hauptsächlich die


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[0235] Die russische Raiserfamilie in Palermo. (^3^5— Professor Giovanni Schirü, wacher an der Universität in Palermo als Lehrer der Medizin angestellt war. Mit diesem Manne war ich ein paarmal zu dessen Verwandten auf dem Piano gereist, um die albanesischen Frauen und deren schöne Nationaltracht zu zeichnen. In der That ist sie einer nähern Betrachtung nicht unwert. Bei ihren Festanzügen — denn nur von solchen ist die Rede — haben die Frauen Rock und Mieder aus starkem Seidenstoff mit Blumen durchweht, deren untere zwei bis drei Ränder mit Gold gestickt sind; die Ärmel lang und anschließend, die Hintere Naht offen und mit seidnen Schleifen zugebunden, sodaß der gestickte Ärmel des Hemdes zwischen den Schleifei, in Puffen heraus- tritt. Der Rock wird mit einer goldnen Schnur hinten fest gebunden; ihre Enden hängen mit Goldquasten weit herunter. Der wohl drei Hand breite, reichgestickte Hemdkragen sällt in Falten herab. Der breite Gürtel besteht ans silbernen, durch Charniere miteinander verbundnen Schnallen. Unter der Brust befindet sich ein handgroßer Schild mit erhabner Silberarbeit, gewöhnlich einen griechischen Heiligen, meistens den heiligen Georg mit dem Lindwurm, darstellend. Der Kopfputz besteht ans Goldbrokat, mit roter Seide gefüttert. Er liegt gleich einer halben Nußsthale über dem Hinterkopf und endet in einen langen Streifen, welcher nach hinten wieder aufgenommen und mit seidnen Schleifen an die Haarflechten befestigt wird. Von dem Kopfputze fällt eine doppelte Goldschnur über den Nacken herab, um in zwei Quasten an der Kniekehle zu endigen. Die reichen Männer haben leider seit langem ihr griechisches Kostüm mit dem häßlichen schwarzen Frack vertauscht. Mein Freund Schiro hatte übrigens seit zehn Jahren physikalische Unter¬ suchungen in Betreff der klimatischen Verhältnisse Palermos angestellt und eine LuoMopÄöäikl NsclicA geschrieben. Da bis dahin über dergleichen Beobachtungen noch nichts publizirt, das Werk also interessant war, so wandte er sich an den kaiserlichen Leibarzt, den Staatsrat I)r. von Meute, Exzellenz, überreichte ihm das Manuskript und bat zu prüfen, ob das Werk wohl würdig wäre, Ihrer Majestät gewidmet zu werden. Alles dieses war bald nach Ankunft der russischen Herrschaften geschehen, und ich war gern bereit gewesen, die beiden Gelehrten miteinander bekannt zu machen. Einige Wochen vor der Abreise der Kaiserin erblickte dieselbe beim Durch¬ sehen meines Skizzenbuches wieder die griechischen Frauen und klagte mir, daß die Herren ihrer Umgebung sie noch immer nicht nach dem Piano dei Greal hingeführt hätten, und jetzt, so kurz vor der Abreise, werde sie gewiß um diese Freude kommen. Ist es denn nicht möglich? Könnte ich nicht hinfahren? Ich mußte davon abraten. Der Ort sei eine starke Tagereise entfernt, kein passendes Gasthaus vorhanden. Auch seien selbst die reichern Familien auf solchen Besuch nicht eingerichtet. Wenn Ihre Majestät aber hauptsächlich die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/235>, abgerufen am 22.07.2024.