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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Anstoß zu einem tiefen Zwiespalt zwischen denen gegeben, welche bis dahin durch
Religion und Freundschaft verknüpft waren, wenn er auch an und für sich noch
nicht genügt, der Handlung den schicksalsvollen Gang einer Tragödie zu geben.
Da kommt Reinhold in die Lage, die Geliebte vor der frechen Zudringlichkeit
eines französischen Offiziers schützen zu müssen. Dieses Ereignis findet statt in
Gegenwart des Mathias, der dem Angriffe auf seine Braut mit mehr als
gleichgiltiger Teilnahmlosigkeit zuschaut, und hat für Reinhold die Folge, daß
er sich in eiuen lebensgefährlichen Ehrenhandel mit dem Franzosen verwickelt
sieht. Wenn derselbe ausgefochten wird und zur Kenntnis der menouitischen
Gemeinde gelaugt, so kommt er mit dieser in einen Gegensatz, der in reichem
Maße alle die 7r"F^ in sich birgt, welche das Wesen der Tragödie bilden. So
die Schürzung des Problems im ersten Akte.

Will man streng sein, so kann man an diesem Pnnkte zu tadeln finden.
Reinhold will uns vom ersten Augenblicke an, man verzeihe den Ausdruck, nicht
als besonders satisfaktionsfähig vorkommen. Es ist nicht leicht zu sagen, woran
das liegt: mag es die einfache ländliche Umgebung sein, in der er lebt, oder
ist es der Widerspruch, in welchem von vornherein die Begriffe Meuouit und
Zweikampf miteinander stehen, jedenfalls erscheint diese Austragung des Ehren¬
handels befremdlich und will uns nicht recht in den Sinn. Auch daß der
Franzose nach der derben Zurechtweisung, die ihm zu teil geworden ist, sich mit
dieser Schlichtung des Streites zufrieden giebt, ist wenig verständlich. Eigentlich
erwartet man, wenn er sich im Ul'ermüde des Siegers an dein Mädchen ver¬
griffen hat, er werde auch nicht viele Umstände mit ihrem Verteidiger machen,
von dem er doch schwer beleidigt worden ist. Indes, alles in allem gerechnet,
darf man sich mit der vom Dichter beliebten Verwicklung zufrieden geben; ver¬
mag es der Held, in edler Aufwallung seines Blutes und von einem lebhaften
Gefühle seiner Mannesehre gehoben, sich über die enge Auffassung seiner nächsten
Umgebung hinwegzusetzen, so mag er vor dem starren Kanon einer strengen
Moralität nicht bestehen, aber menschlich kann er in unsern Augen nur gewinnen,
nud was den Franzosen betrifft, so kommt mau über eine Inkonsequenz, wenn
sie überhaupt eine solche ist, deshalb leichter hinweg, weil sie bei einer sonst
nicht wieder auftretenden Nebenperson stattfindet. Hat man aber diesen Anstoß
erst überwunden, so ist nicht mir die angemessene Grundlage für die Weiter¬
entwicklung der tragischen Handlung gefunden, sondern man muß auch gestehe",
daß diese mehr als in irgendeinem andern Wildeubruchscheu Stücke der Forderung
der Einheit entspricht. Folgendes ist in Kürze der Gang derselben.

Reinholds Absicht, dem französischen Offizier im Duell zu begegnen, wird
von Mathias an die Gemeinde verraten. Da ersterer nun, zwar nicht durch
deren Gebot, aber durch die Vorstellungen Waldcinars bewogen, in der Hoffnung,
Maria für sich zu gewinnen, auf sein Vorhaben verzichtet, so bleibt allerdings
sein Zusammenhang mit den Glaubensgenossen erhalten, aber jene Hoffnung


Anstoß zu einem tiefen Zwiespalt zwischen denen gegeben, welche bis dahin durch
Religion und Freundschaft verknüpft waren, wenn er auch an und für sich noch
nicht genügt, der Handlung den schicksalsvollen Gang einer Tragödie zu geben.
Da kommt Reinhold in die Lage, die Geliebte vor der frechen Zudringlichkeit
eines französischen Offiziers schützen zu müssen. Dieses Ereignis findet statt in
Gegenwart des Mathias, der dem Angriffe auf seine Braut mit mehr als
gleichgiltiger Teilnahmlosigkeit zuschaut, und hat für Reinhold die Folge, daß
er sich in eiuen lebensgefährlichen Ehrenhandel mit dem Franzosen verwickelt
sieht. Wenn derselbe ausgefochten wird und zur Kenntnis der menouitischen
Gemeinde gelaugt, so kommt er mit dieser in einen Gegensatz, der in reichem
Maße alle die 7r«F^ in sich birgt, welche das Wesen der Tragödie bilden. So
die Schürzung des Problems im ersten Akte.

Will man streng sein, so kann man an diesem Pnnkte zu tadeln finden.
Reinhold will uns vom ersten Augenblicke an, man verzeihe den Ausdruck, nicht
als besonders satisfaktionsfähig vorkommen. Es ist nicht leicht zu sagen, woran
das liegt: mag es die einfache ländliche Umgebung sein, in der er lebt, oder
ist es der Widerspruch, in welchem von vornherein die Begriffe Meuouit und
Zweikampf miteinander stehen, jedenfalls erscheint diese Austragung des Ehren¬
handels befremdlich und will uns nicht recht in den Sinn. Auch daß der
Franzose nach der derben Zurechtweisung, die ihm zu teil geworden ist, sich mit
dieser Schlichtung des Streites zufrieden giebt, ist wenig verständlich. Eigentlich
erwartet man, wenn er sich im Ul'ermüde des Siegers an dein Mädchen ver¬
griffen hat, er werde auch nicht viele Umstände mit ihrem Verteidiger machen,
von dem er doch schwer beleidigt worden ist. Indes, alles in allem gerechnet,
darf man sich mit der vom Dichter beliebten Verwicklung zufrieden geben; ver¬
mag es der Held, in edler Aufwallung seines Blutes und von einem lebhaften
Gefühle seiner Mannesehre gehoben, sich über die enge Auffassung seiner nächsten
Umgebung hinwegzusetzen, so mag er vor dem starren Kanon einer strengen
Moralität nicht bestehen, aber menschlich kann er in unsern Augen nur gewinnen,
nud was den Franzosen betrifft, so kommt mau über eine Inkonsequenz, wenn
sie überhaupt eine solche ist, deshalb leichter hinweg, weil sie bei einer sonst
nicht wieder auftretenden Nebenperson stattfindet. Hat man aber diesen Anstoß
erst überwunden, so ist nicht mir die angemessene Grundlage für die Weiter¬
entwicklung der tragischen Handlung gefunden, sondern man muß auch gestehe»,
daß diese mehr als in irgendeinem andern Wildeubruchscheu Stücke der Forderung
der Einheit entspricht. Folgendes ist in Kürze der Gang derselben.

Reinholds Absicht, dem französischen Offizier im Duell zu begegnen, wird
von Mathias an die Gemeinde verraten. Da ersterer nun, zwar nicht durch
deren Gebot, aber durch die Vorstellungen Waldcinars bewogen, in der Hoffnung,
Maria für sich zu gewinnen, auf sein Vorhaben verzichtet, so bleibt allerdings
sein Zusammenhang mit den Glaubensgenossen erhalten, aber jene Hoffnung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/23>, abgerufen am 24.07.2024.