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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die dramatische Kunst <L. von Wildenbruchs.

gebührte, so war doch ihre Renitenz, dem Landesfürsten Kriegsdienste zu leisten,
allerorten dieselbe. Ans Gründen, die auf der Hand liegen, konnten sie dies
ihr Privilegium überall durchsetzen, und selbst im Staate Friedrichs des Großen,
kriegerisch vom Wirbel bis zur Zehe, dachte niemand daran, die ruhigen Leute,
die ihre Steuern bezahlten und durch einträglichen Handel, Landwirtschaft und
Gewerbe oft viel Geld in Umlauf setzten, in ihrem gottergebenem Stillleben
zu stören. Aber die Ausnahme vom Gesetze war auch hier ein Unrecht, und
die Menoniteu konnten nur so lange daran denken, einen Staat im Staate zu
bilden, als dieser sich nicht gezwungen sah, die einschlagenden Fragen einer
ernstlichen prinzipiellen Erörterung zu unterziehen. Denn dem Gemeinwesen,
dessen Wohlthaten und vor allem dessen Sicherheit man genießt, bloß die er¬
forderlichen Abgaben zu zahlen und ihm auch sonst nicht hinderlich zu sein,
damit ist Gottes Gebot vom Gehorsam gegen die Obrigkeit nicht erschöpft.
Ausreichenden Dank kann man ihm nur in etwas andern: abstatten, in dem
Vinke, das mai? entströmen zu lassen bereit ist, nicht den Adern andrer, sondern
dem eignen Herzen. Der Satz: Ich will die Waffen nicht tragen, damit ich
nicht in die Lage komme, einen Mitmenschen zu töten, kann auch als Deckmantel
einer allzugroßen Vorsicht für die eigne Person gedeutet werden. Dagegen
gehört zu dem Köstlichsten auf dieser Welt der Mann, der, ohne Streit an
einem andern zu suchen, die Wehr in die Hand nimmt, um das Vaterland und
damit das Beste zu verteidigen, was er auf der Erde sein nennt.

Hierin liegt, was soeben nach dem Vorgange der Alten, die "Erfindung"
des Wildenbruchschen Stückes genannt worden ist. Man wird zugestehen, daß,
wenn ein junger Memorie mitten in der ihn umgebenden Regungslosigkeit über¬
lieferter Glaubenssätze durch Vorgänge von ergreifender Art zu andern Über¬
zeugungen gelangt und dadurch nicht bloß mit den eignen Glaubensgenossen,
sondern auch mit den Feinden seines ihm eben zum Bewußtsein gekommenen
Vaterlandes in Konflikt gerät, darin ein so tragisches Moment enthalten ist,
als man sich es nur wünschen mag.

Ist aber dies die allgemeinste Grundlage, aus der sich die Handlung ent¬
wickelt, so ist spezieller das Jahr 1809 und die Schilderhebung des Majors
von Schill der historische Hintergrund, aus welchem die Personen heraustreten
und von welchem sie eine jede die ihr zukommende Beleuchtung und Färbung
erhalten. Vor allem übrigen sei dies bemerkt, daß durch einen Erlaß des
Kommandanten von Danzig in eine nahewohnende menonitische Gemeinde eben
die Kunde vom Schillschen Aufstande gedrungen ist. Zu derselben Zeit kehrt
nach einjähriger Abwesenheit Reinhold, der Pflegesohn Waldemars, des Ältesten
dieser Gemeinde, ins Vaterhaus zurück, aber nicht, wie er gehofft hat, zu seinen.
Glücke. Der Freund, dem er vor seiner Abreise sein teuerstes Geheimnis an¬
vertraute, hat ihn schmählich hintergnngen, und Maria, die Tochter Waldemars,
die er liebt, ist die Braut des verräterischen Mathias. Damit ist der erste


Die dramatische Kunst <L. von Wildenbruchs.

gebührte, so war doch ihre Renitenz, dem Landesfürsten Kriegsdienste zu leisten,
allerorten dieselbe. Ans Gründen, die auf der Hand liegen, konnten sie dies
ihr Privilegium überall durchsetzen, und selbst im Staate Friedrichs des Großen,
kriegerisch vom Wirbel bis zur Zehe, dachte niemand daran, die ruhigen Leute,
die ihre Steuern bezahlten und durch einträglichen Handel, Landwirtschaft und
Gewerbe oft viel Geld in Umlauf setzten, in ihrem gottergebenem Stillleben
zu stören. Aber die Ausnahme vom Gesetze war auch hier ein Unrecht, und
die Menoniteu konnten nur so lange daran denken, einen Staat im Staate zu
bilden, als dieser sich nicht gezwungen sah, die einschlagenden Fragen einer
ernstlichen prinzipiellen Erörterung zu unterziehen. Denn dem Gemeinwesen,
dessen Wohlthaten und vor allem dessen Sicherheit man genießt, bloß die er¬
forderlichen Abgaben zu zahlen und ihm auch sonst nicht hinderlich zu sein,
damit ist Gottes Gebot vom Gehorsam gegen die Obrigkeit nicht erschöpft.
Ausreichenden Dank kann man ihm nur in etwas andern: abstatten, in dem
Vinke, das mai? entströmen zu lassen bereit ist, nicht den Adern andrer, sondern
dem eignen Herzen. Der Satz: Ich will die Waffen nicht tragen, damit ich
nicht in die Lage komme, einen Mitmenschen zu töten, kann auch als Deckmantel
einer allzugroßen Vorsicht für die eigne Person gedeutet werden. Dagegen
gehört zu dem Köstlichsten auf dieser Welt der Mann, der, ohne Streit an
einem andern zu suchen, die Wehr in die Hand nimmt, um das Vaterland und
damit das Beste zu verteidigen, was er auf der Erde sein nennt.

Hierin liegt, was soeben nach dem Vorgange der Alten, die „Erfindung"
des Wildenbruchschen Stückes genannt worden ist. Man wird zugestehen, daß,
wenn ein junger Memorie mitten in der ihn umgebenden Regungslosigkeit über¬
lieferter Glaubenssätze durch Vorgänge von ergreifender Art zu andern Über¬
zeugungen gelangt und dadurch nicht bloß mit den eignen Glaubensgenossen,
sondern auch mit den Feinden seines ihm eben zum Bewußtsein gekommenen
Vaterlandes in Konflikt gerät, darin ein so tragisches Moment enthalten ist,
als man sich es nur wünschen mag.

Ist aber dies die allgemeinste Grundlage, aus der sich die Handlung ent¬
wickelt, so ist spezieller das Jahr 1809 und die Schilderhebung des Majors
von Schill der historische Hintergrund, aus welchem die Personen heraustreten
und von welchem sie eine jede die ihr zukommende Beleuchtung und Färbung
erhalten. Vor allem übrigen sei dies bemerkt, daß durch einen Erlaß des
Kommandanten von Danzig in eine nahewohnende menonitische Gemeinde eben
die Kunde vom Schillschen Aufstande gedrungen ist. Zu derselben Zeit kehrt
nach einjähriger Abwesenheit Reinhold, der Pflegesohn Waldemars, des Ältesten
dieser Gemeinde, ins Vaterhaus zurück, aber nicht, wie er gehofft hat, zu seinen.
Glücke. Der Freund, dem er vor seiner Abreise sein teuerstes Geheimnis an¬
vertraute, hat ihn schmählich hintergnngen, und Maria, die Tochter Waldemars,
die er liebt, ist die Braut des verräterischen Mathias. Damit ist der erste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/22>, abgerufen am 30.06.2024.