Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Margarethe von Bülow.

strösen Genusses, Bei der immer umgefüllten Flasche Wein verbringt er seine
Nächte in der ersten besten Kneipe und sitzt so lange, als sie überhaupt offen ist.
Aber, und es spricht daraus nicht bloß die Liebe der Dichterin zu ihrem Helden,
sondern es ist auch objektiv begründet: ein so tief und gut angelegter Mensch,
wie Briccins, kann in der Versumpfung nicht untergehen, Er rafft sich ans, er
hat die Erkenntnis gewonnen, daß der wahre Christ in Gott nicht bloß den
strengen Sündcnrichter sieht, sondern vom Glauben getragen wird:


Ob bei uns ist der Sünden viel,
Bei Gott ist mehr der Gnade,

In der werkthätigen Liebe, nicht in der kalten Pflichterfüllung erkennt er jetzt
das wahre Gebot der Moral, und also umgewandelt finden wir nach mehreren
Jahren Vrieeius als Pfarrer von Lvtterslebcn wieder. Die Leute verehren ihn
über die Maßen, und mit Recht. Und die Dichterin ist schließlich auch noch
gütig genug, ihm seine erste Liebe zur Gattin zu geben, nachdem der sich allzu
aufopfernde Arzt bei der Rettung der Kranken ans dem brennenden Spital
verunglückt und sie als vorzeitige Witwe zurückgelassen hat.

Es ist nicht zu leugnen, daß diese Handlung und mehr noch die Episode
des (hier übergangenen) Theodor, Blcmdinens Geliebten, an die Gläubigkeit des
Lesers starke Anforderungen stellt. Aber wo in aller Poesie setzt der Erzähler
nicht einen gläubigen Leser voraus? Nicht auf diese nüchterne Wahrscheinlichkeit
kommt es in der Poesie an, sondern auf das Vermögen des Dichters, sich den
Glauben des Lesers zu erzwingen, ihn für die Dauer seiner Darstellung in
seinem Banne festzuhalten. Und dies ist der Bülow in ausnehmenden Maße
gelungen. Der Reichtum an kunstvoll um die poetische Idee geordneten Cha¬
rakteren, die sich gegenseitig beleuchte" und ergänzen, die dichterische Kraft der
Belebung all dieser verschiedenartigen Menschen, die durchaus vornehme Dar¬
stellung, die jedes überflüssige Wort spart und immer nur Handlungen bringt,
die kühne Konsequenz in der Durchführung des Titelhelden: das sind Tugenden,
welche das nachgelassene Werk der tragisch dahingegangenen Dichterin zu einem
der Meisterwerke der zeitgenössischen Kunst machen. Mit diesem "Jonas Briceins"
hat sie sich eingeschrieben für alle Zeiten.")


Moritz Reck er.

Die Red.


") Wir können unsern Lesern mitteilen, daß ein zweites größeres nachgelassenes Werk
der Dichterin vom Juli an im lnufendcu Jahrgange der Grenzboten erscheinen wird.
Margarethe von Bülow.

strösen Genusses, Bei der immer umgefüllten Flasche Wein verbringt er seine
Nächte in der ersten besten Kneipe und sitzt so lange, als sie überhaupt offen ist.
Aber, und es spricht daraus nicht bloß die Liebe der Dichterin zu ihrem Helden,
sondern es ist auch objektiv begründet: ein so tief und gut angelegter Mensch,
wie Briccins, kann in der Versumpfung nicht untergehen, Er rafft sich ans, er
hat die Erkenntnis gewonnen, daß der wahre Christ in Gott nicht bloß den
strengen Sündcnrichter sieht, sondern vom Glauben getragen wird:


Ob bei uns ist der Sünden viel,
Bei Gott ist mehr der Gnade,

In der werkthätigen Liebe, nicht in der kalten Pflichterfüllung erkennt er jetzt
das wahre Gebot der Moral, und also umgewandelt finden wir nach mehreren
Jahren Vrieeius als Pfarrer von Lvtterslebcn wieder. Die Leute verehren ihn
über die Maßen, und mit Recht. Und die Dichterin ist schließlich auch noch
gütig genug, ihm seine erste Liebe zur Gattin zu geben, nachdem der sich allzu
aufopfernde Arzt bei der Rettung der Kranken ans dem brennenden Spital
verunglückt und sie als vorzeitige Witwe zurückgelassen hat.

Es ist nicht zu leugnen, daß diese Handlung und mehr noch die Episode
des (hier übergangenen) Theodor, Blcmdinens Geliebten, an die Gläubigkeit des
Lesers starke Anforderungen stellt. Aber wo in aller Poesie setzt der Erzähler
nicht einen gläubigen Leser voraus? Nicht auf diese nüchterne Wahrscheinlichkeit
kommt es in der Poesie an, sondern auf das Vermögen des Dichters, sich den
Glauben des Lesers zu erzwingen, ihn für die Dauer seiner Darstellung in
seinem Banne festzuhalten. Und dies ist der Bülow in ausnehmenden Maße
gelungen. Der Reichtum an kunstvoll um die poetische Idee geordneten Cha¬
rakteren, die sich gegenseitig beleuchte» und ergänzen, die dichterische Kraft der
Belebung all dieser verschiedenartigen Menschen, die durchaus vornehme Dar¬
stellung, die jedes überflüssige Wort spart und immer nur Handlungen bringt,
die kühne Konsequenz in der Durchführung des Titelhelden: das sind Tugenden,
welche das nachgelassene Werk der tragisch dahingegangenen Dichterin zu einem
der Meisterwerke der zeitgenössischen Kunst machen. Mit diesem „Jonas Briceins"
hat sie sich eingeschrieben für alle Zeiten.")


Moritz Reck er.

Die Red.


") Wir können unsern Lesern mitteilen, daß ein zweites größeres nachgelassenes Werk
der Dichterin vom Juli an im lnufendcu Jahrgange der Grenzboten erscheinen wird.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0226" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198292"/>
          <fw type="header" place="top"> Margarethe von Bülow.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_590" prev="#ID_589"> strösen Genusses, Bei der immer umgefüllten Flasche Wein verbringt er seine<lb/>
Nächte in der ersten besten Kneipe und sitzt so lange, als sie überhaupt offen ist.<lb/>
Aber, und es spricht daraus nicht bloß die Liebe der Dichterin zu ihrem Helden,<lb/>
sondern es ist auch objektiv begründet: ein so tief und gut angelegter Mensch,<lb/>
wie Briccins, kann in der Versumpfung nicht untergehen, Er rafft sich ans, er<lb/>
hat die Erkenntnis gewonnen, daß der wahre Christ in Gott nicht bloß den<lb/>
strengen Sündcnrichter sieht, sondern vom Glauben getragen wird:</p><lb/>
          <quote> Ob bei uns ist der Sünden viel,<lb/>
Bei Gott ist mehr der Gnade,</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_591"> In der werkthätigen Liebe, nicht in der kalten Pflichterfüllung erkennt er jetzt<lb/>
das wahre Gebot der Moral, und also umgewandelt finden wir nach mehreren<lb/>
Jahren Vrieeius als Pfarrer von Lvtterslebcn wieder. Die Leute verehren ihn<lb/>
über die Maßen, und mit Recht. Und die Dichterin ist schließlich auch noch<lb/>
gütig genug, ihm seine erste Liebe zur Gattin zu geben, nachdem der sich allzu<lb/>
aufopfernde Arzt bei der Rettung der Kranken ans dem brennenden Spital<lb/>
verunglückt und sie als vorzeitige Witwe zurückgelassen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_592"> Es ist nicht zu leugnen, daß diese Handlung und mehr noch die Episode<lb/>
des (hier übergangenen) Theodor, Blcmdinens Geliebten, an die Gläubigkeit des<lb/>
Lesers starke Anforderungen stellt. Aber wo in aller Poesie setzt der Erzähler<lb/>
nicht einen gläubigen Leser voraus? Nicht auf diese nüchterne Wahrscheinlichkeit<lb/>
kommt es in der Poesie an, sondern auf das Vermögen des Dichters, sich den<lb/>
Glauben des Lesers zu erzwingen, ihn für die Dauer seiner Darstellung in<lb/>
seinem Banne festzuhalten. Und dies ist der Bülow in ausnehmenden Maße<lb/>
gelungen. Der Reichtum an kunstvoll um die poetische Idee geordneten Cha¬<lb/>
rakteren, die sich gegenseitig beleuchte» und ergänzen, die dichterische Kraft der<lb/>
Belebung all dieser verschiedenartigen Menschen, die durchaus vornehme Dar¬<lb/>
stellung, die jedes überflüssige Wort spart und immer nur Handlungen bringt,<lb/>
die kühne Konsequenz in der Durchführung des Titelhelden: das sind Tugenden,<lb/>
welche das nachgelassene Werk der tragisch dahingegangenen Dichterin zu einem<lb/>
der Meisterwerke der zeitgenössischen Kunst machen. Mit diesem &#x201E;Jonas Briceins"<lb/>
hat sie sich eingeschrieben für alle Zeiten.")</p><lb/>
          <note type="byline"> Moritz Reck er.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_8" place="foot"> ") Wir können unsern Lesern mitteilen, daß ein zweites größeres nachgelassenes Werk<lb/>
der Dichterin vom Juli an im lnufendcu Jahrgange der Grenzboten erscheinen wird.</note><lb/>
          <note type="byline"> Die Red.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0226] Margarethe von Bülow. strösen Genusses, Bei der immer umgefüllten Flasche Wein verbringt er seine Nächte in der ersten besten Kneipe und sitzt so lange, als sie überhaupt offen ist. Aber, und es spricht daraus nicht bloß die Liebe der Dichterin zu ihrem Helden, sondern es ist auch objektiv begründet: ein so tief und gut angelegter Mensch, wie Briccins, kann in der Versumpfung nicht untergehen, Er rafft sich ans, er hat die Erkenntnis gewonnen, daß der wahre Christ in Gott nicht bloß den strengen Sündcnrichter sieht, sondern vom Glauben getragen wird: Ob bei uns ist der Sünden viel, Bei Gott ist mehr der Gnade, In der werkthätigen Liebe, nicht in der kalten Pflichterfüllung erkennt er jetzt das wahre Gebot der Moral, und also umgewandelt finden wir nach mehreren Jahren Vrieeius als Pfarrer von Lvtterslebcn wieder. Die Leute verehren ihn über die Maßen, und mit Recht. Und die Dichterin ist schließlich auch noch gütig genug, ihm seine erste Liebe zur Gattin zu geben, nachdem der sich allzu aufopfernde Arzt bei der Rettung der Kranken ans dem brennenden Spital verunglückt und sie als vorzeitige Witwe zurückgelassen hat. Es ist nicht zu leugnen, daß diese Handlung und mehr noch die Episode des (hier übergangenen) Theodor, Blcmdinens Geliebten, an die Gläubigkeit des Lesers starke Anforderungen stellt. Aber wo in aller Poesie setzt der Erzähler nicht einen gläubigen Leser voraus? Nicht auf diese nüchterne Wahrscheinlichkeit kommt es in der Poesie an, sondern auf das Vermögen des Dichters, sich den Glauben des Lesers zu erzwingen, ihn für die Dauer seiner Darstellung in seinem Banne festzuhalten. Und dies ist der Bülow in ausnehmenden Maße gelungen. Der Reichtum an kunstvoll um die poetische Idee geordneten Cha¬ rakteren, die sich gegenseitig beleuchte» und ergänzen, die dichterische Kraft der Belebung all dieser verschiedenartigen Menschen, die durchaus vornehme Dar¬ stellung, die jedes überflüssige Wort spart und immer nur Handlungen bringt, die kühne Konsequenz in der Durchführung des Titelhelden: das sind Tugenden, welche das nachgelassene Werk der tragisch dahingegangenen Dichterin zu einem der Meisterwerke der zeitgenössischen Kunst machen. Mit diesem „Jonas Briceins" hat sie sich eingeschrieben für alle Zeiten.") Moritz Reck er. Die Red. ") Wir können unsern Lesern mitteilen, daß ein zweites größeres nachgelassenes Werk der Dichterin vom Juli an im lnufendcu Jahrgange der Grenzboten erscheinen wird.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/226
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/226>, abgerufen am 27.12.2024.