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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die griechische Frage.

ähnlich äußern werden. Was England anlangt, so war es von Anfang an
für die stärkste Pression in Athen, weil es seinen Handel in den Meeren der
Levante bedroht sah, falls es zum Kriege kam. Von London ging jetzt anch
die Idee aus, im Namen Europas an Griechenland in der Sache eine Note in
ultimatischer Form zu richten. Die Erfahrung habe, so sagt man dort, gelehrt,
daß freundschaftliche Mahnungen allgemeiner Art bei Dclyannis wirkungslos
bleiben, dagegen sei von einer Aufforderung, bis zu einem bestimmten Termine
abzurüsten, anzunehmen, daß der besonnenere Teil des griechischen Volkes sich
um Trikupis schaaren und den jetzigen kriegslustiger Minister vom Ruder ver¬
drängen würde. Genaues über den betreffenden englischen Vorschlag bei den
Kabinetten der Großmächte ist noch nicht bekannt. Doch verlautet mit Be¬
stimmtheit, daß darin beantragt wird, den Griechen eine Frist von einer Woche
bis zum Vollzuge der Abrüstung zu setzen. Dagegen soll eine direkte Be¬
drohung für den Fall der Nichterfüllung des Verlangens der Mächte darin
nicht empfohlen sein. Doch versteht sich Wohl von selbst, daß die Mächte sich
über ihr Verfahren in diesem Falle im voraus verständigen müssen, und dieses
Thema scheint sie in der That gegenwärtig zu beschäftigen. Daß unter den
Maßregeln, die dann zu ergreifen wären, der Abbruch der diplomatischen Be¬
ziehungen zu der Atheuischen Regierung und die Blockade der griechischen Küsten
und Haupthafen eine Rolle spielen würden, leuchtet gleichfalls ein. Doch ist
darüber noch kein Einverständnis erzielt. Die britische Regierung erachtet ihren
Vorschlag als jeder Modifikation fähig und legt nur Wert darauf, daß die von
ihr angeregte energischere Aufforderung an die Minister des Königs Georg im
Namen ganz Europas erfolge und diesen Charakter bis ans Ende bewahre.
Das aber hat, wie glaubwürdig behauptet wird, seine Schwierigkeiten. Es ist
möglich, eine Übereinstimmung der Großmächte, soweit es sich um den doch uur
diplomatischen Akt eines Ultimatums handelt, zu erreichen, aber gegenwärtig
unwahrscheinlich, daß dieses Einvernehmen auch in Betreff der Konseaucuzeu
dieses Schrittes Bestand haben würde. Wenn die griechische Negierung sich bis
jetzt noch nicht fügte, so rechnete sie offenbar auf das bisherige Auseinander-
gehen der Meinungen der Mächte in dieser Beziehung. Der griechische Kriegs¬
minister reiste zu den Truppen, die an der Nordgrenze zusammengezogen worden
sind. Zu deren Verstärkung ging zuletzt auch die Garnison von Athen ab, so
notwendig sie hier auch für den Fall war, daß friedliche Entschlüsse zuletzt bei
der Regierung die Oberhand gewannen und daraufhin die panhelleniftischen
Demagogen eine Revolution in Szene setzten. Triknpis, dessen Berufung zum
Premier unter den gegenwärtigen Verhältnissen den Frieden bedeuten würde,
zeigt keine Neigung, an die Stelle von Delyanuis zu treten. Offenbar denkt
letzterer: es wird sich mit unsern Plänen schon noch günstig gestalten, die Mächte
reden nur drein, wagen aber nicht, ernstlich dagegen zu handeln, um nicht ihr
Interesse zu beeinträchtigen. Frankreich trägt Sympathien für uns zur Schau,


Die griechische Frage.

ähnlich äußern werden. Was England anlangt, so war es von Anfang an
für die stärkste Pression in Athen, weil es seinen Handel in den Meeren der
Levante bedroht sah, falls es zum Kriege kam. Von London ging jetzt anch
die Idee aus, im Namen Europas an Griechenland in der Sache eine Note in
ultimatischer Form zu richten. Die Erfahrung habe, so sagt man dort, gelehrt,
daß freundschaftliche Mahnungen allgemeiner Art bei Dclyannis wirkungslos
bleiben, dagegen sei von einer Aufforderung, bis zu einem bestimmten Termine
abzurüsten, anzunehmen, daß der besonnenere Teil des griechischen Volkes sich
um Trikupis schaaren und den jetzigen kriegslustiger Minister vom Ruder ver¬
drängen würde. Genaues über den betreffenden englischen Vorschlag bei den
Kabinetten der Großmächte ist noch nicht bekannt. Doch verlautet mit Be¬
stimmtheit, daß darin beantragt wird, den Griechen eine Frist von einer Woche
bis zum Vollzuge der Abrüstung zu setzen. Dagegen soll eine direkte Be¬
drohung für den Fall der Nichterfüllung des Verlangens der Mächte darin
nicht empfohlen sein. Doch versteht sich Wohl von selbst, daß die Mächte sich
über ihr Verfahren in diesem Falle im voraus verständigen müssen, und dieses
Thema scheint sie in der That gegenwärtig zu beschäftigen. Daß unter den
Maßregeln, die dann zu ergreifen wären, der Abbruch der diplomatischen Be¬
ziehungen zu der Atheuischen Regierung und die Blockade der griechischen Küsten
und Haupthafen eine Rolle spielen würden, leuchtet gleichfalls ein. Doch ist
darüber noch kein Einverständnis erzielt. Die britische Regierung erachtet ihren
Vorschlag als jeder Modifikation fähig und legt nur Wert darauf, daß die von
ihr angeregte energischere Aufforderung an die Minister des Königs Georg im
Namen ganz Europas erfolge und diesen Charakter bis ans Ende bewahre.
Das aber hat, wie glaubwürdig behauptet wird, seine Schwierigkeiten. Es ist
möglich, eine Übereinstimmung der Großmächte, soweit es sich um den doch uur
diplomatischen Akt eines Ultimatums handelt, zu erreichen, aber gegenwärtig
unwahrscheinlich, daß dieses Einvernehmen auch in Betreff der Konseaucuzeu
dieses Schrittes Bestand haben würde. Wenn die griechische Negierung sich bis
jetzt noch nicht fügte, so rechnete sie offenbar auf das bisherige Auseinander-
gehen der Meinungen der Mächte in dieser Beziehung. Der griechische Kriegs¬
minister reiste zu den Truppen, die an der Nordgrenze zusammengezogen worden
sind. Zu deren Verstärkung ging zuletzt auch die Garnison von Athen ab, so
notwendig sie hier auch für den Fall war, daß friedliche Entschlüsse zuletzt bei
der Regierung die Oberhand gewannen und daraufhin die panhelleniftischen
Demagogen eine Revolution in Szene setzten. Triknpis, dessen Berufung zum
Premier unter den gegenwärtigen Verhältnissen den Frieden bedeuten würde,
zeigt keine Neigung, an die Stelle von Delyanuis zu treten. Offenbar denkt
letzterer: es wird sich mit unsern Plänen schon noch günstig gestalten, die Mächte
reden nur drein, wagen aber nicht, ernstlich dagegen zu handeln, um nicht ihr
Interesse zu beeinträchtigen. Frankreich trägt Sympathien für uns zur Schau,


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[0203] Die griechische Frage. ähnlich äußern werden. Was England anlangt, so war es von Anfang an für die stärkste Pression in Athen, weil es seinen Handel in den Meeren der Levante bedroht sah, falls es zum Kriege kam. Von London ging jetzt anch die Idee aus, im Namen Europas an Griechenland in der Sache eine Note in ultimatischer Form zu richten. Die Erfahrung habe, so sagt man dort, gelehrt, daß freundschaftliche Mahnungen allgemeiner Art bei Dclyannis wirkungslos bleiben, dagegen sei von einer Aufforderung, bis zu einem bestimmten Termine abzurüsten, anzunehmen, daß der besonnenere Teil des griechischen Volkes sich um Trikupis schaaren und den jetzigen kriegslustiger Minister vom Ruder ver¬ drängen würde. Genaues über den betreffenden englischen Vorschlag bei den Kabinetten der Großmächte ist noch nicht bekannt. Doch verlautet mit Be¬ stimmtheit, daß darin beantragt wird, den Griechen eine Frist von einer Woche bis zum Vollzuge der Abrüstung zu setzen. Dagegen soll eine direkte Be¬ drohung für den Fall der Nichterfüllung des Verlangens der Mächte darin nicht empfohlen sein. Doch versteht sich Wohl von selbst, daß die Mächte sich über ihr Verfahren in diesem Falle im voraus verständigen müssen, und dieses Thema scheint sie in der That gegenwärtig zu beschäftigen. Daß unter den Maßregeln, die dann zu ergreifen wären, der Abbruch der diplomatischen Be¬ ziehungen zu der Atheuischen Regierung und die Blockade der griechischen Küsten und Haupthafen eine Rolle spielen würden, leuchtet gleichfalls ein. Doch ist darüber noch kein Einverständnis erzielt. Die britische Regierung erachtet ihren Vorschlag als jeder Modifikation fähig und legt nur Wert darauf, daß die von ihr angeregte energischere Aufforderung an die Minister des Königs Georg im Namen ganz Europas erfolge und diesen Charakter bis ans Ende bewahre. Das aber hat, wie glaubwürdig behauptet wird, seine Schwierigkeiten. Es ist möglich, eine Übereinstimmung der Großmächte, soweit es sich um den doch uur diplomatischen Akt eines Ultimatums handelt, zu erreichen, aber gegenwärtig unwahrscheinlich, daß dieses Einvernehmen auch in Betreff der Konseaucuzeu dieses Schrittes Bestand haben würde. Wenn die griechische Negierung sich bis jetzt noch nicht fügte, so rechnete sie offenbar auf das bisherige Auseinander- gehen der Meinungen der Mächte in dieser Beziehung. Der griechische Kriegs¬ minister reiste zu den Truppen, die an der Nordgrenze zusammengezogen worden sind. Zu deren Verstärkung ging zuletzt auch die Garnison von Athen ab, so notwendig sie hier auch für den Fall war, daß friedliche Entschlüsse zuletzt bei der Regierung die Oberhand gewannen und daraufhin die panhelleniftischen Demagogen eine Revolution in Szene setzten. Triknpis, dessen Berufung zum Premier unter den gegenwärtigen Verhältnissen den Frieden bedeuten würde, zeigt keine Neigung, an die Stelle von Delyanuis zu treten. Offenbar denkt letzterer: es wird sich mit unsern Plänen schon noch günstig gestalten, die Mächte reden nur drein, wagen aber nicht, ernstlich dagegen zu handeln, um nicht ihr Interesse zu beeinträchtigen. Frankreich trägt Sympathien für uns zur Schau,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/203>, abgerufen am 02.07.2024.