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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die griechische Frage,

Pforte fertig zu werden, d. h. durch einen Krieg zu Lande, Zur See vorzu¬
gehen, wird ihm ebenso gewiß nicht gestattet werden, und da hier seine Haupt-
stärke liegt, ist immer noch zu hoffen, daß es sich in der zwölfte" Stunde eines
Bessern besinnen und der Verminst Gehör geben wird, gegen deren Ratschläge
es sich so lange verschlossen hat. Noch einmal werden die Vertreter der Mächte
in Athen friedliche Entschlüsse befürworten. Die Anregung dazu erfolgte durch
ein Rundschreiben der Pforte vom 12, April, in welchem die Regierung des
Sultans in nachdrücklicherer Sprache als je vorher die Notwendigkeit aus¬
einandersetzt, daß die Großmächte Europas allen ihren Einfluß in Athen auf¬
bieten, um dort eine Politik des Friedens herbeizuführen. Die Lage sei, so
heißt es in dem Schriftstücke, nicht mehr zu ertragen, sie bedrohe die allgemeine
Ruhe und verhindere das Wiederaufleben des Vertrauens zu den Verhältnissen.
Das ist unzweifelhaft richtig, und namentlich ist die Lage für die Türkei kaum
noch erträglich. Militärisch allerdings hat sie nichts zu befürchten, aber ihr fast
unzweifelhafter Sieg über die Griechen würde ihr nur einigen Ruhm einbringen.
Wichtiger ist die arge Finanznot, in die sie die griechische Bedrohung gebracht
hat. Nur mit großen Anstrengungen und Opfern hat der Sultan einen be¬
deutende" Teil seines Heeres ans den Kriegsfuß setzen, die unumgänglich not¬
wendigen Kriegsbedürfnisse beschaffen und die Truppen bisher notdürftig ver¬
pflegen können. Die vorhnudneu Mittel haben hierzu nicht ausgereicht, und so
hat die türkische Regierung sich gezwungen gesehen, zu außerordentlichen Ma߬
regeln zu greifen, Sie hat der Ottomanischen Bank die Kassababahn verpfändet
und für einen Vorschuß auf gewisse Bedingungen des Barons Hirsch (des
bekannten jüdischen Ausbeuters ihrer Geldverlegenheiten), welcher die Eisenbahnen
in Rumelien für seine Kasse "sruktisizirt," eingehen müssen. Die Pforte hat
ferner den von ihr in den letzten Jahren nicht angetasteten Fonds zu Pensionen
für die Witwen und Waisen angegriffen und vollständig verausgabt, sie ist zu
dem bedenklichen Mittel einer Zwaugsnuleihe geschritten, hat die meisten fälligen
Zahlungen eingestellt und sich sogar einen Vertragsbruch erlaubt, indem sie ihren
Gläubigern zwangsweise die ihnen verpfändete Hammelsteuer entzog, weil diese
gerade jetzt zu entrichten und so der Staatskasse noch einige Wochen Geld zu
liefern imstande ist, Ist auch diese Steuer verbraucht, und kann dann noch
nicht an Abrüstung gedacht werden, so bleibt der Regierung mir der von
der Ottomanischcn Bank angebotene Vorschuß von fünfzehn Millionen Mark
übrig, oder sie muß zu finanziellen Ungeheuerlichkeiten mit schlimmen Folgen
verfahrenen. Unter solchen Umständen aber konnte es ihr niemand ver¬
denken, wenn sie den griechischen Drohungen und Herausforderungen gegen¬
über endlich ihre Gelassenheit verlöre, Deutschland, Österreich-Ungarn und
Rußland haben das Rundschreiben vom 12, April bereits beantwortet und die
Zusage erteilt, neue Schritte zu thun, um die griechische Regierung zur Ab¬
rüstung zu bewegen. Von Frankreich und Italien wird erwartet, daß sie sich


Die griechische Frage,

Pforte fertig zu werden, d. h. durch einen Krieg zu Lande, Zur See vorzu¬
gehen, wird ihm ebenso gewiß nicht gestattet werden, und da hier seine Haupt-
stärke liegt, ist immer noch zu hoffen, daß es sich in der zwölfte» Stunde eines
Bessern besinnen und der Verminst Gehör geben wird, gegen deren Ratschläge
es sich so lange verschlossen hat. Noch einmal werden die Vertreter der Mächte
in Athen friedliche Entschlüsse befürworten. Die Anregung dazu erfolgte durch
ein Rundschreiben der Pforte vom 12, April, in welchem die Regierung des
Sultans in nachdrücklicherer Sprache als je vorher die Notwendigkeit aus¬
einandersetzt, daß die Großmächte Europas allen ihren Einfluß in Athen auf¬
bieten, um dort eine Politik des Friedens herbeizuführen. Die Lage sei, so
heißt es in dem Schriftstücke, nicht mehr zu ertragen, sie bedrohe die allgemeine
Ruhe und verhindere das Wiederaufleben des Vertrauens zu den Verhältnissen.
Das ist unzweifelhaft richtig, und namentlich ist die Lage für die Türkei kaum
noch erträglich. Militärisch allerdings hat sie nichts zu befürchten, aber ihr fast
unzweifelhafter Sieg über die Griechen würde ihr nur einigen Ruhm einbringen.
Wichtiger ist die arge Finanznot, in die sie die griechische Bedrohung gebracht
hat. Nur mit großen Anstrengungen und Opfern hat der Sultan einen be¬
deutende« Teil seines Heeres ans den Kriegsfuß setzen, die unumgänglich not¬
wendigen Kriegsbedürfnisse beschaffen und die Truppen bisher notdürftig ver¬
pflegen können. Die vorhnudneu Mittel haben hierzu nicht ausgereicht, und so
hat die türkische Regierung sich gezwungen gesehen, zu außerordentlichen Ma߬
regeln zu greifen, Sie hat der Ottomanischen Bank die Kassababahn verpfändet
und für einen Vorschuß auf gewisse Bedingungen des Barons Hirsch (des
bekannten jüdischen Ausbeuters ihrer Geldverlegenheiten), welcher die Eisenbahnen
in Rumelien für seine Kasse „sruktisizirt," eingehen müssen. Die Pforte hat
ferner den von ihr in den letzten Jahren nicht angetasteten Fonds zu Pensionen
für die Witwen und Waisen angegriffen und vollständig verausgabt, sie ist zu
dem bedenklichen Mittel einer Zwaugsnuleihe geschritten, hat die meisten fälligen
Zahlungen eingestellt und sich sogar einen Vertragsbruch erlaubt, indem sie ihren
Gläubigern zwangsweise die ihnen verpfändete Hammelsteuer entzog, weil diese
gerade jetzt zu entrichten und so der Staatskasse noch einige Wochen Geld zu
liefern imstande ist, Ist auch diese Steuer verbraucht, und kann dann noch
nicht an Abrüstung gedacht werden, so bleibt der Regierung mir der von
der Ottomanischcn Bank angebotene Vorschuß von fünfzehn Millionen Mark
übrig, oder sie muß zu finanziellen Ungeheuerlichkeiten mit schlimmen Folgen
verfahrenen. Unter solchen Umständen aber konnte es ihr niemand ver¬
denken, wenn sie den griechischen Drohungen und Herausforderungen gegen¬
über endlich ihre Gelassenheit verlöre, Deutschland, Österreich-Ungarn und
Rußland haben das Rundschreiben vom 12, April bereits beantwortet und die
Zusage erteilt, neue Schritte zu thun, um die griechische Regierung zur Ab¬
rüstung zu bewegen. Von Frankreich und Italien wird erwartet, daß sie sich


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[0202] Die griechische Frage, Pforte fertig zu werden, d. h. durch einen Krieg zu Lande, Zur See vorzu¬ gehen, wird ihm ebenso gewiß nicht gestattet werden, und da hier seine Haupt- stärke liegt, ist immer noch zu hoffen, daß es sich in der zwölfte» Stunde eines Bessern besinnen und der Verminst Gehör geben wird, gegen deren Ratschläge es sich so lange verschlossen hat. Noch einmal werden die Vertreter der Mächte in Athen friedliche Entschlüsse befürworten. Die Anregung dazu erfolgte durch ein Rundschreiben der Pforte vom 12, April, in welchem die Regierung des Sultans in nachdrücklicherer Sprache als je vorher die Notwendigkeit aus¬ einandersetzt, daß die Großmächte Europas allen ihren Einfluß in Athen auf¬ bieten, um dort eine Politik des Friedens herbeizuführen. Die Lage sei, so heißt es in dem Schriftstücke, nicht mehr zu ertragen, sie bedrohe die allgemeine Ruhe und verhindere das Wiederaufleben des Vertrauens zu den Verhältnissen. Das ist unzweifelhaft richtig, und namentlich ist die Lage für die Türkei kaum noch erträglich. Militärisch allerdings hat sie nichts zu befürchten, aber ihr fast unzweifelhafter Sieg über die Griechen würde ihr nur einigen Ruhm einbringen. Wichtiger ist die arge Finanznot, in die sie die griechische Bedrohung gebracht hat. Nur mit großen Anstrengungen und Opfern hat der Sultan einen be¬ deutende« Teil seines Heeres ans den Kriegsfuß setzen, die unumgänglich not¬ wendigen Kriegsbedürfnisse beschaffen und die Truppen bisher notdürftig ver¬ pflegen können. Die vorhnudneu Mittel haben hierzu nicht ausgereicht, und so hat die türkische Regierung sich gezwungen gesehen, zu außerordentlichen Ma߬ regeln zu greifen, Sie hat der Ottomanischen Bank die Kassababahn verpfändet und für einen Vorschuß auf gewisse Bedingungen des Barons Hirsch (des bekannten jüdischen Ausbeuters ihrer Geldverlegenheiten), welcher die Eisenbahnen in Rumelien für seine Kasse „sruktisizirt," eingehen müssen. Die Pforte hat ferner den von ihr in den letzten Jahren nicht angetasteten Fonds zu Pensionen für die Witwen und Waisen angegriffen und vollständig verausgabt, sie ist zu dem bedenklichen Mittel einer Zwaugsnuleihe geschritten, hat die meisten fälligen Zahlungen eingestellt und sich sogar einen Vertragsbruch erlaubt, indem sie ihren Gläubigern zwangsweise die ihnen verpfändete Hammelsteuer entzog, weil diese gerade jetzt zu entrichten und so der Staatskasse noch einige Wochen Geld zu liefern imstande ist, Ist auch diese Steuer verbraucht, und kann dann noch nicht an Abrüstung gedacht werden, so bleibt der Regierung mir der von der Ottomanischcn Bank angebotene Vorschuß von fünfzehn Millionen Mark übrig, oder sie muß zu finanziellen Ungeheuerlichkeiten mit schlimmen Folgen verfahrenen. Unter solchen Umständen aber konnte es ihr niemand ver¬ denken, wenn sie den griechischen Drohungen und Herausforderungen gegen¬ über endlich ihre Gelassenheit verlöre, Deutschland, Österreich-Ungarn und Rußland haben das Rundschreiben vom 12, April bereits beantwortet und die Zusage erteilt, neue Schritte zu thun, um die griechische Regierung zur Ab¬ rüstung zu bewegen. Von Frankreich und Italien wird erwartet, daß sie sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/202>, abgerufen am 30.06.2024.