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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges.

Savoyen und Venedig drängten, um jeden Preis verhüten wollte. Man kann
denken, wie die zwei andern Alliirten von Lyon über diesen Abfall Frankreichs
urteilten; der Prinz von Piemont, der in Paris zu Gaste war, als die Nachricht
von dem Vertrage daselbst ankam, geriet darüber in die größte Aufregung und
verließ in Unmut die Stadt; der französische Gesandte, welcher dem Rate von
Venedig die Nachricht amtlich übermitteln mußte, verließ den Palast des Dogen
"sehr bestürzt und unschlüssig, gerötet vor Verlegenheit oder Zorn."

Da erfolgte ein Ereignis, welches Nichelieus offenbar zurückgedrängtem
Einfluß plötzlich wieder aufhalf. Am Christtage 1627 starb der letzte Herzog
Mantnas aus dem Hause Gonzaga, Vincenz II., der "ein alleinstehender, kinder¬
loser, kranker Mann" gewesen war, und sein rechtmäßiger Nachfolger wurde der
Herzog Karl von Gonzaga-Nevers, "einer der vornehmsten Pairs von Frank¬
reich, ein Liebling des Königs und seinem zweiten Heimatlande Frankreich er¬
geben und zugethan," sodaß der Kardinal Richelieu ihn als das beste Werkzeug
ansah, um den französischen Einfluß in Oberitalien zu befestigen. Die An¬
sprüche Karls von Revers waren umso unbestreitbarer, als er wenige Stunden
vor dem Tode Vincenz' II. dessen Nichte Marie geheiratet hatte, und so auch
"die Rechte der savoyischen Dynastie in sich vereinigte." In Wien war zu¬
nächst die Stimmung gegen ihn nicht unfreundlich; die Kaiserin Eleonore, eine
mantuanische Prinzessin, sah in Karl den rechtmäßigen Erben ihrer Familie.
Aber wieder trat Spanien dazwischen und warf die ganze Macht der Casa
d'Austria gegen die Entwürfe Nichelieus in die Wagschale; zum erstenmale er¬
litten Wallenstein und sein Anhang eine politische Niederlage am Kaiserhofe,
als Ferdinand gegen ihre Warnungen taub blieb und im März 1628 der
spanischen Politik sich anschloß, welche in Karl von Revers lediglich einen
Vorposten Frankreichs sah, und, im Fall dieser Mantua und Casale ge¬
wönne, für Mailand selbst fürchtete. Am 1. April ernannte der Kaiser als
oberster Lehenshcrr einen Kommissar, den Grafen Johann von Nassau, welcher
das Herzogtum bis zum Austrag der Sache als Sequestrator verwalten sollte;
und da Venedig, das gewiß war, daß Ludwig XIII. den Herzog von Revers
nicht fallen lassen würde, trotz der geringen Zuverlässigkeit seiner aus Eingebornen
und Albanesen bestehenden 12 000 Mann Landtruppen sich doch für Revers
entschied, und anderseits Savoyen, das auch Ansprüche auf Mantua anmeldete,
seine Rechnung besser bei einem Bunde mit Ferdinand und Spanien zu finden
hoffte, so war die Liga von Lyon thatsächlich aufgelöst; der Herzog von Sa¬
voyen setzte auch dem ersten Versuch der Franzosen, in Oberitalien einzudringen,
glücklichen Widerstand entgegen und zwang sie zur Rückkehr in die Dauphins.

Diese Niederlage nahm nun aber Richelieu nicht ruhig hin. Seine Lage
war dadurch verbessert worden, daß Papst Urban VIII., welcher in Wien ver¬
geblich für Revers gewirkt hatte, mit seinen Wünschen auf feiten Frankreichs
stand, und daß am 30. Oktober 1628 La Rochelle, dem die Engländer ver-


Zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges.

Savoyen und Venedig drängten, um jeden Preis verhüten wollte. Man kann
denken, wie die zwei andern Alliirten von Lyon über diesen Abfall Frankreichs
urteilten; der Prinz von Piemont, der in Paris zu Gaste war, als die Nachricht
von dem Vertrage daselbst ankam, geriet darüber in die größte Aufregung und
verließ in Unmut die Stadt; der französische Gesandte, welcher dem Rate von
Venedig die Nachricht amtlich übermitteln mußte, verließ den Palast des Dogen
„sehr bestürzt und unschlüssig, gerötet vor Verlegenheit oder Zorn."

Da erfolgte ein Ereignis, welches Nichelieus offenbar zurückgedrängtem
Einfluß plötzlich wieder aufhalf. Am Christtage 1627 starb der letzte Herzog
Mantnas aus dem Hause Gonzaga, Vincenz II., der „ein alleinstehender, kinder¬
loser, kranker Mann" gewesen war, und sein rechtmäßiger Nachfolger wurde der
Herzog Karl von Gonzaga-Nevers, „einer der vornehmsten Pairs von Frank¬
reich, ein Liebling des Königs und seinem zweiten Heimatlande Frankreich er¬
geben und zugethan," sodaß der Kardinal Richelieu ihn als das beste Werkzeug
ansah, um den französischen Einfluß in Oberitalien zu befestigen. Die An¬
sprüche Karls von Revers waren umso unbestreitbarer, als er wenige Stunden
vor dem Tode Vincenz' II. dessen Nichte Marie geheiratet hatte, und so auch
„die Rechte der savoyischen Dynastie in sich vereinigte." In Wien war zu¬
nächst die Stimmung gegen ihn nicht unfreundlich; die Kaiserin Eleonore, eine
mantuanische Prinzessin, sah in Karl den rechtmäßigen Erben ihrer Familie.
Aber wieder trat Spanien dazwischen und warf die ganze Macht der Casa
d'Austria gegen die Entwürfe Nichelieus in die Wagschale; zum erstenmale er¬
litten Wallenstein und sein Anhang eine politische Niederlage am Kaiserhofe,
als Ferdinand gegen ihre Warnungen taub blieb und im März 1628 der
spanischen Politik sich anschloß, welche in Karl von Revers lediglich einen
Vorposten Frankreichs sah, und, im Fall dieser Mantua und Casale ge¬
wönne, für Mailand selbst fürchtete. Am 1. April ernannte der Kaiser als
oberster Lehenshcrr einen Kommissar, den Grafen Johann von Nassau, welcher
das Herzogtum bis zum Austrag der Sache als Sequestrator verwalten sollte;
und da Venedig, das gewiß war, daß Ludwig XIII. den Herzog von Revers
nicht fallen lassen würde, trotz der geringen Zuverlässigkeit seiner aus Eingebornen
und Albanesen bestehenden 12 000 Mann Landtruppen sich doch für Revers
entschied, und anderseits Savoyen, das auch Ansprüche auf Mantua anmeldete,
seine Rechnung besser bei einem Bunde mit Ferdinand und Spanien zu finden
hoffte, so war die Liga von Lyon thatsächlich aufgelöst; der Herzog von Sa¬
voyen setzte auch dem ersten Versuch der Franzosen, in Oberitalien einzudringen,
glücklichen Widerstand entgegen und zwang sie zur Rückkehr in die Dauphins.

Diese Niederlage nahm nun aber Richelieu nicht ruhig hin. Seine Lage
war dadurch verbessert worden, daß Papst Urban VIII., welcher in Wien ver¬
geblich für Revers gewirkt hatte, mit seinen Wünschen auf feiten Frankreichs
stand, und daß am 30. Oktober 1628 La Rochelle, dem die Engländer ver-


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[0180] Zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges. Savoyen und Venedig drängten, um jeden Preis verhüten wollte. Man kann denken, wie die zwei andern Alliirten von Lyon über diesen Abfall Frankreichs urteilten; der Prinz von Piemont, der in Paris zu Gaste war, als die Nachricht von dem Vertrage daselbst ankam, geriet darüber in die größte Aufregung und verließ in Unmut die Stadt; der französische Gesandte, welcher dem Rate von Venedig die Nachricht amtlich übermitteln mußte, verließ den Palast des Dogen „sehr bestürzt und unschlüssig, gerötet vor Verlegenheit oder Zorn." Da erfolgte ein Ereignis, welches Nichelieus offenbar zurückgedrängtem Einfluß plötzlich wieder aufhalf. Am Christtage 1627 starb der letzte Herzog Mantnas aus dem Hause Gonzaga, Vincenz II., der „ein alleinstehender, kinder¬ loser, kranker Mann" gewesen war, und sein rechtmäßiger Nachfolger wurde der Herzog Karl von Gonzaga-Nevers, „einer der vornehmsten Pairs von Frank¬ reich, ein Liebling des Königs und seinem zweiten Heimatlande Frankreich er¬ geben und zugethan," sodaß der Kardinal Richelieu ihn als das beste Werkzeug ansah, um den französischen Einfluß in Oberitalien zu befestigen. Die An¬ sprüche Karls von Revers waren umso unbestreitbarer, als er wenige Stunden vor dem Tode Vincenz' II. dessen Nichte Marie geheiratet hatte, und so auch „die Rechte der savoyischen Dynastie in sich vereinigte." In Wien war zu¬ nächst die Stimmung gegen ihn nicht unfreundlich; die Kaiserin Eleonore, eine mantuanische Prinzessin, sah in Karl den rechtmäßigen Erben ihrer Familie. Aber wieder trat Spanien dazwischen und warf die ganze Macht der Casa d'Austria gegen die Entwürfe Nichelieus in die Wagschale; zum erstenmale er¬ litten Wallenstein und sein Anhang eine politische Niederlage am Kaiserhofe, als Ferdinand gegen ihre Warnungen taub blieb und im März 1628 der spanischen Politik sich anschloß, welche in Karl von Revers lediglich einen Vorposten Frankreichs sah, und, im Fall dieser Mantua und Casale ge¬ wönne, für Mailand selbst fürchtete. Am 1. April ernannte der Kaiser als oberster Lehenshcrr einen Kommissar, den Grafen Johann von Nassau, welcher das Herzogtum bis zum Austrag der Sache als Sequestrator verwalten sollte; und da Venedig, das gewiß war, daß Ludwig XIII. den Herzog von Revers nicht fallen lassen würde, trotz der geringen Zuverlässigkeit seiner aus Eingebornen und Albanesen bestehenden 12 000 Mann Landtruppen sich doch für Revers entschied, und anderseits Savoyen, das auch Ansprüche auf Mantua anmeldete, seine Rechnung besser bei einem Bunde mit Ferdinand und Spanien zu finden hoffte, so war die Liga von Lyon thatsächlich aufgelöst; der Herzog von Sa¬ voyen setzte auch dem ersten Versuch der Franzosen, in Oberitalien einzudringen, glücklichen Widerstand entgegen und zwang sie zur Rückkehr in die Dauphins. Diese Niederlage nahm nun aber Richelieu nicht ruhig hin. Seine Lage war dadurch verbessert worden, daß Papst Urban VIII., welcher in Wien ver¬ geblich für Revers gewirkt hatte, mit seinen Wünschen auf feiten Frankreichs stand, und daß am 30. Oktober 1628 La Rochelle, dem die Engländer ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/180>, abgerufen am 24.07.2024.