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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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nicht die schlimmsten Folgen daraus erwachsen sollten; sie forderte, daß die
Uskoken nicht bloß aus Zengg, sondern womöglich aus allen Küstenplätzen
entfernt und so weit als möglich ins Land getrieben werden sollten; die Piraten¬
schiffe müßten alle zerstört werden. In der That, die Republik hatte allen
Grund zu diesem festen Auftreten; erst vor kurzer Frist hatte sich gezeigt, wie
gefährdet doch im Grunde ihre Stellung war, wie leicht dies Zentrum eines
großen Reiches, dem die eigne militärische Volks kraft und die sichere Unterlage
überlieferter Popularität fehlte, einer Überrumpelung ausgesetzt war: der
französische Abenteurer Jacques Pierre, welcher im März 1617 nach Venedig
gekommen war, hatte den verwegenen Plan entwerfen können, mit Hilfe einer
Anzahl wagehalsiger Landsleute, welche während des Gradiskaner Krieges ge¬
worben worden waren, den Dogenpalast und das Arsenal zu überfallen und
sich durch Gewalt und Schrecken zum Herrn der Lagunenstadt zu machen; eine
in der Nähe lauernde spanisch-neapolitanische Flotte würde dann, so rechnete er,
von ihr Besitz nehmen können. Das Unterfangen war noch rechtzeitig vereitelt
worden, weil der Rat durch Verräterei davon benachrichtigt wurde; aber der
unheimliche Eindruck blieb doch zurück, daß Venedig ohne die angespannteste
Aufmerksamkeit sich nicht vor jähen Handstreichen seiner Feinde sichern konnte,
welche möglicherweise eine gänzliche Katastrophe herbeizuführen vermochten;
und es war fast noch schlimmer, wenn, wie dies Ranke für möglich hält, der
kühne Gedanke nur in Pierres Kopf entstanden war, als wenn der spanische
Vizekvnig von Neapel, der Herzog von Ossuna, und der Statthalter von
Mailand eigentlich die Sache veranlaßt hatten, wovon man in Venedig fest
überzeugt war. Im letztern Falle gehörte doch die Verwegenheit eines Lands¬
knechts und das Übelwollen der spanischen Behörden zusammen dazu, eiuen so
dreisten Plan zu zeitigen; im andern Falle aber schien Venedig einer überreifen
Frucht zu gleichen, welche jeder zum Falle zu bringen sich vermessen konnte.

Soviel ersieht man aber ans allem: die Signoria war mehr als je darauf
angewiesen, die gefährdete Lage des Staates zu verbessern, ihn aus seiner Ver¬
einzelung zu befreien, mit jedermann, welcher anch vom Hause Habsburg be^
droht oder behindert war, Beziehungen anzuknüpfen. So kommt es, daß man
in Venedig die Fäden der europäischen Politik in gewissem Sinne zusammen¬
laufen sieht; jede Opposition gegen den Kaiser Ferdinand und die Krone Spanien
wird in Venedig mit Freuden begrüßt; daher die Verhandlungen schon mit
Heinrich IV. von Frankreich, mit der deutschen Union, die im Jahre 1609 den
Dr. Johann Baptist Lenk als ihren Agenten nach Venedig sandte; daher anch
sofort eine beklemmte Stimmung am Markusplatze, wenn sich die Wolken für
das Haus Habsburg verteilen, wenn ihm feine Entwürfe gelingen; auch wenn
man nicht mit ihm im Kriege liegt, so hat man das Gefühl, daß es bald aus
irgendeinem Grunde dahin kommen könnte, und sieht es daher lieber, daß die
Herren in Wien und Madrid, die Hände nicht frei haben. Wie seltsam sich


nicht die schlimmsten Folgen daraus erwachsen sollten; sie forderte, daß die
Uskoken nicht bloß aus Zengg, sondern womöglich aus allen Küstenplätzen
entfernt und so weit als möglich ins Land getrieben werden sollten; die Piraten¬
schiffe müßten alle zerstört werden. In der That, die Republik hatte allen
Grund zu diesem festen Auftreten; erst vor kurzer Frist hatte sich gezeigt, wie
gefährdet doch im Grunde ihre Stellung war, wie leicht dies Zentrum eines
großen Reiches, dem die eigne militärische Volks kraft und die sichere Unterlage
überlieferter Popularität fehlte, einer Überrumpelung ausgesetzt war: der
französische Abenteurer Jacques Pierre, welcher im März 1617 nach Venedig
gekommen war, hatte den verwegenen Plan entwerfen können, mit Hilfe einer
Anzahl wagehalsiger Landsleute, welche während des Gradiskaner Krieges ge¬
worben worden waren, den Dogenpalast und das Arsenal zu überfallen und
sich durch Gewalt und Schrecken zum Herrn der Lagunenstadt zu machen; eine
in der Nähe lauernde spanisch-neapolitanische Flotte würde dann, so rechnete er,
von ihr Besitz nehmen können. Das Unterfangen war noch rechtzeitig vereitelt
worden, weil der Rat durch Verräterei davon benachrichtigt wurde; aber der
unheimliche Eindruck blieb doch zurück, daß Venedig ohne die angespannteste
Aufmerksamkeit sich nicht vor jähen Handstreichen seiner Feinde sichern konnte,
welche möglicherweise eine gänzliche Katastrophe herbeizuführen vermochten;
und es war fast noch schlimmer, wenn, wie dies Ranke für möglich hält, der
kühne Gedanke nur in Pierres Kopf entstanden war, als wenn der spanische
Vizekvnig von Neapel, der Herzog von Ossuna, und der Statthalter von
Mailand eigentlich die Sache veranlaßt hatten, wovon man in Venedig fest
überzeugt war. Im letztern Falle gehörte doch die Verwegenheit eines Lands¬
knechts und das Übelwollen der spanischen Behörden zusammen dazu, eiuen so
dreisten Plan zu zeitigen; im andern Falle aber schien Venedig einer überreifen
Frucht zu gleichen, welche jeder zum Falle zu bringen sich vermessen konnte.

Soviel ersieht man aber ans allem: die Signoria war mehr als je darauf
angewiesen, die gefährdete Lage des Staates zu verbessern, ihn aus seiner Ver¬
einzelung zu befreien, mit jedermann, welcher anch vom Hause Habsburg be^
droht oder behindert war, Beziehungen anzuknüpfen. So kommt es, daß man
in Venedig die Fäden der europäischen Politik in gewissem Sinne zusammen¬
laufen sieht; jede Opposition gegen den Kaiser Ferdinand und die Krone Spanien
wird in Venedig mit Freuden begrüßt; daher die Verhandlungen schon mit
Heinrich IV. von Frankreich, mit der deutschen Union, die im Jahre 1609 den
Dr. Johann Baptist Lenk als ihren Agenten nach Venedig sandte; daher anch
sofort eine beklemmte Stimmung am Markusplatze, wenn sich die Wolken für
das Haus Habsburg verteilen, wenn ihm feine Entwürfe gelingen; auch wenn
man nicht mit ihm im Kriege liegt, so hat man das Gefühl, daß es bald aus
irgendeinem Grunde dahin kommen könnte, und sieht es daher lieber, daß die
Herren in Wien und Madrid, die Hände nicht frei haben. Wie seltsam sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/174>, abgerufen am 23.07.2024.