Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

knecht, sondern auch der Fabrikant und Landwirt selbst, nicht bloß der Hand¬
werksgehilfe und kaufmännische Angestellte, sondern auch der Handwerksmeister
und Kaufmann selbst, soweit die persönliche Arbeitsthätigkeit der letztern in
ihrem Betriebe in Frage kommt; ja nicht bloß jeder Vertreter der produktiv im
eigentlichen Sinne thätigen Stände, d. h. der Produzenten von Sachgütern,
gehört dazu, sondern auch der Produzent von andern, von geistigen Gütern,
der Geistliche wie der Lehrer, der Künstler wie der Offizier, der Richter wie
der Arzt, der Minister, ja der regierende Fürst des Landes, der seine Zivilliste
bezieht, sie alle sind in diesem weitern Sinne Arbeitskraftbesitzer und stehen als
solche den Arbeitsstoffbesitzern gegenüber. Es ist diese Vorbemerkung namentlich
deshalb außerordentlich wichtig für die richtige Auffassung der ganzen wirt¬
schaftlichen Lage, weil auf ihr der Lehrsatz von der Solidarität der wirtschaft¬
lichen Interessen aller produktiven Stände beruht. Alles Einkommen, das die
Vertreter der Arbeitskraft beziehen, ist ihr verhältnismäßiger Anteil am Arbeits¬
produkte und heißt Arbeitsverdienst, mag dieser nun im gewöhnlichen Leben
Lohn des niedern Arbeiters, Gehalt, Scilair, Gage des höhern Arbeiters oder
persönlicher Arbeitsverdienst des selbständigen Geschäftsmannes oder Landwirtes
genannt werden. Alle diese Einkommen sind Arbeitsverdienst und stehen gegen¬
über dem Anteile am Arbeitsprodukte, welches der Arbeitsstoffbesitzer bezieht
und welches Rente heißt. Man übersehe dabei namentlich nicht, daß im Ge-
schästsertrcige des selbst mitarbeitenden Geschäftsmannes oder Landwirtes zwei
ganz entgegengesetzte Einkommensartcn stecken, sein persönlicher Arbeitsverdienst
und die Rente aus seinem Betriebskapital.

Nach welchem Prinzip nun wird sich diese Teilung des Arbeitsproduktes
in Arbeitsverdienst und Rente vollziehen? Unzweifelhaft nach dem bekannten
Gesetz von Angebot und Nachfrage. Ist das Angebot von Arbeitskraft größer,
so wird der Anteil des Arbeitskraftbesitzers oder der "verhältnismäßige Arbeits¬
verdienst" sinken, der "verhältnismäßige Anteil des Arbeitsstoffbesitzers" oder
die Rente aber steigen; ist dagegen Überfluß an Arbeitsstoff vorhanden, so wird
die Rente sinken, der verhältnismäßige Arbeitsverdienst aber steigen.

Es war die erstere Thatsache, der zunehmende Überfluß an Arbeitskraft,
welche im letzten Menschenalter namentlich ein stetiges Sinken des verhältnis¬
mäßigen Anteils der Arbeitskraftbesitzer am Produkt und Hand in Hand damit
ein rasches Steigen der Reute oder des verhältnismäßigen Anteils der Arbeits¬
stoffbesitzer mit sich brachte. Um hierbei allen Irrtum von vornherein zu ver¬
meiden, bleibe man sich wohl darüber klar, daß es sich nicht um das Steigen
und Fallen des absoluten Arbeitsverdienstes oder des Arbeitslohnes schlechtweg
handelt, sondern um das Steigen und Fallen des relativen, des verhältnis¬
mäßigen Anteils am Produkt. Es kann also, wie es gewiß vielfach der Fall
war, der Arbeitslohn in den letzten vierzig Jahren gestiegen, aber doch der ver¬
hältnismäßige Anteil des Arbeiters am Produkt gesunken sein. Rodbertus


knecht, sondern auch der Fabrikant und Landwirt selbst, nicht bloß der Hand¬
werksgehilfe und kaufmännische Angestellte, sondern auch der Handwerksmeister
und Kaufmann selbst, soweit die persönliche Arbeitsthätigkeit der letztern in
ihrem Betriebe in Frage kommt; ja nicht bloß jeder Vertreter der produktiv im
eigentlichen Sinne thätigen Stände, d. h. der Produzenten von Sachgütern,
gehört dazu, sondern auch der Produzent von andern, von geistigen Gütern,
der Geistliche wie der Lehrer, der Künstler wie der Offizier, der Richter wie
der Arzt, der Minister, ja der regierende Fürst des Landes, der seine Zivilliste
bezieht, sie alle sind in diesem weitern Sinne Arbeitskraftbesitzer und stehen als
solche den Arbeitsstoffbesitzern gegenüber. Es ist diese Vorbemerkung namentlich
deshalb außerordentlich wichtig für die richtige Auffassung der ganzen wirt¬
schaftlichen Lage, weil auf ihr der Lehrsatz von der Solidarität der wirtschaft¬
lichen Interessen aller produktiven Stände beruht. Alles Einkommen, das die
Vertreter der Arbeitskraft beziehen, ist ihr verhältnismäßiger Anteil am Arbeits¬
produkte und heißt Arbeitsverdienst, mag dieser nun im gewöhnlichen Leben
Lohn des niedern Arbeiters, Gehalt, Scilair, Gage des höhern Arbeiters oder
persönlicher Arbeitsverdienst des selbständigen Geschäftsmannes oder Landwirtes
genannt werden. Alle diese Einkommen sind Arbeitsverdienst und stehen gegen¬
über dem Anteile am Arbeitsprodukte, welches der Arbeitsstoffbesitzer bezieht
und welches Rente heißt. Man übersehe dabei namentlich nicht, daß im Ge-
schästsertrcige des selbst mitarbeitenden Geschäftsmannes oder Landwirtes zwei
ganz entgegengesetzte Einkommensartcn stecken, sein persönlicher Arbeitsverdienst
und die Rente aus seinem Betriebskapital.

Nach welchem Prinzip nun wird sich diese Teilung des Arbeitsproduktes
in Arbeitsverdienst und Rente vollziehen? Unzweifelhaft nach dem bekannten
Gesetz von Angebot und Nachfrage. Ist das Angebot von Arbeitskraft größer,
so wird der Anteil des Arbeitskraftbesitzers oder der „verhältnismäßige Arbeits¬
verdienst" sinken, der „verhältnismäßige Anteil des Arbeitsstoffbesitzers" oder
die Rente aber steigen; ist dagegen Überfluß an Arbeitsstoff vorhanden, so wird
die Rente sinken, der verhältnismäßige Arbeitsverdienst aber steigen.

Es war die erstere Thatsache, der zunehmende Überfluß an Arbeitskraft,
welche im letzten Menschenalter namentlich ein stetiges Sinken des verhältnis¬
mäßigen Anteils der Arbeitskraftbesitzer am Produkt und Hand in Hand damit
ein rasches Steigen der Reute oder des verhältnismäßigen Anteils der Arbeits¬
stoffbesitzer mit sich brachte. Um hierbei allen Irrtum von vornherein zu ver¬
meiden, bleibe man sich wohl darüber klar, daß es sich nicht um das Steigen
und Fallen des absoluten Arbeitsverdienstes oder des Arbeitslohnes schlechtweg
handelt, sondern um das Steigen und Fallen des relativen, des verhältnis¬
mäßigen Anteils am Produkt. Es kann also, wie es gewiß vielfach der Fall
war, der Arbeitslohn in den letzten vierzig Jahren gestiegen, aber doch der ver¬
hältnismäßige Anteil des Arbeiters am Produkt gesunken sein. Rodbertus


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198230"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_445" prev="#ID_444"> knecht, sondern auch der Fabrikant und Landwirt selbst, nicht bloß der Hand¬<lb/>
werksgehilfe und kaufmännische Angestellte, sondern auch der Handwerksmeister<lb/>
und Kaufmann selbst, soweit die persönliche Arbeitsthätigkeit der letztern in<lb/>
ihrem Betriebe in Frage kommt; ja nicht bloß jeder Vertreter der produktiv im<lb/>
eigentlichen Sinne thätigen Stände, d. h. der Produzenten von Sachgütern,<lb/>
gehört dazu, sondern auch der Produzent von andern, von geistigen Gütern,<lb/>
der Geistliche wie der Lehrer, der Künstler wie der Offizier, der Richter wie<lb/>
der Arzt, der Minister, ja der regierende Fürst des Landes, der seine Zivilliste<lb/>
bezieht, sie alle sind in diesem weitern Sinne Arbeitskraftbesitzer und stehen als<lb/>
solche den Arbeitsstoffbesitzern gegenüber. Es ist diese Vorbemerkung namentlich<lb/>
deshalb außerordentlich wichtig für die richtige Auffassung der ganzen wirt¬<lb/>
schaftlichen Lage, weil auf ihr der Lehrsatz von der Solidarität der wirtschaft¬<lb/>
lichen Interessen aller produktiven Stände beruht. Alles Einkommen, das die<lb/>
Vertreter der Arbeitskraft beziehen, ist ihr verhältnismäßiger Anteil am Arbeits¬<lb/>
produkte und heißt Arbeitsverdienst, mag dieser nun im gewöhnlichen Leben<lb/>
Lohn des niedern Arbeiters, Gehalt, Scilair, Gage des höhern Arbeiters oder<lb/>
persönlicher Arbeitsverdienst des selbständigen Geschäftsmannes oder Landwirtes<lb/>
genannt werden. Alle diese Einkommen sind Arbeitsverdienst und stehen gegen¬<lb/>
über dem Anteile am Arbeitsprodukte, welches der Arbeitsstoffbesitzer bezieht<lb/>
und welches Rente heißt. Man übersehe dabei namentlich nicht, daß im Ge-<lb/>
schästsertrcige des selbst mitarbeitenden Geschäftsmannes oder Landwirtes zwei<lb/>
ganz entgegengesetzte Einkommensartcn stecken, sein persönlicher Arbeitsverdienst<lb/>
und die Rente aus seinem Betriebskapital.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_446"> Nach welchem Prinzip nun wird sich diese Teilung des Arbeitsproduktes<lb/>
in Arbeitsverdienst und Rente vollziehen? Unzweifelhaft nach dem bekannten<lb/>
Gesetz von Angebot und Nachfrage. Ist das Angebot von Arbeitskraft größer,<lb/>
so wird der Anteil des Arbeitskraftbesitzers oder der &#x201E;verhältnismäßige Arbeits¬<lb/>
verdienst" sinken, der &#x201E;verhältnismäßige Anteil des Arbeitsstoffbesitzers" oder<lb/>
die Rente aber steigen; ist dagegen Überfluß an Arbeitsstoff vorhanden, so wird<lb/>
die Rente sinken, der verhältnismäßige Arbeitsverdienst aber steigen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_447" next="#ID_448"> Es war die erstere Thatsache, der zunehmende Überfluß an Arbeitskraft,<lb/>
welche im letzten Menschenalter namentlich ein stetiges Sinken des verhältnis¬<lb/>
mäßigen Anteils der Arbeitskraftbesitzer am Produkt und Hand in Hand damit<lb/>
ein rasches Steigen der Reute oder des verhältnismäßigen Anteils der Arbeits¬<lb/>
stoffbesitzer mit sich brachte. Um hierbei allen Irrtum von vornherein zu ver¬<lb/>
meiden, bleibe man sich wohl darüber klar, daß es sich nicht um das Steigen<lb/>
und Fallen des absoluten Arbeitsverdienstes oder des Arbeitslohnes schlechtweg<lb/>
handelt, sondern um das Steigen und Fallen des relativen, des verhältnis¬<lb/>
mäßigen Anteils am Produkt. Es kann also, wie es gewiß vielfach der Fall<lb/>
war, der Arbeitslohn in den letzten vierzig Jahren gestiegen, aber doch der ver¬<lb/>
hältnismäßige Anteil des Arbeiters am Produkt gesunken sein. Rodbertus</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0164] knecht, sondern auch der Fabrikant und Landwirt selbst, nicht bloß der Hand¬ werksgehilfe und kaufmännische Angestellte, sondern auch der Handwerksmeister und Kaufmann selbst, soweit die persönliche Arbeitsthätigkeit der letztern in ihrem Betriebe in Frage kommt; ja nicht bloß jeder Vertreter der produktiv im eigentlichen Sinne thätigen Stände, d. h. der Produzenten von Sachgütern, gehört dazu, sondern auch der Produzent von andern, von geistigen Gütern, der Geistliche wie der Lehrer, der Künstler wie der Offizier, der Richter wie der Arzt, der Minister, ja der regierende Fürst des Landes, der seine Zivilliste bezieht, sie alle sind in diesem weitern Sinne Arbeitskraftbesitzer und stehen als solche den Arbeitsstoffbesitzern gegenüber. Es ist diese Vorbemerkung namentlich deshalb außerordentlich wichtig für die richtige Auffassung der ganzen wirt¬ schaftlichen Lage, weil auf ihr der Lehrsatz von der Solidarität der wirtschaft¬ lichen Interessen aller produktiven Stände beruht. Alles Einkommen, das die Vertreter der Arbeitskraft beziehen, ist ihr verhältnismäßiger Anteil am Arbeits¬ produkte und heißt Arbeitsverdienst, mag dieser nun im gewöhnlichen Leben Lohn des niedern Arbeiters, Gehalt, Scilair, Gage des höhern Arbeiters oder persönlicher Arbeitsverdienst des selbständigen Geschäftsmannes oder Landwirtes genannt werden. Alle diese Einkommen sind Arbeitsverdienst und stehen gegen¬ über dem Anteile am Arbeitsprodukte, welches der Arbeitsstoffbesitzer bezieht und welches Rente heißt. Man übersehe dabei namentlich nicht, daß im Ge- schästsertrcige des selbst mitarbeitenden Geschäftsmannes oder Landwirtes zwei ganz entgegengesetzte Einkommensartcn stecken, sein persönlicher Arbeitsverdienst und die Rente aus seinem Betriebskapital. Nach welchem Prinzip nun wird sich diese Teilung des Arbeitsproduktes in Arbeitsverdienst und Rente vollziehen? Unzweifelhaft nach dem bekannten Gesetz von Angebot und Nachfrage. Ist das Angebot von Arbeitskraft größer, so wird der Anteil des Arbeitskraftbesitzers oder der „verhältnismäßige Arbeits¬ verdienst" sinken, der „verhältnismäßige Anteil des Arbeitsstoffbesitzers" oder die Rente aber steigen; ist dagegen Überfluß an Arbeitsstoff vorhanden, so wird die Rente sinken, der verhältnismäßige Arbeitsverdienst aber steigen. Es war die erstere Thatsache, der zunehmende Überfluß an Arbeitskraft, welche im letzten Menschenalter namentlich ein stetiges Sinken des verhältnis¬ mäßigen Anteils der Arbeitskraftbesitzer am Produkt und Hand in Hand damit ein rasches Steigen der Reute oder des verhältnismäßigen Anteils der Arbeits¬ stoffbesitzer mit sich brachte. Um hierbei allen Irrtum von vornherein zu ver¬ meiden, bleibe man sich wohl darüber klar, daß es sich nicht um das Steigen und Fallen des absoluten Arbeitsverdienstes oder des Arbeitslohnes schlechtweg handelt, sondern um das Steigen und Fallen des relativen, des verhältnis¬ mäßigen Anteils am Produkt. Es kann also, wie es gewiß vielfach der Fall war, der Arbeitslohn in den letzten vierzig Jahren gestiegen, aber doch der ver¬ hältnismäßige Anteil des Arbeiters am Produkt gesunken sein. Rodbertus

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/164
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/164>, abgerufen am 22.07.2024.