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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Glcidstones Aussichten in Sachen Irlands.

es geht mehr oder minder lebhaft und deutlich ein Wunsch und Streben dnrch
das Volk, wenigstens durch seine obern Schichten, dem Niedergange durch Zu¬
sammenfassung aller Glieder des Weltreiches zu steuern, die Kolonien dem Mutter¬
lande zu nähern, sie möglichst mit ihm zu verbinden und einen einzigen Körper
herzustellen. Dagegen verstößt Gladstone, wenn er die Vereinigung Gro߬
britanniens mit Irland lockern, es zur Kolonie machen will. Wären selbst viele"
englischen Liberalen nicht schon die Augen darüber aufgegangen, daß die Freiheit,
die Gladstone den Jrländcni geben will, eine Schwächung Großbritanniens be¬
deutet, so müßten sie ihnen aufgehen, wenn sie sehen, wie die französische und
die Murcepresse den Gladstoneschen Plan mit Wohlgefallen begrüßt. Die Fran¬
zosen sehen einerseits damit den Grund zu einer irischen Republik gelegt, ander¬
seits dem "treulosen Albiv"," das sich ihnen in der jüngsten Zeit wieder als
Nebenbuhler erwies, eine Zuchtrute aufgebunden, die sich bei passender Gelegen¬
heit in Bewegung setzen läßt. Man weiß, daß Napoleon, als er 1838 an seinen
italienischen Feldzug dachte, durch Sendlinge mit der Phönixbruderschaft, den
spätern Feinern, anknüpfte, um England, das seinem Plane einer Erwerbung
Frankreichs in Italien Widerstand leisten konnte, in Irland zu beschäftigen.
Ein irisches Parlament könnte unter Umständen einen besseren Ableiter abgeben
als eine geheime Gesellschaft. In Amerika denkt man ähnlich, zugleich aber hat
man nicht vergessen, in wie weiten englischen Kreisen 1861 bis 1864 der Wunsch
verbreitet war, der Bund der Sttdstaatcu möge siegen und die Union zerfallen,
und erwiedert diesen Wunsch jetzt mit der Hoffnung auf Zerspaltung und Abfall
in den Ländern im Osten und Westen des Georgskanals.

Die Opposition, die Gladstone auf seinem Wege fand, hat ihn nicht un¬
berührt gelassen. Er hat von der Kritik seines Planes in seiner Weise Nutzen
gezogen und scheint in gewissem Maße klein beigeben zu wolle". Die Rede,
mit welcher er auf die Angriffe Hicks-Beachs antwortete und die Debatte der
ersten Lesung abschloß, enthüllte, daß er Abänderungen seines Planes nicht un¬
zugänglich sein würde. Der Führer der Opposition hatte nochmals gegen "ein
Kapituliren vor denen, welche erfolgreich der ausübenden Gewalt und dein Ge¬
setze Trotz geboten," Verwahrung eingelegt und de" Premier selbst als Zeugen
für den Glauben zitirt, daß Parnell und die irische Landliga die ärgsten Feinde
Irlands seien. Gladstones Antwort zeigte deutlich, in welche arge Verlegen¬
heit ihn der Widerstand gegen seine Vorschläge im Unterhause gebracht hatte.
Er wollte jetzt in den Eintritt irischer Abgeordneter in Westminster willigen,
da "ihre Ausschließung kein wesentlicher Teil des Planes sei." Dieser Punkt
soll "weiterer Prüfung offen bleiben," und jeder Politiker weiß, was das be¬
deutet. Anderseits hat Gladstone im Laufe der Debatte entdeckt, daß das Ver¬
bleiben der Zölle und der Aeeiseeinunhmen unter der Verfügung des Neichs-
parlaments kein unbedingt notwendiges Zubehör seines Planes ist. Das sind
bedenkliche Umgestaltungen des letztern. Faßt man beide zusammen, so deuten


Glcidstones Aussichten in Sachen Irlands.

es geht mehr oder minder lebhaft und deutlich ein Wunsch und Streben dnrch
das Volk, wenigstens durch seine obern Schichten, dem Niedergange durch Zu¬
sammenfassung aller Glieder des Weltreiches zu steuern, die Kolonien dem Mutter¬
lande zu nähern, sie möglichst mit ihm zu verbinden und einen einzigen Körper
herzustellen. Dagegen verstößt Gladstone, wenn er die Vereinigung Gro߬
britanniens mit Irland lockern, es zur Kolonie machen will. Wären selbst viele»
englischen Liberalen nicht schon die Augen darüber aufgegangen, daß die Freiheit,
die Gladstone den Jrländcni geben will, eine Schwächung Großbritanniens be¬
deutet, so müßten sie ihnen aufgehen, wenn sie sehen, wie die französische und
die Murcepresse den Gladstoneschen Plan mit Wohlgefallen begrüßt. Die Fran¬
zosen sehen einerseits damit den Grund zu einer irischen Republik gelegt, ander¬
seits dem „treulosen Albiv»," das sich ihnen in der jüngsten Zeit wieder als
Nebenbuhler erwies, eine Zuchtrute aufgebunden, die sich bei passender Gelegen¬
heit in Bewegung setzen läßt. Man weiß, daß Napoleon, als er 1838 an seinen
italienischen Feldzug dachte, durch Sendlinge mit der Phönixbruderschaft, den
spätern Feinern, anknüpfte, um England, das seinem Plane einer Erwerbung
Frankreichs in Italien Widerstand leisten konnte, in Irland zu beschäftigen.
Ein irisches Parlament könnte unter Umständen einen besseren Ableiter abgeben
als eine geheime Gesellschaft. In Amerika denkt man ähnlich, zugleich aber hat
man nicht vergessen, in wie weiten englischen Kreisen 1861 bis 1864 der Wunsch
verbreitet war, der Bund der Sttdstaatcu möge siegen und die Union zerfallen,
und erwiedert diesen Wunsch jetzt mit der Hoffnung auf Zerspaltung und Abfall
in den Ländern im Osten und Westen des Georgskanals.

Die Opposition, die Gladstone auf seinem Wege fand, hat ihn nicht un¬
berührt gelassen. Er hat von der Kritik seines Planes in seiner Weise Nutzen
gezogen und scheint in gewissem Maße klein beigeben zu wolle». Die Rede,
mit welcher er auf die Angriffe Hicks-Beachs antwortete und die Debatte der
ersten Lesung abschloß, enthüllte, daß er Abänderungen seines Planes nicht un¬
zugänglich sein würde. Der Führer der Opposition hatte nochmals gegen „ein
Kapituliren vor denen, welche erfolgreich der ausübenden Gewalt und dein Ge¬
setze Trotz geboten," Verwahrung eingelegt und de» Premier selbst als Zeugen
für den Glauben zitirt, daß Parnell und die irische Landliga die ärgsten Feinde
Irlands seien. Gladstones Antwort zeigte deutlich, in welche arge Verlegen¬
heit ihn der Widerstand gegen seine Vorschläge im Unterhause gebracht hatte.
Er wollte jetzt in den Eintritt irischer Abgeordneter in Westminster willigen,
da „ihre Ausschließung kein wesentlicher Teil des Planes sei." Dieser Punkt
soll „weiterer Prüfung offen bleiben," und jeder Politiker weiß, was das be¬
deutet. Anderseits hat Gladstone im Laufe der Debatte entdeckt, daß das Ver¬
bleiben der Zölle und der Aeeiseeinunhmen unter der Verfügung des Neichs-
parlaments kein unbedingt notwendiges Zubehör seines Planes ist. Das sind
bedenkliche Umgestaltungen des letztern. Faßt man beide zusammen, so deuten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/158>, abgerufen am 01.07.2024.