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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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schcift mit zwei Buchhändlern, die ich als charakteristische Vertreter der beiden
Enden ihres Standes ansehen möchte. Der eine war ein emporgekommcner
Antiquar; eigentlich hatte er Schreiber werden sollen, man konnte ihn aber in
keiner Amtsstube brauchen. Ein lieber Mann! Namentlich die Gymnasiasten
schätzten ihn als helfenden Freund in allen Lebenslagen. Die meisten verkehrten
zwar auch bei einem vornehmeren Vnchhändlcr und kauften dort auf Rechnung
des Elternhauses. Aber wenn man eine wörtliche Übersetzung zu Vergil und
Ovid nötig hatte, so wagte man doch nicht, dorthin zu gehen; wußte man doch
auch, das; unser Freund in der Seitengasse alle erforderlichen Eselsbrücken ans
Lager hatte, selbst die Übersetzungen, die "nur an Lehrer" verschickt werden.
Und wenn alle Schwarten nichts halfen und das Qnartalzengnis zu schlecht
ausfiel, als daß mau es dem gestrengen Herrn Papa hätte zeigen können, so
konnte man bei unserm liebenswürdigen Antiquar für gute Worte und drei Mark
getreue Nachahmungen der bekannten Zengnisformularc bekommen und diese
mit verstellter Handschrift selber ausfüllen. Was konnte man nicht alles in dem
Laden erhalten! Sogar Taschengeld! Kam da zuweilen ein verlegner sekundärer
mit Schillers Werken, dem Geburtstagsgeschenk, unterm Arm. "Thut mir leid,
Schillers habe ich jetzt zu viel auf Lager -- wenn Sie vielleicht einen gut
erhaltenen Goethe hätten, aber wie neu müßte er sein!" Einen Goethe hatte
der arme Junge freilich nicht, aber Kredit bei einem andern Buchhändler, und
so geschah es denn zuweilen, daß am selben Tage dasselbe Exemplar von Goethe?
Werken in einem Laden als neu gekauft wurde, im andern als alt verkauft und
von dem schlauen Antiquar wiederum als neu einem Besteller zugeschickt wurde,
der mit Gewalt 26 Prozent Rabatt haben wollte. Illib<zue sua tatir lidvlli!
Es bekam nicht etwa jeder Kunde zwanzig bis dreißig Prozent: soviel gebührte
mir den Gescheiten und Hartnäckigen; je weniger gerieben der Käufer war, desto
weniger Rabatt, und die ganz Dummen bezahlten gar mehr, als in den Kata¬
logen stand. Man sieht, unser Freund hatte Grundsätze, ganz moderne Grundsätze.
Die Polizei konnte ihn jedoch nicht ganz würdigen, sie wußte auch, daß er
verbotene politische Bücher unter dem Siegel der Verschwiegenheit verschaffte.
Sie hätte ihn gern unschädlich gemacht, aber die Weisheit biederer Wachtmeister,
die sich an Spitzbuben und Landstreichern gebildet haben, reicht nicht hin,
moralische Giftmischer zu fangen. Und so gedeiht denn dieser dunkle Ehren¬
mann immer noch, und wenn der geneigte Leser seine Firma wissen will, so mag
er nur in der pikante" Ecke des Anzeigenteiles unsrer Wochenblätter -- einige
Fmnilienl'kälter eingeschlossen -- nachsehen, dort steht auch sein edler Name von
Zeit zu Zeit.

Einen ganz andern Eindruck machte mir der zweite Buchhändler, von dem
ich hier reden will; er wollte sich anfangs nicht einmal zu zehn Prozent Rabatt
bequemen. Er war gelernter Buchhändler, hatte aber auch recht armselig als
Antiquar angefangen und sich langsam empvrgetampft; doch bald gehörte er zu


schcift mit zwei Buchhändlern, die ich als charakteristische Vertreter der beiden
Enden ihres Standes ansehen möchte. Der eine war ein emporgekommcner
Antiquar; eigentlich hatte er Schreiber werden sollen, man konnte ihn aber in
keiner Amtsstube brauchen. Ein lieber Mann! Namentlich die Gymnasiasten
schätzten ihn als helfenden Freund in allen Lebenslagen. Die meisten verkehrten
zwar auch bei einem vornehmeren Vnchhändlcr und kauften dort auf Rechnung
des Elternhauses. Aber wenn man eine wörtliche Übersetzung zu Vergil und
Ovid nötig hatte, so wagte man doch nicht, dorthin zu gehen; wußte man doch
auch, das; unser Freund in der Seitengasse alle erforderlichen Eselsbrücken ans
Lager hatte, selbst die Übersetzungen, die „nur an Lehrer" verschickt werden.
Und wenn alle Schwarten nichts halfen und das Qnartalzengnis zu schlecht
ausfiel, als daß mau es dem gestrengen Herrn Papa hätte zeigen können, so
konnte man bei unserm liebenswürdigen Antiquar für gute Worte und drei Mark
getreue Nachahmungen der bekannten Zengnisformularc bekommen und diese
mit verstellter Handschrift selber ausfüllen. Was konnte man nicht alles in dem
Laden erhalten! Sogar Taschengeld! Kam da zuweilen ein verlegner sekundärer
mit Schillers Werken, dem Geburtstagsgeschenk, unterm Arm. „Thut mir leid,
Schillers habe ich jetzt zu viel auf Lager — wenn Sie vielleicht einen gut
erhaltenen Goethe hätten, aber wie neu müßte er sein!" Einen Goethe hatte
der arme Junge freilich nicht, aber Kredit bei einem andern Buchhändler, und
so geschah es denn zuweilen, daß am selben Tage dasselbe Exemplar von Goethe?
Werken in einem Laden als neu gekauft wurde, im andern als alt verkauft und
von dem schlauen Antiquar wiederum als neu einem Besteller zugeschickt wurde,
der mit Gewalt 26 Prozent Rabatt haben wollte. Illib<zue sua tatir lidvlli!
Es bekam nicht etwa jeder Kunde zwanzig bis dreißig Prozent: soviel gebührte
mir den Gescheiten und Hartnäckigen; je weniger gerieben der Käufer war, desto
weniger Rabatt, und die ganz Dummen bezahlten gar mehr, als in den Kata¬
logen stand. Man sieht, unser Freund hatte Grundsätze, ganz moderne Grundsätze.
Die Polizei konnte ihn jedoch nicht ganz würdigen, sie wußte auch, daß er
verbotene politische Bücher unter dem Siegel der Verschwiegenheit verschaffte.
Sie hätte ihn gern unschädlich gemacht, aber die Weisheit biederer Wachtmeister,
die sich an Spitzbuben und Landstreichern gebildet haben, reicht nicht hin,
moralische Giftmischer zu fangen. Und so gedeiht denn dieser dunkle Ehren¬
mann immer noch, und wenn der geneigte Leser seine Firma wissen will, so mag
er nur in der pikante» Ecke des Anzeigenteiles unsrer Wochenblätter — einige
Fmnilienl'kälter eingeschlossen — nachsehen, dort steht auch sein edler Name von
Zeit zu Zeit.

Einen ganz andern Eindruck machte mir der zweite Buchhändler, von dem
ich hier reden will; er wollte sich anfangs nicht einmal zu zehn Prozent Rabatt
bequemen. Er war gelernter Buchhändler, hatte aber auch recht armselig als
Antiquar angefangen und sich langsam empvrgetampft; doch bald gehörte er zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/136>, abgerufen am 02.07.2024.