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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Neue Parteibildungen in "Österreich,

Nach dieser allgemeinen Bemerkung wird man es erklärlich finden, daß in
Österreich auch neue Parteien entstehen können, ohne das; über die Ursachen
solcher Bildungen genügende oder richtige Aufschlüsse gegeben werden. So wurde
denn anch über den neugeschaffnem "Deutschen Klub" im Abgeordnetenhause des
österreichischen Neichsrates von den liberalen Zeitungen ein falsches Licht ver¬
breitet, und selbst gegenwärtig wird das Publikum über die Ziele jenes Klubs
im Irrtume gelassen und auch absichtlich zu irrigen Vorstellungen geführt. Um
wie viel größern Entstellungen und Verdrehungen find erst jene Parteigruppen
in Österreich ausgesetzt, welche andern Nationalitäten angehören! Wenn schon
die Deutschen, welche der liberalen Partei nicht durchgehends zu Diensten stehen
könne", vor den Werkzeugen dieser Partei nicht geschützt sind, so erscheinen die
Slawen in dieser Hinsicht in buchstäblichem Sinne ausgeliefert. Gerade die sla¬
wischen Volksstämme Österreichs haben keine gemeinsame Zeitung, obgleich die
Prager "Politik" fälschlich dafür ausgegeben wird. Dieses Blatt vertritt gegen¬
wärtig nichts mehr und nichts weniger als die Politik des böhmischen Klubs
und allenfalls die Richtung jener slawischen Abgeordneten, welche mit diesem
Klub einigermaßen gleiche Wege gehen. Das Prager Blatt hat aber, ganz ab¬
gesehen von andern Slawen, nicht einmal das böhmische Volk für sich; denn
das letztere stimmt zum großen Teile mit ihm durchaus nicht überein. Die
übrigen Slawen Österreichs sind durch gar kein großes Blatt weder im Jn-
noch im Auslande vertreten, sie bleiben dem Belieben der herrschenden liberalen
Presse überlassen. Man hat daher volles Recht zu der Annahme, daß ins¬
besondre über die Bewegungen und Absichten der Slawen Österreichs im Aus¬
lande und besonders auch in Deutschland die unrichtigsten Vorstellungen ver¬
breitet werden.

Soweit sich die Slawen in den parlamentarischen Vertretungen äußern
können, kann allerdings auch das Ausland davon Kenntnis erhalten. Man
muß jedoch bedenken, daß z. B. im Budapester Reichstage die Slawen nur
zum geringsten Teile vertreten sind, und daß selbst im Reichsrate in Wien die
slawischen Vertreter nur den Willen von Bruchteilen der von ihnen vertretenen
Volksstämme zum Ausdruck bringen; dann wird man sich nicht darüber wundern,
daß Über- und Unterströmungen auch gewichtiger Art dem allgemeinen Publikum
des In-, noch mehr aber des Auslandes vollständig unbekannt bleiben.

Thatsächlich bestehen in Österreich neue Strömungen und Richtungen nnter
den verschiednen Volksstämmen. Will man aber diese neuen Bewegungen und
Ansätze zu "eilen Parteigebilden richtig erfasse", so muß man die Beschaffenheit
der bisherigen Parteien im Auge behalten. Die sogenannte liberale Partei,
welche sich längere Zeit hindurch den Namen Verfassungspartei beilegte und
zuletzt als Reichsratslinke xu.r kxvvil"zu<AZ die verschiednen Schattirnngen der
deutschen Volksvertreter aufs innigste vereinigt zu haben glnnbte, war stets
eins mit denjenigen Interesse", welche dem Kapital dienen, Sie wurde von


Neue Parteibildungen in «Österreich,

Nach dieser allgemeinen Bemerkung wird man es erklärlich finden, daß in
Österreich auch neue Parteien entstehen können, ohne das; über die Ursachen
solcher Bildungen genügende oder richtige Aufschlüsse gegeben werden. So wurde
denn anch über den neugeschaffnem „Deutschen Klub" im Abgeordnetenhause des
österreichischen Neichsrates von den liberalen Zeitungen ein falsches Licht ver¬
breitet, und selbst gegenwärtig wird das Publikum über die Ziele jenes Klubs
im Irrtume gelassen und auch absichtlich zu irrigen Vorstellungen geführt. Um
wie viel größern Entstellungen und Verdrehungen find erst jene Parteigruppen
in Österreich ausgesetzt, welche andern Nationalitäten angehören! Wenn schon
die Deutschen, welche der liberalen Partei nicht durchgehends zu Diensten stehen
könne», vor den Werkzeugen dieser Partei nicht geschützt sind, so erscheinen die
Slawen in dieser Hinsicht in buchstäblichem Sinne ausgeliefert. Gerade die sla¬
wischen Volksstämme Österreichs haben keine gemeinsame Zeitung, obgleich die
Prager „Politik" fälschlich dafür ausgegeben wird. Dieses Blatt vertritt gegen¬
wärtig nichts mehr und nichts weniger als die Politik des böhmischen Klubs
und allenfalls die Richtung jener slawischen Abgeordneten, welche mit diesem
Klub einigermaßen gleiche Wege gehen. Das Prager Blatt hat aber, ganz ab¬
gesehen von andern Slawen, nicht einmal das böhmische Volk für sich; denn
das letztere stimmt zum großen Teile mit ihm durchaus nicht überein. Die
übrigen Slawen Österreichs sind durch gar kein großes Blatt weder im Jn-
noch im Auslande vertreten, sie bleiben dem Belieben der herrschenden liberalen
Presse überlassen. Man hat daher volles Recht zu der Annahme, daß ins¬
besondre über die Bewegungen und Absichten der Slawen Österreichs im Aus¬
lande und besonders auch in Deutschland die unrichtigsten Vorstellungen ver¬
breitet werden.

Soweit sich die Slawen in den parlamentarischen Vertretungen äußern
können, kann allerdings auch das Ausland davon Kenntnis erhalten. Man
muß jedoch bedenken, daß z. B. im Budapester Reichstage die Slawen nur
zum geringsten Teile vertreten sind, und daß selbst im Reichsrate in Wien die
slawischen Vertreter nur den Willen von Bruchteilen der von ihnen vertretenen
Volksstämme zum Ausdruck bringen; dann wird man sich nicht darüber wundern,
daß Über- und Unterströmungen auch gewichtiger Art dem allgemeinen Publikum
des In-, noch mehr aber des Auslandes vollständig unbekannt bleiben.

Thatsächlich bestehen in Österreich neue Strömungen und Richtungen nnter
den verschiednen Volksstämmen. Will man aber diese neuen Bewegungen und
Ansätze zu »eilen Parteigebilden richtig erfasse», so muß man die Beschaffenheit
der bisherigen Parteien im Auge behalten. Die sogenannte liberale Partei,
welche sich längere Zeit hindurch den Namen Verfassungspartei beilegte und
zuletzt als Reichsratslinke xu.r kxvvil«zu<AZ die verschiednen Schattirnngen der
deutschen Volksvertreter aufs innigste vereinigt zu haben glnnbte, war stets
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[0012] Neue Parteibildungen in «Österreich, Nach dieser allgemeinen Bemerkung wird man es erklärlich finden, daß in Österreich auch neue Parteien entstehen können, ohne das; über die Ursachen solcher Bildungen genügende oder richtige Aufschlüsse gegeben werden. So wurde denn anch über den neugeschaffnem „Deutschen Klub" im Abgeordnetenhause des österreichischen Neichsrates von den liberalen Zeitungen ein falsches Licht ver¬ breitet, und selbst gegenwärtig wird das Publikum über die Ziele jenes Klubs im Irrtume gelassen und auch absichtlich zu irrigen Vorstellungen geführt. Um wie viel größern Entstellungen und Verdrehungen find erst jene Parteigruppen in Österreich ausgesetzt, welche andern Nationalitäten angehören! Wenn schon die Deutschen, welche der liberalen Partei nicht durchgehends zu Diensten stehen könne», vor den Werkzeugen dieser Partei nicht geschützt sind, so erscheinen die Slawen in dieser Hinsicht in buchstäblichem Sinne ausgeliefert. Gerade die sla¬ wischen Volksstämme Österreichs haben keine gemeinsame Zeitung, obgleich die Prager „Politik" fälschlich dafür ausgegeben wird. Dieses Blatt vertritt gegen¬ wärtig nichts mehr und nichts weniger als die Politik des böhmischen Klubs und allenfalls die Richtung jener slawischen Abgeordneten, welche mit diesem Klub einigermaßen gleiche Wege gehen. Das Prager Blatt hat aber, ganz ab¬ gesehen von andern Slawen, nicht einmal das böhmische Volk für sich; denn das letztere stimmt zum großen Teile mit ihm durchaus nicht überein. Die übrigen Slawen Österreichs sind durch gar kein großes Blatt weder im Jn- noch im Auslande vertreten, sie bleiben dem Belieben der herrschenden liberalen Presse überlassen. Man hat daher volles Recht zu der Annahme, daß ins¬ besondre über die Bewegungen und Absichten der Slawen Österreichs im Aus¬ lande und besonders auch in Deutschland die unrichtigsten Vorstellungen ver¬ breitet werden. Soweit sich die Slawen in den parlamentarischen Vertretungen äußern können, kann allerdings auch das Ausland davon Kenntnis erhalten. Man muß jedoch bedenken, daß z. B. im Budapester Reichstage die Slawen nur zum geringsten Teile vertreten sind, und daß selbst im Reichsrate in Wien die slawischen Vertreter nur den Willen von Bruchteilen der von ihnen vertretenen Volksstämme zum Ausdruck bringen; dann wird man sich nicht darüber wundern, daß Über- und Unterströmungen auch gewichtiger Art dem allgemeinen Publikum des In-, noch mehr aber des Auslandes vollständig unbekannt bleiben. Thatsächlich bestehen in Österreich neue Strömungen und Richtungen nnter den verschiednen Volksstämmen. Will man aber diese neuen Bewegungen und Ansätze zu »eilen Parteigebilden richtig erfasse», so muß man die Beschaffenheit der bisherigen Parteien im Auge behalten. Die sogenannte liberale Partei, welche sich längere Zeit hindurch den Namen Verfassungspartei beilegte und zuletzt als Reichsratslinke xu.r kxvvil«zu<AZ die verschiednen Schattirnngen der deutschen Volksvertreter aufs innigste vereinigt zu haben glnnbte, war stets eins mit denjenigen Interesse», welche dem Kapital dienen, Sie wurde von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/12>, abgerufen am 28.12.2024.