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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Sonntagsarbeit,

angeordnet werden, aber alles wieder dadurch abgeschwächt wird, daß man die Ver¬
pflichtung zur Sonntagsarbeit für die Arbeiter allgemein in Fällen, welche keinen
Aufschub und keine Unterbrechung gestatten, zuläßt, und die Freiheit der jugend¬
lichen Arbeiter von der Sonntagsarbeit auf die Zeit von sechs Uhr morgens bis
sechs Uhr abends beschränkt hat. Um bei dem letzten Punkte stehen zu bleiben, so
ist es selbstverständlich, daß, wenn ein jugendlicher Arbeiter die ganze Nacht von
Sonnabend Abend bis Sonntag früh sechs Uhr beschäftigt gewesen ist, und
von Sonntag Abend sechs Uhr die ganze Nacht wieder beschäftigt werden soll,
die zwölf Stunden dazwischen zwar Ruhestunden, aber keine Stunden für
Sonntagsruhe sind, souderu durch Schlaf, Ehlen und Trinken und allenfalls
einen kleinen Spaziergang genügend ausgefüllt werden, Zeit zum Besuche des
Gottesdienstes aber oder einer Sonntagsschule nicht gewähren. Und was das
Verhältnis der übrigen Arbeiter anlangt, so ist die ganze Naivität eines richtigen
Manchestcrmanncs dazu nötig, um zu glauben, daß das Verbot der Verpflichtung
zur Sonntngsarbeit den Arbeiter schütze, da es genügende Mittel in der Hand
des Fabrikanten giebt, dies Verbot zu umgehen. Er braucht ja nur allen
Arbeitern, welche die Sonntagsarbeit nicht übernehmen wollen, zu kündigen, ja
er braucht als der wirtschaftlich stärkere uur gegenüber den von ihm abhängigen
Arbeitern den Wunsch, daß Sonntags gearbeitet werde, mit einiger Lebhaftigkeit
auszusprechen, um alles zu erreichen, was er will. Oder glaubt man vielleicht,
der Arbeiter werde seinen Arbeitgeber, bei dem er sein gutes Brot hat, zur
Anzeige bringen, weil dieser Sonntagsarbeit verlangt, die die Einnahme des
Arbeiters noch dazu steigert? Wie unbestimmt ist ferner der Begriff der Aus¬
nahmen gefaßt mit der Bezeichnung "Fülle, welche keinen Aufschub oder keine
Unterbrechung gestatten." Der Fabrikant, welcher Sonnabends die Feuer unter
dem Dampfkessel ausgehen lassen soll, um sie Montags wieder anzuzünden, ist
natürlich der Ansicht, daß die dabei eintretenden unzweifelhafte" Verluste von
Heizmaterial beweisen, daß eine Unterbrechung nicht eintreten könne, wie er
anderseits bei jeder einigermaßen eiligen Bestellung annimmt, daß ein Aufschub
nicht zulässig sei. Und doch kann in den meisten derartigen Fällen mit etwas
Verlust an Feuerungsmntericil oder etwas mehr Produktionskosten bei Anstellung
einer größern Arbeiterzahl allen Arbeitern Sonntagsruhe gegönnt werden, und
wir stehen also nur vor der Frage: Soll der Fabrikant etwas mehr verdienen
oder der Arbeiter besser gestellt sein? Es werden freilich Fabriken errichtet,
welche nur verdienen können, wenn die Produktionskosten auf ein Minimum
herabgedrückt werden, da sie sonst keine Konkurrenz aushalten können; diese
können bei Einführung der Sonntagsruhe möglichenfalls nicht mehr bestehen.
Wer ein richtig in der Wolle gefärbter Anhänger der Adam Sandschen Theorie
ist, müßte schon solchen Fabriken gegenüber die Sonntagsruhe verwerfe"; wer
aber nicht bloß das Hervorbringen von Gütern, sondern auch die Art und Weise,
wie sie hervorgebracht werden, für der Betrachtung wert hält -- und diese An-


Die Sonntagsarbeit,

angeordnet werden, aber alles wieder dadurch abgeschwächt wird, daß man die Ver¬
pflichtung zur Sonntagsarbeit für die Arbeiter allgemein in Fällen, welche keinen
Aufschub und keine Unterbrechung gestatten, zuläßt, und die Freiheit der jugend¬
lichen Arbeiter von der Sonntagsarbeit auf die Zeit von sechs Uhr morgens bis
sechs Uhr abends beschränkt hat. Um bei dem letzten Punkte stehen zu bleiben, so
ist es selbstverständlich, daß, wenn ein jugendlicher Arbeiter die ganze Nacht von
Sonnabend Abend bis Sonntag früh sechs Uhr beschäftigt gewesen ist, und
von Sonntag Abend sechs Uhr die ganze Nacht wieder beschäftigt werden soll,
die zwölf Stunden dazwischen zwar Ruhestunden, aber keine Stunden für
Sonntagsruhe sind, souderu durch Schlaf, Ehlen und Trinken und allenfalls
einen kleinen Spaziergang genügend ausgefüllt werden, Zeit zum Besuche des
Gottesdienstes aber oder einer Sonntagsschule nicht gewähren. Und was das
Verhältnis der übrigen Arbeiter anlangt, so ist die ganze Naivität eines richtigen
Manchestcrmanncs dazu nötig, um zu glauben, daß das Verbot der Verpflichtung
zur Sonntngsarbeit den Arbeiter schütze, da es genügende Mittel in der Hand
des Fabrikanten giebt, dies Verbot zu umgehen. Er braucht ja nur allen
Arbeitern, welche die Sonntagsarbeit nicht übernehmen wollen, zu kündigen, ja
er braucht als der wirtschaftlich stärkere uur gegenüber den von ihm abhängigen
Arbeitern den Wunsch, daß Sonntags gearbeitet werde, mit einiger Lebhaftigkeit
auszusprechen, um alles zu erreichen, was er will. Oder glaubt man vielleicht,
der Arbeiter werde seinen Arbeitgeber, bei dem er sein gutes Brot hat, zur
Anzeige bringen, weil dieser Sonntagsarbeit verlangt, die die Einnahme des
Arbeiters noch dazu steigert? Wie unbestimmt ist ferner der Begriff der Aus¬
nahmen gefaßt mit der Bezeichnung „Fülle, welche keinen Aufschub oder keine
Unterbrechung gestatten." Der Fabrikant, welcher Sonnabends die Feuer unter
dem Dampfkessel ausgehen lassen soll, um sie Montags wieder anzuzünden, ist
natürlich der Ansicht, daß die dabei eintretenden unzweifelhafte» Verluste von
Heizmaterial beweisen, daß eine Unterbrechung nicht eintreten könne, wie er
anderseits bei jeder einigermaßen eiligen Bestellung annimmt, daß ein Aufschub
nicht zulässig sei. Und doch kann in den meisten derartigen Fällen mit etwas
Verlust an Feuerungsmntericil oder etwas mehr Produktionskosten bei Anstellung
einer größern Arbeiterzahl allen Arbeitern Sonntagsruhe gegönnt werden, und
wir stehen also nur vor der Frage: Soll der Fabrikant etwas mehr verdienen
oder der Arbeiter besser gestellt sein? Es werden freilich Fabriken errichtet,
welche nur verdienen können, wenn die Produktionskosten auf ein Minimum
herabgedrückt werden, da sie sonst keine Konkurrenz aushalten können; diese
können bei Einführung der Sonntagsruhe möglichenfalls nicht mehr bestehen.
Wer ein richtig in der Wolle gefärbter Anhänger der Adam Sandschen Theorie
ist, müßte schon solchen Fabriken gegenüber die Sonntagsruhe verwerfe»; wer
aber nicht bloß das Hervorbringen von Gütern, sondern auch die Art und Weise,
wie sie hervorgebracht werden, für der Betrachtung wert hält — und diese An-


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[0116] Die Sonntagsarbeit, angeordnet werden, aber alles wieder dadurch abgeschwächt wird, daß man die Ver¬ pflichtung zur Sonntagsarbeit für die Arbeiter allgemein in Fällen, welche keinen Aufschub und keine Unterbrechung gestatten, zuläßt, und die Freiheit der jugend¬ lichen Arbeiter von der Sonntagsarbeit auf die Zeit von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends beschränkt hat. Um bei dem letzten Punkte stehen zu bleiben, so ist es selbstverständlich, daß, wenn ein jugendlicher Arbeiter die ganze Nacht von Sonnabend Abend bis Sonntag früh sechs Uhr beschäftigt gewesen ist, und von Sonntag Abend sechs Uhr die ganze Nacht wieder beschäftigt werden soll, die zwölf Stunden dazwischen zwar Ruhestunden, aber keine Stunden für Sonntagsruhe sind, souderu durch Schlaf, Ehlen und Trinken und allenfalls einen kleinen Spaziergang genügend ausgefüllt werden, Zeit zum Besuche des Gottesdienstes aber oder einer Sonntagsschule nicht gewähren. Und was das Verhältnis der übrigen Arbeiter anlangt, so ist die ganze Naivität eines richtigen Manchestcrmanncs dazu nötig, um zu glauben, daß das Verbot der Verpflichtung zur Sonntngsarbeit den Arbeiter schütze, da es genügende Mittel in der Hand des Fabrikanten giebt, dies Verbot zu umgehen. Er braucht ja nur allen Arbeitern, welche die Sonntagsarbeit nicht übernehmen wollen, zu kündigen, ja er braucht als der wirtschaftlich stärkere uur gegenüber den von ihm abhängigen Arbeitern den Wunsch, daß Sonntags gearbeitet werde, mit einiger Lebhaftigkeit auszusprechen, um alles zu erreichen, was er will. Oder glaubt man vielleicht, der Arbeiter werde seinen Arbeitgeber, bei dem er sein gutes Brot hat, zur Anzeige bringen, weil dieser Sonntagsarbeit verlangt, die die Einnahme des Arbeiters noch dazu steigert? Wie unbestimmt ist ferner der Begriff der Aus¬ nahmen gefaßt mit der Bezeichnung „Fülle, welche keinen Aufschub oder keine Unterbrechung gestatten." Der Fabrikant, welcher Sonnabends die Feuer unter dem Dampfkessel ausgehen lassen soll, um sie Montags wieder anzuzünden, ist natürlich der Ansicht, daß die dabei eintretenden unzweifelhafte» Verluste von Heizmaterial beweisen, daß eine Unterbrechung nicht eintreten könne, wie er anderseits bei jeder einigermaßen eiligen Bestellung annimmt, daß ein Aufschub nicht zulässig sei. Und doch kann in den meisten derartigen Fällen mit etwas Verlust an Feuerungsmntericil oder etwas mehr Produktionskosten bei Anstellung einer größern Arbeiterzahl allen Arbeitern Sonntagsruhe gegönnt werden, und wir stehen also nur vor der Frage: Soll der Fabrikant etwas mehr verdienen oder der Arbeiter besser gestellt sein? Es werden freilich Fabriken errichtet, welche nur verdienen können, wenn die Produktionskosten auf ein Minimum herabgedrückt werden, da sie sonst keine Konkurrenz aushalten können; diese können bei Einführung der Sonntagsruhe möglichenfalls nicht mehr bestehen. Wer ein richtig in der Wolle gefärbter Anhänger der Adam Sandschen Theorie ist, müßte schon solchen Fabriken gegenüber die Sonntagsruhe verwerfe»; wer aber nicht bloß das Hervorbringen von Gütern, sondern auch die Art und Weise, wie sie hervorgebracht werden, für der Betrachtung wert hält — und diese An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/116>, abgerufen am 29.12.2024.