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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Korps und Burschenschafter.

Einigung zu zwingen. Aus der Fülle des Materials erlauben wir uns nur
eiuen charakteristischen Fall mitzuteilen.

Es war im Sommer 1881, als ein junger Burschenschafter aus Königs¬
berg in Bonn studirte. Er trug damals den rechten Arm in der Binde, da
ihm die Muskulatur desselben durch einen wenige Monate vorher in Leipzig
empfangenen Säbelhieb gelähmt war. Eines Abends hatte er das Unglück,
mit einem alten Herrn eines Bonner Korps in einen Wortwechsel zu geraten,
dessen Veranlassung durchaus hinfälliger Art war, der aber nichtsdestoweniger
von neuem zu einer schweren Forderung führte. Er ging, ohnehin ein Stümper,
auf krumme Säbel links los lind starb drei Tage daraus an einem Hieb in
die Lunge. Der andre, der bereits einmal das Unglück gehabt hatte, einen
Gegner zu töten, floh über die Grenze und ist mittlerweile in Amerika ver¬
storben. Es sielen somit zwei Existenzen nicht vor dem sogenannten Moloch
Duell, sondern dem wirklichen Moloch: "Verruf zwischen Korps und Burschen¬
schafter." Jener unglückliche Ausgang wäre auf jeden Fall vermieden worden,
wenn dieses chronisch gewordne Verhältnis nicht jeden Kontrahenten von vorn¬
herein in eine ganz falsche Position brächte, und so frivol und unnütz jedem
Unbefangnen jenes Dult erscheinen muß, so vollkommen entspricht es doch der
vorhandnen Stimmung und den herrschenden Gebräuchen. Hier leichtfertige
Provokation, dünkelhafte Geringschätzung, dort ein tiefes Mißtrauen, eine krank¬
hafte Reizbarkeit, in den meisten Fällen auch bei zwingenden Ursachen ein gänz¬
liches Absehen von Schlichtung oder eine Erledigung mit Mitteln, wie sich
ihrer der Bauer bedient, und ein andermal wieder ohne Anrufung eines für
beide Teile kompetenten Ehrengerichtes ein sinnloses Duell mit tötlichen Aus-
gange! Mau fragt sich wirklich: Haben die Universitätsgerichte noch immer
keine andre Aufgabe, als Pedelle lind Polizeidiener hinter den Studenten her
in Atem zu erhalten, und haben sie aufgehört, verantwortlich zu sein für das
Unheil, welches auf unsern Hochschulen angerichtet wird? Die Schlägermensur,
dieses so unentbehrliche kleine Übel zur Verhütung größerer, sucht nur nach
Kräften zu verhindern, und unaufhörlich müssen die schon genugsam in Kontri¬
bution gesetzten Eltern das abgepfändcte Paukzeug wieder einlösen; ans der
andern Seite wieder geschieht nichts, gcirnichts, um heilsame Beziehungen zwischen
unsern Studenten herzustellen, und der alte Schlendrian fordert unerhörte Opfer,
Opfer an kostbaren Leben, größere Opfer durch Nuiuirung gesunder Jngend,
indem man sie zwingt, sich falsch zu entwickeln. Wenn von Übelwollenden der
Vorwurf erhoben wird, daß der Ehrbegriff auf unsern Hochschulen sich in einer
heillose" Verwirrung befinde, angesichts obiger Thatsachen kann man ja gar¬
nicht widersprechen. Sollte es nicht wirklich die Aufgabe aller Beteiligten sein,
jenen Begriff wieder zu heben und zu veredeln?

Das trostlose Verhältnis zwischen Korps und Burschenschafter ist zur Zeit
der springende Punkt. Hier muß man den Hebel ansetzen. Will man aber


Korps und Burschenschafter.

Einigung zu zwingen. Aus der Fülle des Materials erlauben wir uns nur
eiuen charakteristischen Fall mitzuteilen.

Es war im Sommer 1881, als ein junger Burschenschafter aus Königs¬
berg in Bonn studirte. Er trug damals den rechten Arm in der Binde, da
ihm die Muskulatur desselben durch einen wenige Monate vorher in Leipzig
empfangenen Säbelhieb gelähmt war. Eines Abends hatte er das Unglück,
mit einem alten Herrn eines Bonner Korps in einen Wortwechsel zu geraten,
dessen Veranlassung durchaus hinfälliger Art war, der aber nichtsdestoweniger
von neuem zu einer schweren Forderung führte. Er ging, ohnehin ein Stümper,
auf krumme Säbel links los lind starb drei Tage daraus an einem Hieb in
die Lunge. Der andre, der bereits einmal das Unglück gehabt hatte, einen
Gegner zu töten, floh über die Grenze und ist mittlerweile in Amerika ver¬
storben. Es sielen somit zwei Existenzen nicht vor dem sogenannten Moloch
Duell, sondern dem wirklichen Moloch: „Verruf zwischen Korps und Burschen¬
schafter." Jener unglückliche Ausgang wäre auf jeden Fall vermieden worden,
wenn dieses chronisch gewordne Verhältnis nicht jeden Kontrahenten von vorn¬
herein in eine ganz falsche Position brächte, und so frivol und unnütz jedem
Unbefangnen jenes Dult erscheinen muß, so vollkommen entspricht es doch der
vorhandnen Stimmung und den herrschenden Gebräuchen. Hier leichtfertige
Provokation, dünkelhafte Geringschätzung, dort ein tiefes Mißtrauen, eine krank¬
hafte Reizbarkeit, in den meisten Fällen auch bei zwingenden Ursachen ein gänz¬
liches Absehen von Schlichtung oder eine Erledigung mit Mitteln, wie sich
ihrer der Bauer bedient, und ein andermal wieder ohne Anrufung eines für
beide Teile kompetenten Ehrengerichtes ein sinnloses Duell mit tötlichen Aus-
gange! Mau fragt sich wirklich: Haben die Universitätsgerichte noch immer
keine andre Aufgabe, als Pedelle lind Polizeidiener hinter den Studenten her
in Atem zu erhalten, und haben sie aufgehört, verantwortlich zu sein für das
Unheil, welches auf unsern Hochschulen angerichtet wird? Die Schlägermensur,
dieses so unentbehrliche kleine Übel zur Verhütung größerer, sucht nur nach
Kräften zu verhindern, und unaufhörlich müssen die schon genugsam in Kontri¬
bution gesetzten Eltern das abgepfändcte Paukzeug wieder einlösen; ans der
andern Seite wieder geschieht nichts, gcirnichts, um heilsame Beziehungen zwischen
unsern Studenten herzustellen, und der alte Schlendrian fordert unerhörte Opfer,
Opfer an kostbaren Leben, größere Opfer durch Nuiuirung gesunder Jngend,
indem man sie zwingt, sich falsch zu entwickeln. Wenn von Übelwollenden der
Vorwurf erhoben wird, daß der Ehrbegriff auf unsern Hochschulen sich in einer
heillose» Verwirrung befinde, angesichts obiger Thatsachen kann man ja gar¬
nicht widersprechen. Sollte es nicht wirklich die Aufgabe aller Beteiligten sein,
jenen Begriff wieder zu heben und zu veredeln?

Das trostlose Verhältnis zwischen Korps und Burschenschafter ist zur Zeit
der springende Punkt. Hier muß man den Hebel ansetzen. Will man aber


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[0072] Korps und Burschenschafter. Einigung zu zwingen. Aus der Fülle des Materials erlauben wir uns nur eiuen charakteristischen Fall mitzuteilen. Es war im Sommer 1881, als ein junger Burschenschafter aus Königs¬ berg in Bonn studirte. Er trug damals den rechten Arm in der Binde, da ihm die Muskulatur desselben durch einen wenige Monate vorher in Leipzig empfangenen Säbelhieb gelähmt war. Eines Abends hatte er das Unglück, mit einem alten Herrn eines Bonner Korps in einen Wortwechsel zu geraten, dessen Veranlassung durchaus hinfälliger Art war, der aber nichtsdestoweniger von neuem zu einer schweren Forderung führte. Er ging, ohnehin ein Stümper, auf krumme Säbel links los lind starb drei Tage daraus an einem Hieb in die Lunge. Der andre, der bereits einmal das Unglück gehabt hatte, einen Gegner zu töten, floh über die Grenze und ist mittlerweile in Amerika ver¬ storben. Es sielen somit zwei Existenzen nicht vor dem sogenannten Moloch Duell, sondern dem wirklichen Moloch: „Verruf zwischen Korps und Burschen¬ schafter." Jener unglückliche Ausgang wäre auf jeden Fall vermieden worden, wenn dieses chronisch gewordne Verhältnis nicht jeden Kontrahenten von vorn¬ herein in eine ganz falsche Position brächte, und so frivol und unnütz jedem Unbefangnen jenes Dult erscheinen muß, so vollkommen entspricht es doch der vorhandnen Stimmung und den herrschenden Gebräuchen. Hier leichtfertige Provokation, dünkelhafte Geringschätzung, dort ein tiefes Mißtrauen, eine krank¬ hafte Reizbarkeit, in den meisten Fällen auch bei zwingenden Ursachen ein gänz¬ liches Absehen von Schlichtung oder eine Erledigung mit Mitteln, wie sich ihrer der Bauer bedient, und ein andermal wieder ohne Anrufung eines für beide Teile kompetenten Ehrengerichtes ein sinnloses Duell mit tötlichen Aus- gange! Mau fragt sich wirklich: Haben die Universitätsgerichte noch immer keine andre Aufgabe, als Pedelle lind Polizeidiener hinter den Studenten her in Atem zu erhalten, und haben sie aufgehört, verantwortlich zu sein für das Unheil, welches auf unsern Hochschulen angerichtet wird? Die Schlägermensur, dieses so unentbehrliche kleine Übel zur Verhütung größerer, sucht nur nach Kräften zu verhindern, und unaufhörlich müssen die schon genugsam in Kontri¬ bution gesetzten Eltern das abgepfändcte Paukzeug wieder einlösen; ans der andern Seite wieder geschieht nichts, gcirnichts, um heilsame Beziehungen zwischen unsern Studenten herzustellen, und der alte Schlendrian fordert unerhörte Opfer, Opfer an kostbaren Leben, größere Opfer durch Nuiuirung gesunder Jngend, indem man sie zwingt, sich falsch zu entwickeln. Wenn von Übelwollenden der Vorwurf erhoben wird, daß der Ehrbegriff auf unsern Hochschulen sich in einer heillose» Verwirrung befinde, angesichts obiger Thatsachen kann man ja gar¬ nicht widersprechen. Sollte es nicht wirklich die Aufgabe aller Beteiligten sein, jenen Begriff wieder zu heben und zu veredeln? Das trostlose Verhältnis zwischen Korps und Burschenschafter ist zur Zeit der springende Punkt. Hier muß man den Hebel ansetzen. Will man aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/72>, abgerufen am 05.02.2025.