Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Die Zengnispflicht der Reichstagsal'geordni>ten. gesetzbuches wegen unterlassener Anzeige eines Müuzverbrechens Kenntnis erlangt Der Abgeordnete Windthorst hat die Begründung seines Antrages dein Es ist ein großes Verdienst der konservativen Partei, daß sie sich, anch Die Zengnispflicht der Reichstagsal'geordni>ten. gesetzbuches wegen unterlassener Anzeige eines Müuzverbrechens Kenntnis erlangt Der Abgeordnete Windthorst hat die Begründung seines Antrages dein Es ist ein großes Verdienst der konservativen Partei, daß sie sich, anch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0627" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198051"/> <fw type="header" place="top"> Die Zengnispflicht der Reichstagsal'geordni>ten.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1836" prev="#ID_1835"> gesetzbuches wegen unterlassener Anzeige eines Müuzverbrechens Kenntnis erlangt<lb/> hatte — der Behörde schriftlich diese Anzeige ebenfalls erstattet hat, und wir<lb/> können deshalb von dieser Thatsache hier völlig absehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1837"> Der Abgeordnete Windthorst hat die Begründung seines Antrages dein<lb/> deutsch-freisinnigen Staatsrechtslehrer Hänel überlassen, und dieser hat damit<lb/> begonnen, die von dein konservativen Abgeordneten von Hammerstein vertretene<lb/> gegenteilige Ansicht als jeder Begründung entbehrend zu bezeichnen und der<lb/> konservativen Partei vorzuwerfen, daß sie stets bereit sei, ein von der Regierung<lb/> bestrittenes Recht des Reichstages bis zum Beweise des Gegenteils als nicht<lb/> vorhanden anzusehen. Nach der Meinung des Herrn Hänel ist die Zeugnis-<lb/> freihcit der Abgeordneten durch die Verfassung so klar ausgesprochen, daß über<lb/> diese Frage ein Streit garnicht sollte bestehen können; nach seiner Auslegung<lb/> schließt der Artikel 30 der Verfassung nicht nur jede gerichtliche und diszipli¬<lb/> narische Verfolgung ans, sondern kann nur den Sinn haben, daß überhaupt<lb/> keine Behörde den Abgeordneten wegen einer in seinem Berufe gethanen Äuße¬<lb/> rung in irgend einer Weise, auch nicht als Zeugen, vor ihr Forum ziehen darf.<lb/> Sollten — ruft er aus — Parlamentsmitglieder etwa einen geringern Grad<lb/> von Redefreiheit haben als Verteidiger und Geistliche, die doch wegen der ihnen<lb/> vertranensvll gemachten Mitteilungen nicht zur Verantwortung gezogen werden<lb/> dürfen! In England würde ein Richter, der sich eines Bruches der Rechte<lb/> des Parlamentes schuldig machte, sich vor den Schranken des Parlamentes des¬<lb/> wegen verantworten müssen! Soweit sind wir — wie Herr Hänel mit Schmerz<lb/> bemerkt — leider noch nicht. Er wünscht, wir hätten „Parlamentsjustiz."</p><lb/> <p xml:id="ID_1838" next="#ID_1839"> Es ist ein großes Verdienst der konservativen Partei, daß sie sich, anch<lb/> wenn Rechte des Reichstages (also mit ihre eignen Rechte) in Frage kommen,<lb/> den unbefangenen Blick offen hält und nicht in der sucht nach Anmaßung einer<lb/> immer schraukeulosern Macht die Grenzen übersehen will, welche ihren Befug¬<lb/> nissen durch die Gesetze gezogen sind. Den von den Antragstellern und ihren<lb/> Genossen beigebrachten Gründen für das von ihnen beanspruchte Recht fehlt<lb/> jeder Boden. Sehen wir uns zunächst den Wortlaut der betreffende» gesetz¬<lb/> lichen Bestimmungen an, so kaun auch die kühnste deutsch-freisinnige Auslegung<lb/> in deu Worten „gerichtliche oder disziplinarische Verfolgung" nichts andres<lb/> sinden, als daß den Abgeordneten keine strafrechtlichen oder zivilrechtliche» Folgen<lb/> als Beklagten infolge seiner Äußerungen treffen dürfen; denn von einer „Ver¬<lb/> fügung" zu reden, wenn jemand als Zeuge vernommen werden soll, so mit<lb/> der deutschen Sprache umzuspringen, hat bisher noch niemand gewagt. Daß<lb/> mit dem weiter» Ausdrucke: „oder sonst außerhalb der Versammlung zur Ver¬<lb/> antwortung gezogen werden" ebenfalls nichts andres gemeint ist, als was mit<lb/> der vorhergehenden Wendung gesagt werden sollte, ergiebt wiederum der Wort¬<lb/> laut; denn von einer „Verantwortung" kann nur demjenigen gegenüber ge¬<lb/> sprochen werden, welcher durch seiue Handlung eine strafrechtliche oder zivil-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0627]
Die Zengnispflicht der Reichstagsal'geordni>ten.
gesetzbuches wegen unterlassener Anzeige eines Müuzverbrechens Kenntnis erlangt
hatte — der Behörde schriftlich diese Anzeige ebenfalls erstattet hat, und wir
können deshalb von dieser Thatsache hier völlig absehen.
Der Abgeordnete Windthorst hat die Begründung seines Antrages dein
deutsch-freisinnigen Staatsrechtslehrer Hänel überlassen, und dieser hat damit
begonnen, die von dein konservativen Abgeordneten von Hammerstein vertretene
gegenteilige Ansicht als jeder Begründung entbehrend zu bezeichnen und der
konservativen Partei vorzuwerfen, daß sie stets bereit sei, ein von der Regierung
bestrittenes Recht des Reichstages bis zum Beweise des Gegenteils als nicht
vorhanden anzusehen. Nach der Meinung des Herrn Hänel ist die Zeugnis-
freihcit der Abgeordneten durch die Verfassung so klar ausgesprochen, daß über
diese Frage ein Streit garnicht sollte bestehen können; nach seiner Auslegung
schließt der Artikel 30 der Verfassung nicht nur jede gerichtliche und diszipli¬
narische Verfolgung ans, sondern kann nur den Sinn haben, daß überhaupt
keine Behörde den Abgeordneten wegen einer in seinem Berufe gethanen Äuße¬
rung in irgend einer Weise, auch nicht als Zeugen, vor ihr Forum ziehen darf.
Sollten — ruft er aus — Parlamentsmitglieder etwa einen geringern Grad
von Redefreiheit haben als Verteidiger und Geistliche, die doch wegen der ihnen
vertranensvll gemachten Mitteilungen nicht zur Verantwortung gezogen werden
dürfen! In England würde ein Richter, der sich eines Bruches der Rechte
des Parlamentes schuldig machte, sich vor den Schranken des Parlamentes des¬
wegen verantworten müssen! Soweit sind wir — wie Herr Hänel mit Schmerz
bemerkt — leider noch nicht. Er wünscht, wir hätten „Parlamentsjustiz."
Es ist ein großes Verdienst der konservativen Partei, daß sie sich, anch
wenn Rechte des Reichstages (also mit ihre eignen Rechte) in Frage kommen,
den unbefangenen Blick offen hält und nicht in der sucht nach Anmaßung einer
immer schraukeulosern Macht die Grenzen übersehen will, welche ihren Befug¬
nissen durch die Gesetze gezogen sind. Den von den Antragstellern und ihren
Genossen beigebrachten Gründen für das von ihnen beanspruchte Recht fehlt
jeder Boden. Sehen wir uns zunächst den Wortlaut der betreffende» gesetz¬
lichen Bestimmungen an, so kaun auch die kühnste deutsch-freisinnige Auslegung
in deu Worten „gerichtliche oder disziplinarische Verfolgung" nichts andres
sinden, als daß den Abgeordneten keine strafrechtlichen oder zivilrechtliche» Folgen
als Beklagten infolge seiner Äußerungen treffen dürfen; denn von einer „Ver¬
fügung" zu reden, wenn jemand als Zeuge vernommen werden soll, so mit
der deutschen Sprache umzuspringen, hat bisher noch niemand gewagt. Daß
mit dem weiter» Ausdrucke: „oder sonst außerhalb der Versammlung zur Ver¬
antwortung gezogen werden" ebenfalls nichts andres gemeint ist, als was mit
der vorhergehenden Wendung gesagt werden sollte, ergiebt wiederum der Wort¬
laut; denn von einer „Verantwortung" kann nur demjenigen gegenüber ge¬
sprochen werden, welcher durch seiue Handlung eine strafrechtliche oder zivil-
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