Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.giebt. Freilich führt er die auf hohe Weisheit deutenden Titel Magister und Hier treibt nun Scherer seinen ersten Pfahl ein, um die Zerschlagung des giebt. Freilich führt er die auf hohe Weisheit deutenden Titel Magister und Hier treibt nun Scherer seinen ersten Pfahl ein, um die Zerschlagung des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198040"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1813" prev="#ID_1812"> giebt. Freilich führt er die auf hohe Weisheit deutenden Titel Magister und<lb/> Doktor, und er lehrt schon seit zehn Jahren, aber er muß sich selbst gestehe»,<lb/> daß für den Menschen kein Wissen möglich sei. Mit besondrer Ironie wird der<lb/> Gegensatz dnrch ein doppeltes „und" angeschlossen. Statt eines „und lehre<lb/> schon zehn Jahre" schiebt sich das Geständnis unter, daß er seinen Schülern<lb/> etwas vorgeschwindelt, ihnen Faxen vorgemacht habe, da er sich gestehen muß,<lb/> daß er selbst nichts wisse. Das doppelte „um" (Vers 1, 5) ist nicht streng<lb/> zeitlich, es spricht das endliche Ergebnis aus. Wie tief diese Gewißheit sein<lb/> nach reinster Erkenntnis so lange schmachtendes Herz schmerzt, gewinnt einen<lb/> scharfen Ausdruck in dem knappen: „Das will mir schier das Herz verbrennen,"<lb/> das an das gangbare „Brennen des Eingeweides" erinnert. Scherer hat an dem<lb/> prosaischen „schier" Anstoß genommen, aber dies deutet entschieden darauf, daß<lb/> er doch noch einen gewissen Trost habe, der sich sofort anschließt. Er ist klüger<lb/> als so viele, welche dies nicht einsehen, immer in ihrem alten dünkelhaften<lb/> Glauben vorwärts gehen, dabei mit einzelnen Skrupeln und Zweifeln sich plagen,<lb/> sich vor Holle und Teufel fürchten. Dennoch ist ihm mit dieser traurigen Er¬<lb/> kenntnis alle Lebenslust geschwunden, er glaubt nicht mehr, wie früher und wie<lb/> es die andern thun, die er so weit übersieht, daß er mit seinem Wissen auf<lb/> andre wirken, durch seine Lehre ans ihre sittliche Bildung einen günstigen<lb/> Einfluß üben könne. So hat er dasjenige verloren, was seinem Leben Wert<lb/> und Bedeutung gegeben hat, und da ihm auch das abgeht, was dem Leben andrer<lb/> Reiz leiht, Reichtum, Ansehen und Glanz (daß er nach diesen sich sehne, liegt<lb/> durchaus nicht im Ausdrucke), so ist ihm das Leben ganz unerträglich, es ist<lb/> ihm hündisch: „Es möchte kein Hund so länger leben!" An diesen vollen Aus¬<lb/> druck seiner Verzweiflung schließt sich unmittelbar das an, was dadurch be¬<lb/> gründet werden soll: „Drum hub' ich mich der Magie ergeben."</p><lb/> <p xml:id="ID_1814" next="#ID_1815"> Hier treibt nun Scherer seinen ersten Pfahl ein, um die Zerschlagung des<lb/> Monologes einzuleiten. Daß Faust sich der Magie ergeben habe, „könne nichts<lb/> wesentlich andres heißen," als er habe sich zur Magie entschlossen. Diese selt¬<lb/> same Behauptung (S. 248), die jeder „strengen Interpretation" spottet, soll durch<lb/> Stellen der Puppenspiele belegt werden, in denen es heißt: „ich habe beschlossen"<lb/> oder „fest beschlossen," worauf „mich in der Nigromcmtie zu informiren" oder<lb/> etwas ähnliches folgt. Aber „ich habe mich ergeben" kaun nie und nimmer¬<lb/> mehr so viel heißen wie „ich habe beschlossen, mich zu ergeben," es kann mir<lb/> auf das wirkliche Abgeben mit einer Sache gehen. Doch hören wir Scherer.<lb/> „Der Entschluß ist gefaßt, ohne daß er bisher nennenswerte Folgen hatte. Er<lb/> ist noch in der Ausführung begriffen." Letzteres wird man unbedenklich zu¬<lb/> geben, aber ist es uicht ein verzweifelter Sprung, wenn er fortfährt: „Unwill¬<lb/> kürlich wird man daher annehmen, daß er soeben erst gefaßt ist." Scherer muß<lb/> selbst den Mangel an Logik bemerkt haben, da er nach einer „Begünstigung dieser<lb/> Annahme" sich umsieht, die er in dein oben erwähnten, keineswegs zeitlichen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0616]
giebt. Freilich führt er die auf hohe Weisheit deutenden Titel Magister und
Doktor, und er lehrt schon seit zehn Jahren, aber er muß sich selbst gestehe»,
daß für den Menschen kein Wissen möglich sei. Mit besondrer Ironie wird der
Gegensatz dnrch ein doppeltes „und" angeschlossen. Statt eines „und lehre
schon zehn Jahre" schiebt sich das Geständnis unter, daß er seinen Schülern
etwas vorgeschwindelt, ihnen Faxen vorgemacht habe, da er sich gestehen muß,
daß er selbst nichts wisse. Das doppelte „um" (Vers 1, 5) ist nicht streng
zeitlich, es spricht das endliche Ergebnis aus. Wie tief diese Gewißheit sein
nach reinster Erkenntnis so lange schmachtendes Herz schmerzt, gewinnt einen
scharfen Ausdruck in dem knappen: „Das will mir schier das Herz verbrennen,"
das an das gangbare „Brennen des Eingeweides" erinnert. Scherer hat an dem
prosaischen „schier" Anstoß genommen, aber dies deutet entschieden darauf, daß
er doch noch einen gewissen Trost habe, der sich sofort anschließt. Er ist klüger
als so viele, welche dies nicht einsehen, immer in ihrem alten dünkelhaften
Glauben vorwärts gehen, dabei mit einzelnen Skrupeln und Zweifeln sich plagen,
sich vor Holle und Teufel fürchten. Dennoch ist ihm mit dieser traurigen Er¬
kenntnis alle Lebenslust geschwunden, er glaubt nicht mehr, wie früher und wie
es die andern thun, die er so weit übersieht, daß er mit seinem Wissen auf
andre wirken, durch seine Lehre ans ihre sittliche Bildung einen günstigen
Einfluß üben könne. So hat er dasjenige verloren, was seinem Leben Wert
und Bedeutung gegeben hat, und da ihm auch das abgeht, was dem Leben andrer
Reiz leiht, Reichtum, Ansehen und Glanz (daß er nach diesen sich sehne, liegt
durchaus nicht im Ausdrucke), so ist ihm das Leben ganz unerträglich, es ist
ihm hündisch: „Es möchte kein Hund so länger leben!" An diesen vollen Aus¬
druck seiner Verzweiflung schließt sich unmittelbar das an, was dadurch be¬
gründet werden soll: „Drum hub' ich mich der Magie ergeben."
Hier treibt nun Scherer seinen ersten Pfahl ein, um die Zerschlagung des
Monologes einzuleiten. Daß Faust sich der Magie ergeben habe, „könne nichts
wesentlich andres heißen," als er habe sich zur Magie entschlossen. Diese selt¬
same Behauptung (S. 248), die jeder „strengen Interpretation" spottet, soll durch
Stellen der Puppenspiele belegt werden, in denen es heißt: „ich habe beschlossen"
oder „fest beschlossen," worauf „mich in der Nigromcmtie zu informiren" oder
etwas ähnliches folgt. Aber „ich habe mich ergeben" kaun nie und nimmer¬
mehr so viel heißen wie „ich habe beschlossen, mich zu ergeben," es kann mir
auf das wirkliche Abgeben mit einer Sache gehen. Doch hören wir Scherer.
„Der Entschluß ist gefaßt, ohne daß er bisher nennenswerte Folgen hatte. Er
ist noch in der Ausführung begriffen." Letzteres wird man unbedenklich zu¬
geben, aber ist es uicht ein verzweifelter Sprung, wenn er fortfährt: „Unwill¬
kürlich wird man daher annehmen, daß er soeben erst gefaßt ist." Scherer muß
selbst den Mangel an Logik bemerkt haben, da er nach einer „Begünstigung dieser
Annahme" sich umsieht, die er in dein oben erwähnten, keineswegs zeitlichen
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