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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Zum Verständnis und ^um Schutze des ersten Fanstmonologs,

Sinnen und Strebe" ganz andrer Art sein, Goethes Quellen waren das
Puppenspiel und Pfitzers Bearbeitung des Widmanschen Faustbuches; denn wenn
Goethe letztere im Februar 1801 von der Weiniarischcn Bibliothek endlich, so
folgt daraus ebensowenig, daß er sie schon in Frankfurt gekannt habe, als das
Gegenteil; dieses ergiebt sich aber aus Vergleichung von Goethes erstem Teil
und den verschiednen Fassungen des Faustbuchcs. In Bezug auf den Ort, wo
Faust den Teufel beschwört, weichen Puppenspiel und Volksbuch von einander
ab. Im letztern ist es Fausts Zimmer, im andern, mit Ausnahme späterer
Fassungen, der Wald zur Mitternacht. Das Volksbuch läßt der Beschwörung
des Teufels unmittelbar den Entschluß vorangehen, sich mit der Magie zu be¬
schäftigen, und Faust behnrrt auf diesem auch trotz der zur Rechten erschallenden
Mahnung seines Schutzgeistes, bei der Theologie zu verbleiben; ihn verlockt
die Stimme zur Linken, das Versprechen des Abgesandten der Hölle, ihn will¬
kommen glücklich zu machen, wenn er sich der Ncgromantie widme. Zu seiner
höchsten Frende wird ihm gleich darauf ein großes Zauberbuch gebracht, nach
welchem er lange vergebens getrachtet hat. Bei Psitzcr hat Faust "das stuelinnr
tllvoloAlvmn beiseite gelegt" und sich der Arzneikunde zugewandt, dabei aber
"den Himmelslciuf zu erforschen sich befleißigt," ist auch "ein guter Prognvsti-
kant" geworden. Als er das Erbgut seines Vetters durchgebracht hat, trachtet
er, wie er "der Teufel und bösen Geister Kundschaft und durch solcher Hülfe zeitliche
Freude und tägliches Wölkchen möchte überkommen und erlangen." Darum
sucht er sich in Besitz von "allerhand tcnfflischcn Büchern" zu setzen, "forscht
emsig in dem Aaro-Mro, von den aseendentcn nud descendeuteu Gichtern, und
andern mehr," findet endlich, daß "die Geister eine sonderliche Jnlliuntion und
Zuneigung zu ihm haben solle"." Bestärkt wird er darin, als er in seinem
Zimmer anbrennt nacheinander einen seltsamen Schatten an der Wand vorüber
fahren, eines dabei nachts oft viel Lichter hin und wieder bis an sein Bett
"gleichsam fliegen" sieht, ja die Geister leise miteinander sprechen hört. Von einem
Krystallseher lernt er dessen Kunst, er verschafft sich "die bekräftigten Beschwö¬
rungen des Satans" und faßt endlich den Entschluß, den Teufel zu beschwöre",
was er sodann in einem Walde um Mitternacht beim Vollmond ins Werk setzt.

Goethe läßt seinen Faust, als er an der Erlangung aller wahre" Erkenntnis
auf dem Wege der Forschung verzweifelt, nicht den Teufel, sondern die Geister
beschwören, durch die er volle Einsicht in das Wesen und Wirken der Natur zu
erlangen hofft. Er benutzt dazu el" Zauberbuch, die Mitternachtsstunde und
den Vollmond; ja auch die Vorstellung, daß die Geister in der freien Natur dem
Menschen nahe sind und der Vollmond sie weckt, verwandte er geschickt, wenn
er auch die Beschwörung im Zimmer geschehen ließ, schon um die in einem
Wurfe zugleich damit entstandne Waguerszcne genau anzuschließen. Wie glücklich
Goethe alle diese Züge verbunden hat, um eine in sich zusammenhängende, ergrei¬
fende Darstellung zu liefern, ist bewnndernswert.


Zum Verständnis und ^um Schutze des ersten Fanstmonologs,

Sinnen und Strebe» ganz andrer Art sein, Goethes Quellen waren das
Puppenspiel und Pfitzers Bearbeitung des Widmanschen Faustbuches; denn wenn
Goethe letztere im Februar 1801 von der Weiniarischcn Bibliothek endlich, so
folgt daraus ebensowenig, daß er sie schon in Frankfurt gekannt habe, als das
Gegenteil; dieses ergiebt sich aber aus Vergleichung von Goethes erstem Teil
und den verschiednen Fassungen des Faustbuchcs. In Bezug auf den Ort, wo
Faust den Teufel beschwört, weichen Puppenspiel und Volksbuch von einander
ab. Im letztern ist es Fausts Zimmer, im andern, mit Ausnahme späterer
Fassungen, der Wald zur Mitternacht. Das Volksbuch läßt der Beschwörung
des Teufels unmittelbar den Entschluß vorangehen, sich mit der Magie zu be¬
schäftigen, und Faust behnrrt auf diesem auch trotz der zur Rechten erschallenden
Mahnung seines Schutzgeistes, bei der Theologie zu verbleiben; ihn verlockt
die Stimme zur Linken, das Versprechen des Abgesandten der Hölle, ihn will¬
kommen glücklich zu machen, wenn er sich der Ncgromantie widme. Zu seiner
höchsten Frende wird ihm gleich darauf ein großes Zauberbuch gebracht, nach
welchem er lange vergebens getrachtet hat. Bei Psitzcr hat Faust „das stuelinnr
tllvoloAlvmn beiseite gelegt" und sich der Arzneikunde zugewandt, dabei aber
„den Himmelslciuf zu erforschen sich befleißigt," ist auch „ein guter Prognvsti-
kant" geworden. Als er das Erbgut seines Vetters durchgebracht hat, trachtet
er, wie er „der Teufel und bösen Geister Kundschaft und durch solcher Hülfe zeitliche
Freude und tägliches Wölkchen möchte überkommen und erlangen." Darum
sucht er sich in Besitz von „allerhand tcnfflischcn Büchern" zu setzen, „forscht
emsig in dem Aaro-Mro, von den aseendentcn nud descendeuteu Gichtern, und
andern mehr," findet endlich, daß „die Geister eine sonderliche Jnlliuntion und
Zuneigung zu ihm haben solle»." Bestärkt wird er darin, als er in seinem
Zimmer anbrennt nacheinander einen seltsamen Schatten an der Wand vorüber
fahren, eines dabei nachts oft viel Lichter hin und wieder bis an sein Bett
„gleichsam fliegen" sieht, ja die Geister leise miteinander sprechen hört. Von einem
Krystallseher lernt er dessen Kunst, er verschafft sich „die bekräftigten Beschwö¬
rungen des Satans" und faßt endlich den Entschluß, den Teufel zu beschwöre»,
was er sodann in einem Walde um Mitternacht beim Vollmond ins Werk setzt.

Goethe läßt seinen Faust, als er an der Erlangung aller wahre» Erkenntnis
auf dem Wege der Forschung verzweifelt, nicht den Teufel, sondern die Geister
beschwören, durch die er volle Einsicht in das Wesen und Wirken der Natur zu
erlangen hofft. Er benutzt dazu el» Zauberbuch, die Mitternachtsstunde und
den Vollmond; ja auch die Vorstellung, daß die Geister in der freien Natur dem
Menschen nahe sind und der Vollmond sie weckt, verwandte er geschickt, wenn
er auch die Beschwörung im Zimmer geschehen ließ, schon um die in einem
Wurfe zugleich damit entstandne Waguerszcne genau anzuschließen. Wie glücklich
Goethe alle diese Züge verbunden hat, um eine in sich zusammenhängende, ergrei¬
fende Darstellung zu liefern, ist bewnndernswert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/614>, abgerufen am 05.02.2025.