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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Urisis in Frankreich.

schloß er sich der republikanischen Erhebung an, wirkte aber auf die Einberufung
einer Nationalversammlung und den Abschluß eines Friedens hiu und zerfiel
infolgedessen mit Gambetta, der ihm wie Herrn Thiers mit seinem Widerstände
bis aufs Messer als "tollwütiger Narr" erschien. Die Nationalversammlung
von Bordeaux wählte ihn zu ihrem Vorsitzenden, in welcher Stellung er große
Energie und nicht weniger Mäßigung und Umsicht bekundete. Als Nachfolger
Mac Masons bestieg er endlich am 30, Januar 1879 den Stuhl des Präsidenten
der Republik, Als solcher hatte er die nach den Ansichten und Absichten der
Volksvertretung geschaffnen Gesetze zu verkündigen und deren Ausführung an¬
zuordnen und zu überwachen, es stand ihm das Begnadigungsrecht zu, er verfügte
innerhalb der Schranken der parlamentarischen Macht über die Armee, ernannte
die Beamten und Offiziere und konnte mit Zustimmung des Senats die Deputirten-
kcnnmer vor Ablauf ihres Maubads auflösen. Sein eignes Mandat war auf einen
Zeitraum von sieben Jahren beschränkt. Sein Vorgänger hielt es nicht so lange
aus; er war "nicht imstande, sich zu unterwerfen," und so geboten ihm "gesunder
Menschenverstand und Vaterlandsliebe," seine Gewalt an die Volksvertretung
zurückzugeben. Zu jener Zeit war die Aufgabe, "die Republik zu machen," den ver¬
einten Bemühungen Gambettas und Thiers', denen die numerische Schwäche und die
Thorheit der Legitimisten zu Gute kamen, gelungen, und Grevh wurde als ein
Mann, auf den sich die Republikaner verlassen zu können glaubten, zum Nach¬
folger des unbequemen und gefährlichen Marschalls gewählt. Er sollte herrschen,
aber nicht regieren, mehr Repräsentant eines Prinzips, mehr Ornament als
lebendige Persönlichkeit mit einem eignen Willen und einer eignen Meinung
sein, wie es der Parlamentarismus vorschreibt. Mau täuschte sich in Grcvy
nicht: er war Republikaner, Anhänger der Demokratie und des Parlamenta¬
rismus aus Überzeugung, er wollte nur Vertreter eiues Prinzips, nur eine
stumme Abstraktion, nur Ornament ans der Spitze der Staatspyramide sein,
und sein Temperament unterstützte feinen Willen. Er wurde ein Mustcr-
präsident für Demokraten, ein Staatsoberhaupt, wie es unsre Anwälte des
Parlamentarismus aus unsern Monarchen machen möchten. Er hatte einst
den Antrag gestellt, es sollte in der französischen Republik keine Präsidenten
geben, soudern nur eine Abgeordnetenkammer und eine Reihenfolge von dieser
allein beauftragter, abhängiger und absetzbarer Minister, und jetzt setzte ihn die
Ironie des Schicksals auf deu Stuhl, den er damit hatte umstoßen und in die
Rumpelkammer verbannen wollen. Aber er verfuhr auf diesem Sitze fast ganz
so, als ob derselbe wirklich beseitigt worden wäre. Er saß da mehr als heiteres
Bild wie als Persönlichkeit sieben volle Jahre, besorgte seine verfassungsmäßigen
Pflichten und Funktionen so ruhig als möglich, sodaß man den Apparat, der
er war, kaum gehen hörte, nahm Ministerien mehr an, als er sie wählte,
empfing mit Würde Botschafter und Gesandte, präsidirte mit phlegmatischer
Parteilosigkeit bei Beratungen des Kabinets, ging dazwischen auf die Jagd,


Die Urisis in Frankreich.

schloß er sich der republikanischen Erhebung an, wirkte aber auf die Einberufung
einer Nationalversammlung und den Abschluß eines Friedens hiu und zerfiel
infolgedessen mit Gambetta, der ihm wie Herrn Thiers mit seinem Widerstände
bis aufs Messer als „tollwütiger Narr" erschien. Die Nationalversammlung
von Bordeaux wählte ihn zu ihrem Vorsitzenden, in welcher Stellung er große
Energie und nicht weniger Mäßigung und Umsicht bekundete. Als Nachfolger
Mac Masons bestieg er endlich am 30, Januar 1879 den Stuhl des Präsidenten
der Republik, Als solcher hatte er die nach den Ansichten und Absichten der
Volksvertretung geschaffnen Gesetze zu verkündigen und deren Ausführung an¬
zuordnen und zu überwachen, es stand ihm das Begnadigungsrecht zu, er verfügte
innerhalb der Schranken der parlamentarischen Macht über die Armee, ernannte
die Beamten und Offiziere und konnte mit Zustimmung des Senats die Deputirten-
kcnnmer vor Ablauf ihres Maubads auflösen. Sein eignes Mandat war auf einen
Zeitraum von sieben Jahren beschränkt. Sein Vorgänger hielt es nicht so lange
aus; er war „nicht imstande, sich zu unterwerfen," und so geboten ihm „gesunder
Menschenverstand und Vaterlandsliebe," seine Gewalt an die Volksvertretung
zurückzugeben. Zu jener Zeit war die Aufgabe, „die Republik zu machen," den ver¬
einten Bemühungen Gambettas und Thiers', denen die numerische Schwäche und die
Thorheit der Legitimisten zu Gute kamen, gelungen, und Grevh wurde als ein
Mann, auf den sich die Republikaner verlassen zu können glaubten, zum Nach¬
folger des unbequemen und gefährlichen Marschalls gewählt. Er sollte herrschen,
aber nicht regieren, mehr Repräsentant eines Prinzips, mehr Ornament als
lebendige Persönlichkeit mit einem eignen Willen und einer eignen Meinung
sein, wie es der Parlamentarismus vorschreibt. Mau täuschte sich in Grcvy
nicht: er war Republikaner, Anhänger der Demokratie und des Parlamenta¬
rismus aus Überzeugung, er wollte nur Vertreter eiues Prinzips, nur eine
stumme Abstraktion, nur Ornament ans der Spitze der Staatspyramide sein,
und sein Temperament unterstützte feinen Willen. Er wurde ein Mustcr-
präsident für Demokraten, ein Staatsoberhaupt, wie es unsre Anwälte des
Parlamentarismus aus unsern Monarchen machen möchten. Er hatte einst
den Antrag gestellt, es sollte in der französischen Republik keine Präsidenten
geben, soudern nur eine Abgeordnetenkammer und eine Reihenfolge von dieser
allein beauftragter, abhängiger und absetzbarer Minister, und jetzt setzte ihn die
Ironie des Schicksals auf deu Stuhl, den er damit hatte umstoßen und in die
Rumpelkammer verbannen wollen. Aber er verfuhr auf diesem Sitze fast ganz
so, als ob derselbe wirklich beseitigt worden wäre. Er saß da mehr als heiteres
Bild wie als Persönlichkeit sieben volle Jahre, besorgte seine verfassungsmäßigen
Pflichten und Funktionen so ruhig als möglich, sodaß man den Apparat, der
er war, kaum gehen hörte, nahm Ministerien mehr an, als er sie wählte,
empfing mit Würde Botschafter und Gesandte, präsidirte mit phlegmatischer
Parteilosigkeit bei Beratungen des Kabinets, ging dazwischen auf die Jagd,


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[0059] Die Urisis in Frankreich. schloß er sich der republikanischen Erhebung an, wirkte aber auf die Einberufung einer Nationalversammlung und den Abschluß eines Friedens hiu und zerfiel infolgedessen mit Gambetta, der ihm wie Herrn Thiers mit seinem Widerstände bis aufs Messer als „tollwütiger Narr" erschien. Die Nationalversammlung von Bordeaux wählte ihn zu ihrem Vorsitzenden, in welcher Stellung er große Energie und nicht weniger Mäßigung und Umsicht bekundete. Als Nachfolger Mac Masons bestieg er endlich am 30, Januar 1879 den Stuhl des Präsidenten der Republik, Als solcher hatte er die nach den Ansichten und Absichten der Volksvertretung geschaffnen Gesetze zu verkündigen und deren Ausführung an¬ zuordnen und zu überwachen, es stand ihm das Begnadigungsrecht zu, er verfügte innerhalb der Schranken der parlamentarischen Macht über die Armee, ernannte die Beamten und Offiziere und konnte mit Zustimmung des Senats die Deputirten- kcnnmer vor Ablauf ihres Maubads auflösen. Sein eignes Mandat war auf einen Zeitraum von sieben Jahren beschränkt. Sein Vorgänger hielt es nicht so lange aus; er war „nicht imstande, sich zu unterwerfen," und so geboten ihm „gesunder Menschenverstand und Vaterlandsliebe," seine Gewalt an die Volksvertretung zurückzugeben. Zu jener Zeit war die Aufgabe, „die Republik zu machen," den ver¬ einten Bemühungen Gambettas und Thiers', denen die numerische Schwäche und die Thorheit der Legitimisten zu Gute kamen, gelungen, und Grevh wurde als ein Mann, auf den sich die Republikaner verlassen zu können glaubten, zum Nach¬ folger des unbequemen und gefährlichen Marschalls gewählt. Er sollte herrschen, aber nicht regieren, mehr Repräsentant eines Prinzips, mehr Ornament als lebendige Persönlichkeit mit einem eignen Willen und einer eignen Meinung sein, wie es der Parlamentarismus vorschreibt. Mau täuschte sich in Grcvy nicht: er war Republikaner, Anhänger der Demokratie und des Parlamenta¬ rismus aus Überzeugung, er wollte nur Vertreter eiues Prinzips, nur eine stumme Abstraktion, nur Ornament ans der Spitze der Staatspyramide sein, und sein Temperament unterstützte feinen Willen. Er wurde ein Mustcr- präsident für Demokraten, ein Staatsoberhaupt, wie es unsre Anwälte des Parlamentarismus aus unsern Monarchen machen möchten. Er hatte einst den Antrag gestellt, es sollte in der französischen Republik keine Präsidenten geben, soudern nur eine Abgeordnetenkammer und eine Reihenfolge von dieser allein beauftragter, abhängiger und absetzbarer Minister, und jetzt setzte ihn die Ironie des Schicksals auf deu Stuhl, den er damit hatte umstoßen und in die Rumpelkammer verbannen wollen. Aber er verfuhr auf diesem Sitze fast ganz so, als ob derselbe wirklich beseitigt worden wäre. Er saß da mehr als heiteres Bild wie als Persönlichkeit sieben volle Jahre, besorgte seine verfassungsmäßigen Pflichten und Funktionen so ruhig als möglich, sodaß man den Apparat, der er war, kaum gehen hörte, nahm Ministerien mehr an, als er sie wählte, empfing mit Würde Botschafter und Gesandte, präsidirte mit phlegmatischer Parteilosigkeit bei Beratungen des Kabinets, ging dazwischen auf die Jagd,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/59>, abgerufen am 05.02.2025.