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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Bilanz der Ehe.

und Dränger nach berühmten Mustern; ein klügsten aber war es, daß Schwarzkopf
die eigne Produktion der kritischen Auseinandersetzung aus dem Fuße folgen ließ,
denn nirgends gilt die That mehr und das Näsonniren weniger als auf dem
Gebiete der Kunst. Zudem ist jeder Schaffende einseitig und hat die aus¬
gesprochenste Neigung, seine persönliche Eigenart zum Wesen der Kunst selbst
zu machen; alle Dichter haben mit ihren theoretischen Erörterungen nicht halb
so viel sagen können, als mit ihren schöpferischen Dichtungen, und auch die
Studien Schwarzkvpfs sind bedeutender und beredter, als seine kritische Dar¬
legung.

Schon der Titel ist für sein Werk bezeichnend. Er kündigt an, daß sich
eine Reihe von Studien mit der Ehe beschäftigen werde. Für die Tradition
bietet das Eheleben als solches keinerlei poetische Ausbeute. Wenn "sie sich
haben," dann sällt der Vorhang; die Fabel der Schablone dreht sich mir um
diesen gegenseitigen Erwerb von Männlein und Weiblein; dramatisches Interesse
glaubt sie einzig in der Liebesleidenschaft finden zu können. Da kommt ein
neuer Mensch, sieht die Welt unbefangen an und findet, daß nach dem
Trauungsakte der Kirche das Merkwürdigste im Leben seiner lieben Mitmenschen
erst beginne; dieses bisher poetisch so unfruchtbare Eheleben wird ihm eine Quelle
dichterischer Motive, und durchaus nicht etwa nach Art der neuesten Franzosen
als Schule des Ehebruches; kaum ein einziger Fall dieser Art erscheint in seinen
Studien. Er findet aber noch mehr mit seinein nnvoreingenvmmenen Blicke.
Die Dichter versichern uns fortwährend: die Liebe kommt, man weiß nicht wie?
und die Liebe geht, man weiß nicht wie? und die Liebe beherrscht alles! Der
neue Beobachter kennt auch die ewige Sehnsucht des Menschenherzens, er zweifelt
auch nicht, daß zuweilen wohl einmal anch die reine, selbstlose, thörichte und
doch so süße Leidenschaft in die Seelen einziehe; aber er kann nicht finden, daß
die Liebe die einzige, ja auch nur die vorherrschende Leidenschaft der Menschen
wäre. Er findet eine ganze Reihe höchst verschiedner Triebfedern, er findet sie
eben dort, bei derselben Eheschließung, wo die Schablone keine ander" Motive
sucht und darstellt als die Liebe! Er findet, daß Eitelkeit, Ruhmsucht, Habgier,
nüchternes Bequemlichkeitsbedürfnis, die prosaischsten Erwägnnge", ja das nackte
Geschäftsinteresse die Mehrzahl der ehelichen Verbindungen in seiner ihm sicht¬
baren Gesellschaft veranlaßt. Die Welt ist ihm auf ganz andern Grundlagen
aufgebaut, als es ihm die Schablvnenpoeten weiß machen wollen, und er hat
den Drang, dies auch zu bekennen, die Bilder der Genußsucht und des Egoismus,
welche ihm Erfahrung und Beobachtung geliefert haben, festzuhalten. So entsteht
denn eine "Bilanz der Ehe": eine Bilanz in der That, weil in dieser Welt der
fatale rwrvu8 n rum keine geringe Rolle bei der Ehe spielt.

Dabei ist Schwarzkopf weit davon entfernt, sich mit der Welt, die er
schildert, für eins zu halten, oder etwa durch einen paradoxen Stil, ein auf
den Kopf gestelltes Sittengesetz, einen abstrusen Geschmack, eine sozialistische


Die Bilanz der Ehe.

und Dränger nach berühmten Mustern; ein klügsten aber war es, daß Schwarzkopf
die eigne Produktion der kritischen Auseinandersetzung aus dem Fuße folgen ließ,
denn nirgends gilt die That mehr und das Näsonniren weniger als auf dem
Gebiete der Kunst. Zudem ist jeder Schaffende einseitig und hat die aus¬
gesprochenste Neigung, seine persönliche Eigenart zum Wesen der Kunst selbst
zu machen; alle Dichter haben mit ihren theoretischen Erörterungen nicht halb
so viel sagen können, als mit ihren schöpferischen Dichtungen, und auch die
Studien Schwarzkvpfs sind bedeutender und beredter, als seine kritische Dar¬
legung.

Schon der Titel ist für sein Werk bezeichnend. Er kündigt an, daß sich
eine Reihe von Studien mit der Ehe beschäftigen werde. Für die Tradition
bietet das Eheleben als solches keinerlei poetische Ausbeute. Wenn „sie sich
haben," dann sällt der Vorhang; die Fabel der Schablone dreht sich mir um
diesen gegenseitigen Erwerb von Männlein und Weiblein; dramatisches Interesse
glaubt sie einzig in der Liebesleidenschaft finden zu können. Da kommt ein
neuer Mensch, sieht die Welt unbefangen an und findet, daß nach dem
Trauungsakte der Kirche das Merkwürdigste im Leben seiner lieben Mitmenschen
erst beginne; dieses bisher poetisch so unfruchtbare Eheleben wird ihm eine Quelle
dichterischer Motive, und durchaus nicht etwa nach Art der neuesten Franzosen
als Schule des Ehebruches; kaum ein einziger Fall dieser Art erscheint in seinen
Studien. Er findet aber noch mehr mit seinein nnvoreingenvmmenen Blicke.
Die Dichter versichern uns fortwährend: die Liebe kommt, man weiß nicht wie?
und die Liebe geht, man weiß nicht wie? und die Liebe beherrscht alles! Der
neue Beobachter kennt auch die ewige Sehnsucht des Menschenherzens, er zweifelt
auch nicht, daß zuweilen wohl einmal anch die reine, selbstlose, thörichte und
doch so süße Leidenschaft in die Seelen einziehe; aber er kann nicht finden, daß
die Liebe die einzige, ja auch nur die vorherrschende Leidenschaft der Menschen
wäre. Er findet eine ganze Reihe höchst verschiedner Triebfedern, er findet sie
eben dort, bei derselben Eheschließung, wo die Schablone keine ander» Motive
sucht und darstellt als die Liebe! Er findet, daß Eitelkeit, Ruhmsucht, Habgier,
nüchternes Bequemlichkeitsbedürfnis, die prosaischsten Erwägnnge», ja das nackte
Geschäftsinteresse die Mehrzahl der ehelichen Verbindungen in seiner ihm sicht¬
baren Gesellschaft veranlaßt. Die Welt ist ihm auf ganz andern Grundlagen
aufgebaut, als es ihm die Schablvnenpoeten weiß machen wollen, und er hat
den Drang, dies auch zu bekennen, die Bilder der Genußsucht und des Egoismus,
welche ihm Erfahrung und Beobachtung geliefert haben, festzuhalten. So entsteht
denn eine „Bilanz der Ehe": eine Bilanz in der That, weil in dieser Welt der
fatale rwrvu8 n rum keine geringe Rolle bei der Ehe spielt.

Dabei ist Schwarzkopf weit davon entfernt, sich mit der Welt, die er
schildert, für eins zu halten, oder etwa durch einen paradoxen Stil, ein auf
den Kopf gestelltes Sittengesetz, einen abstrusen Geschmack, eine sozialistische


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[0551] Die Bilanz der Ehe. und Dränger nach berühmten Mustern; ein klügsten aber war es, daß Schwarzkopf die eigne Produktion der kritischen Auseinandersetzung aus dem Fuße folgen ließ, denn nirgends gilt die That mehr und das Näsonniren weniger als auf dem Gebiete der Kunst. Zudem ist jeder Schaffende einseitig und hat die aus¬ gesprochenste Neigung, seine persönliche Eigenart zum Wesen der Kunst selbst zu machen; alle Dichter haben mit ihren theoretischen Erörterungen nicht halb so viel sagen können, als mit ihren schöpferischen Dichtungen, und auch die Studien Schwarzkvpfs sind bedeutender und beredter, als seine kritische Dar¬ legung. Schon der Titel ist für sein Werk bezeichnend. Er kündigt an, daß sich eine Reihe von Studien mit der Ehe beschäftigen werde. Für die Tradition bietet das Eheleben als solches keinerlei poetische Ausbeute. Wenn „sie sich haben," dann sällt der Vorhang; die Fabel der Schablone dreht sich mir um diesen gegenseitigen Erwerb von Männlein und Weiblein; dramatisches Interesse glaubt sie einzig in der Liebesleidenschaft finden zu können. Da kommt ein neuer Mensch, sieht die Welt unbefangen an und findet, daß nach dem Trauungsakte der Kirche das Merkwürdigste im Leben seiner lieben Mitmenschen erst beginne; dieses bisher poetisch so unfruchtbare Eheleben wird ihm eine Quelle dichterischer Motive, und durchaus nicht etwa nach Art der neuesten Franzosen als Schule des Ehebruches; kaum ein einziger Fall dieser Art erscheint in seinen Studien. Er findet aber noch mehr mit seinein nnvoreingenvmmenen Blicke. Die Dichter versichern uns fortwährend: die Liebe kommt, man weiß nicht wie? und die Liebe geht, man weiß nicht wie? und die Liebe beherrscht alles! Der neue Beobachter kennt auch die ewige Sehnsucht des Menschenherzens, er zweifelt auch nicht, daß zuweilen wohl einmal anch die reine, selbstlose, thörichte und doch so süße Leidenschaft in die Seelen einziehe; aber er kann nicht finden, daß die Liebe die einzige, ja auch nur die vorherrschende Leidenschaft der Menschen wäre. Er findet eine ganze Reihe höchst verschiedner Triebfedern, er findet sie eben dort, bei derselben Eheschließung, wo die Schablone keine ander» Motive sucht und darstellt als die Liebe! Er findet, daß Eitelkeit, Ruhmsucht, Habgier, nüchternes Bequemlichkeitsbedürfnis, die prosaischsten Erwägnnge», ja das nackte Geschäftsinteresse die Mehrzahl der ehelichen Verbindungen in seiner ihm sicht¬ baren Gesellschaft veranlaßt. Die Welt ist ihm auf ganz andern Grundlagen aufgebaut, als es ihm die Schablvnenpoeten weiß machen wollen, und er hat den Drang, dies auch zu bekennen, die Bilder der Genußsucht und des Egoismus, welche ihm Erfahrung und Beobachtung geliefert haben, festzuhalten. So entsteht denn eine „Bilanz der Ehe": eine Bilanz in der That, weil in dieser Welt der fatale rwrvu8 n rum keine geringe Rolle bei der Ehe spielt. Dabei ist Schwarzkopf weit davon entfernt, sich mit der Welt, die er schildert, für eins zu halten, oder etwa durch einen paradoxen Stil, ein auf den Kopf gestelltes Sittengesetz, einen abstrusen Geschmack, eine sozialistische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/551>, abgerufen am 05.02.2025.