Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Verfasser auch in allen Einzelheiten verrät, so toll und unsinnig sich auch seine Das Ganze ist nur "eine Hand voll Lügen," aber nie hat es einen witzigern Wenn andre Kinder mühsam und allmählich sprechen lernen, so hat das Einem so viel verheißenden Anfange entsprechen durchaus die weitern Die Beschreibung dieser "sehr gefährlichen Reise und der ritterlichen Thaten Verfasser auch in allen Einzelheiten verrät, so toll und unsinnig sich auch seine Das Ganze ist nur „eine Hand voll Lügen," aber nie hat es einen witzigern Wenn andre Kinder mühsam und allmählich sprechen lernen, so hat das Einem so viel verheißenden Anfange entsprechen durchaus die weitern Die Beschreibung dieser „sehr gefährlichen Reise und der ritterlichen Thaten <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0544" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197968"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1600" prev="#ID_1599"> Verfasser auch in allen Einzelheiten verrät, so toll und unsinnig sich auch seine<lb/> Lügengeschichte auf den ersten Blick aufnehmen mag.</p><lb/> <p xml:id="ID_1601"> Das Ganze ist nur „eine Hand voll Lügen," aber nie hat es einen witzigern<lb/> Kopf gegeben, der mit größerm Geschick zu lügen verstanden hätte wie der Autor<lb/> des „Schelmuffsky." Der Held, dessen seltsamer Name Schelmuffsky noch nicht<lb/> erklärt ist, erzählt selbst seine Geschichte, als deren Thema die immer wieder¬<lb/> kehrende Behauptung gelten kann, daß er ein braver Kerl sei, von dem man<lb/> etwas besonders Tüchtiges und Großes zu erwarten habe. Seine Selbstgefällig¬<lb/> keit ist in der That nicht zu überbieten; Münchhausens Renommisterei nimmt sich<lb/> schwächlich dagegen aus. An Schelmuffskys Persönlichkeit ist einfach alles<lb/> wunderbar und eigentümlich. Das zeigt sich schon bei seiner Geburt, die unter<lb/> ganz außergewöhnlichen Umständen erfolgt. Eine Ratte spielt dabei die wichtigste<lb/> Rolle, und Schelmuffsky versäumt keine Gelegenheit, diese Geschichte von der<lb/> Ratte aufzutischen, mit der er jedesmal die unglaublichsten Erfolge, namentlich<lb/> bei den« schönen Geschlechte, erzielt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1602"> Wenn andre Kinder mühsam und allmählich sprechen lernen, so hat das<lb/> Schelmuffsky nicht nötig. Er zeigt selbst seiner über der Erscheinung der Ratte<lb/> in Ohnmacht gefallenen Mutter seine Ankunft an, indem er an ihr hinauf<lb/> krabbelt und sie unter dem lauten Rufe: „Eine Ratte! eine Ratte!" mit einem<lb/> Strohhalm in der Nase kitzelt. Ein gelehrter Präzeptor, Herr Gerge, welcher<lb/> im Hause der Mutter lebt, glaubt, der Böse habe bei der Sache seine Hand im<lb/> Spiel gehabt, und nimmt deshalb mit dem Neugebornen eine Beschwörung in<lb/> aller Form vor. Aber dieser läßt sich dergleichen nicht bieten; er belehrt den<lb/> Herrn Präzeptor in wvhlgesetzter Rede, wie thöricht solches Beginnen sei, und<lb/> versetzt ihn dadurch in die größte Angst und Beschämung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1603"> Einem so viel verheißenden Anfange entsprechen durchaus die weitern<lb/> Großthaten des Helden. Da er in der Schule nichts gelernt hat, als Kauf¬<lb/> mannslehrling einen Schelmenstreich nach dem andern verübt und daheim der<lb/> Mutter das Leben nach Kräften sauer macht, entschließt sich dieje gern, ihm seinen<lb/> Willen zu lassen und ihn auf Reisen zu schicken, in der Hoffnung, daß es ihm<lb/> gelingen werde, auf diese Weise „ein berühmter Kerl" zu werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1604" next="#ID_1605"> Die Beschreibung dieser „sehr gefährlichen Reise und der ritterlichen Thaten<lb/> zu Wasser und zu Lande" bildet um den eigentlichen Kern des Buches. Der<lb/> Humor desselben beruht darauf, daß Schelmuffsky vorgiebt, er habe fast die<lb/> ganze Welt gesehen, während er in Wahrheit nicht über die Nachbardörfer seiner<lb/> Vaterstadt hinauskommt, und darauf, daß er seine Aufschneidereien und Lügen<lb/> den angeblich erfundnen Erzählungen weit gereifter Männer als Wahrheit ent¬<lb/> gegensetzt. Natürlich bringt er lauter Ungereimtheiten vor und verwickelt sich<lb/> in die größten Widersprüche mit den Thatsachen. Bei ihm fahren Frachtwagen<lb/> von London nach Hamburg, während er zu Fuße nach Venedig wandert, das<lb/> auf einem großen, hohen Stein gelegen und mit eiiiem vortrefflichen Wall um-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0544]
Verfasser auch in allen Einzelheiten verrät, so toll und unsinnig sich auch seine
Lügengeschichte auf den ersten Blick aufnehmen mag.
Das Ganze ist nur „eine Hand voll Lügen," aber nie hat es einen witzigern
Kopf gegeben, der mit größerm Geschick zu lügen verstanden hätte wie der Autor
des „Schelmuffsky." Der Held, dessen seltsamer Name Schelmuffsky noch nicht
erklärt ist, erzählt selbst seine Geschichte, als deren Thema die immer wieder¬
kehrende Behauptung gelten kann, daß er ein braver Kerl sei, von dem man
etwas besonders Tüchtiges und Großes zu erwarten habe. Seine Selbstgefällig¬
keit ist in der That nicht zu überbieten; Münchhausens Renommisterei nimmt sich
schwächlich dagegen aus. An Schelmuffskys Persönlichkeit ist einfach alles
wunderbar und eigentümlich. Das zeigt sich schon bei seiner Geburt, die unter
ganz außergewöhnlichen Umständen erfolgt. Eine Ratte spielt dabei die wichtigste
Rolle, und Schelmuffsky versäumt keine Gelegenheit, diese Geschichte von der
Ratte aufzutischen, mit der er jedesmal die unglaublichsten Erfolge, namentlich
bei den« schönen Geschlechte, erzielt.
Wenn andre Kinder mühsam und allmählich sprechen lernen, so hat das
Schelmuffsky nicht nötig. Er zeigt selbst seiner über der Erscheinung der Ratte
in Ohnmacht gefallenen Mutter seine Ankunft an, indem er an ihr hinauf
krabbelt und sie unter dem lauten Rufe: „Eine Ratte! eine Ratte!" mit einem
Strohhalm in der Nase kitzelt. Ein gelehrter Präzeptor, Herr Gerge, welcher
im Hause der Mutter lebt, glaubt, der Böse habe bei der Sache seine Hand im
Spiel gehabt, und nimmt deshalb mit dem Neugebornen eine Beschwörung in
aller Form vor. Aber dieser läßt sich dergleichen nicht bieten; er belehrt den
Herrn Präzeptor in wvhlgesetzter Rede, wie thöricht solches Beginnen sei, und
versetzt ihn dadurch in die größte Angst und Beschämung.
Einem so viel verheißenden Anfange entsprechen durchaus die weitern
Großthaten des Helden. Da er in der Schule nichts gelernt hat, als Kauf¬
mannslehrling einen Schelmenstreich nach dem andern verübt und daheim der
Mutter das Leben nach Kräften sauer macht, entschließt sich dieje gern, ihm seinen
Willen zu lassen und ihn auf Reisen zu schicken, in der Hoffnung, daß es ihm
gelingen werde, auf diese Weise „ein berühmter Kerl" zu werden.
Die Beschreibung dieser „sehr gefährlichen Reise und der ritterlichen Thaten
zu Wasser und zu Lande" bildet um den eigentlichen Kern des Buches. Der
Humor desselben beruht darauf, daß Schelmuffsky vorgiebt, er habe fast die
ganze Welt gesehen, während er in Wahrheit nicht über die Nachbardörfer seiner
Vaterstadt hinauskommt, und darauf, daß er seine Aufschneidereien und Lügen
den angeblich erfundnen Erzählungen weit gereifter Männer als Wahrheit ent¬
gegensetzt. Natürlich bringt er lauter Ungereimtheiten vor und verwickelt sich
in die größten Widersprüche mit den Thatsachen. Bei ihm fahren Frachtwagen
von London nach Hamburg, während er zu Fuße nach Venedig wandert, das
auf einem großen, hohen Stein gelegen und mit eiiiem vortrefflichen Wall um-
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