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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Aus dein goldnen Prag.

und der Wandlung der öffentlichen Meinung, und Hans Höltig hat nichts andres
zu thun, als auf der Stelle seinen Abschied vom Bauunternehmer zu nehmen
und spornstreichs in die Arme seiner treuen Anna zu eilen, mit der er sich
endlich post, tot cliMriurirm rorunr verbinden kann.

Man sieht, die Erfindung dieser neuen Erzählung Burmesters ist nicht
eben originell. Der Reiz liegt aber in der saubern Zeichnung der Gestalten,
in dem Wechsel von Ernst und Humor und vor allem in der Sprache, die mit
ihrem Reichtum an Sprichwörtern und originellen Wendungen durchaus volks¬
tümlich erscheint. Hier weniger als je folgt Burmester Fritz Reuters Spuren,
aber seine Individualität bricht umsomehr in ihrer Eigenart durch.


Moritz Neckar.


Aus dem goldnen Prag.

in längerer Aufenthalt in der Hauptstadt des Krvulandes Böhmen
wird für jeden, der sich mit Geschichte und Politik der Gegen¬
wart oder Vergangenheit beschäftigt, überaus lehrreich sein. Denn
hier sieht er geschichtliche Mächte, die den Gang der Ereignisse
in unserm Jahrhundert zum großen Teile recht eigentlich be¬
stimmten, aber anderwärts bereits zu wirken aufgehört haben, noch immer in
Thätigkeit. Wer das dumpfe Grollen der sozialistischen Bewegung recht in der
Nähe hören wollte, müßte nach Paris oder Lyon gehen; hier aber sieht er die
nationalen Ideen in das tägliche Leben einer tüchtigen und arbeitsamen Be¬
völkerung, die fürwahr Sorgen genug hat, aufs elementarste und verhängnis¬
vollste eingreifen. Kein größerer Gegensatz ist da zu denken als der zwischen
Prag und Wien! Die Hauptstadt des Reiches wird von der tiefgreifenden
Bewegung, welche Prag nun schon seit Jahren durchzittert, fast garnicht berührt:
die Arbeiterschaft und die Kleinbürger kümmern sich garnicht um sie, ihnen
liegen ganz andre Dinge im Kopfe. Die Stadt- und Gemeindeangelegenheiten,
die Lohn- und Dienstverhältnisse, die Gewerbcfragen, dies beschäftigt sie voll¬
auf, und wer wollte sie darum tadeln? Höchstens daß sie an den Bestrebungen
der >,A"tikorruptivnspnrtei" -- denn eine solche giebt es im Reichstage und
im Gcmeindcrate -- oder auch an denen der Antisemiten lebhafteren Anteil
nehmen. Die Einführung des allgemeinen Stimmrechtes, das ja kein Ver¬
nünftiger in Österreich für die nächste Zukunft wird ernstlich befürworten Wollen,
würde denn auch von Wien lind Umgebung gewiß Kandidaten in unsre Ver-


Aus dein goldnen Prag.

und der Wandlung der öffentlichen Meinung, und Hans Höltig hat nichts andres
zu thun, als auf der Stelle seinen Abschied vom Bauunternehmer zu nehmen
und spornstreichs in die Arme seiner treuen Anna zu eilen, mit der er sich
endlich post, tot cliMriurirm rorunr verbinden kann.

Man sieht, die Erfindung dieser neuen Erzählung Burmesters ist nicht
eben originell. Der Reiz liegt aber in der saubern Zeichnung der Gestalten,
in dem Wechsel von Ernst und Humor und vor allem in der Sprache, die mit
ihrem Reichtum an Sprichwörtern und originellen Wendungen durchaus volks¬
tümlich erscheint. Hier weniger als je folgt Burmester Fritz Reuters Spuren,
aber seine Individualität bricht umsomehr in ihrer Eigenart durch.


Moritz Neckar.


Aus dem goldnen Prag.

in längerer Aufenthalt in der Hauptstadt des Krvulandes Böhmen
wird für jeden, der sich mit Geschichte und Politik der Gegen¬
wart oder Vergangenheit beschäftigt, überaus lehrreich sein. Denn
hier sieht er geschichtliche Mächte, die den Gang der Ereignisse
in unserm Jahrhundert zum großen Teile recht eigentlich be¬
stimmten, aber anderwärts bereits zu wirken aufgehört haben, noch immer in
Thätigkeit. Wer das dumpfe Grollen der sozialistischen Bewegung recht in der
Nähe hören wollte, müßte nach Paris oder Lyon gehen; hier aber sieht er die
nationalen Ideen in das tägliche Leben einer tüchtigen und arbeitsamen Be¬
völkerung, die fürwahr Sorgen genug hat, aufs elementarste und verhängnis¬
vollste eingreifen. Kein größerer Gegensatz ist da zu denken als der zwischen
Prag und Wien! Die Hauptstadt des Reiches wird von der tiefgreifenden
Bewegung, welche Prag nun schon seit Jahren durchzittert, fast garnicht berührt:
die Arbeiterschaft und die Kleinbürger kümmern sich garnicht um sie, ihnen
liegen ganz andre Dinge im Kopfe. Die Stadt- und Gemeindeangelegenheiten,
die Lohn- und Dienstverhältnisse, die Gewerbcfragen, dies beschäftigt sie voll¬
auf, und wer wollte sie darum tadeln? Höchstens daß sie an den Bestrebungen
der >,A»tikorruptivnspnrtei" — denn eine solche giebt es im Reichstage und
im Gcmeindcrate — oder auch an denen der Antisemiten lebhafteren Anteil
nehmen. Die Einführung des allgemeinen Stimmrechtes, das ja kein Ver¬
nünftiger in Österreich für die nächste Zukunft wird ernstlich befürworten Wollen,
würde denn auch von Wien lind Umgebung gewiß Kandidaten in unsre Ver-


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[0514] Aus dein goldnen Prag. und der Wandlung der öffentlichen Meinung, und Hans Höltig hat nichts andres zu thun, als auf der Stelle seinen Abschied vom Bauunternehmer zu nehmen und spornstreichs in die Arme seiner treuen Anna zu eilen, mit der er sich endlich post, tot cliMriurirm rorunr verbinden kann. Man sieht, die Erfindung dieser neuen Erzählung Burmesters ist nicht eben originell. Der Reiz liegt aber in der saubern Zeichnung der Gestalten, in dem Wechsel von Ernst und Humor und vor allem in der Sprache, die mit ihrem Reichtum an Sprichwörtern und originellen Wendungen durchaus volks¬ tümlich erscheint. Hier weniger als je folgt Burmester Fritz Reuters Spuren, aber seine Individualität bricht umsomehr in ihrer Eigenart durch. Moritz Neckar. Aus dem goldnen Prag. in längerer Aufenthalt in der Hauptstadt des Krvulandes Böhmen wird für jeden, der sich mit Geschichte und Politik der Gegen¬ wart oder Vergangenheit beschäftigt, überaus lehrreich sein. Denn hier sieht er geschichtliche Mächte, die den Gang der Ereignisse in unserm Jahrhundert zum großen Teile recht eigentlich be¬ stimmten, aber anderwärts bereits zu wirken aufgehört haben, noch immer in Thätigkeit. Wer das dumpfe Grollen der sozialistischen Bewegung recht in der Nähe hören wollte, müßte nach Paris oder Lyon gehen; hier aber sieht er die nationalen Ideen in das tägliche Leben einer tüchtigen und arbeitsamen Be¬ völkerung, die fürwahr Sorgen genug hat, aufs elementarste und verhängnis¬ vollste eingreifen. Kein größerer Gegensatz ist da zu denken als der zwischen Prag und Wien! Die Hauptstadt des Reiches wird von der tiefgreifenden Bewegung, welche Prag nun schon seit Jahren durchzittert, fast garnicht berührt: die Arbeiterschaft und die Kleinbürger kümmern sich garnicht um sie, ihnen liegen ganz andre Dinge im Kopfe. Die Stadt- und Gemeindeangelegenheiten, die Lohn- und Dienstverhältnisse, die Gewerbcfragen, dies beschäftigt sie voll¬ auf, und wer wollte sie darum tadeln? Höchstens daß sie an den Bestrebungen der >,A»tikorruptivnspnrtei" — denn eine solche giebt es im Reichstage und im Gcmeindcrate — oder auch an denen der Antisemiten lebhafteren Anteil nehmen. Die Einführung des allgemeinen Stimmrechtes, das ja kein Ver¬ nünftiger in Österreich für die nächste Zukunft wird ernstlich befürworten Wollen, würde denn auch von Wien lind Umgebung gewiß Kandidaten in unsre Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/514>, abgerufen am 05.02.2025.