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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Deutschen in Newyori.

fehlt und von keiner Seite angebahnt wird --, so würde das Deutschtum wahr¬
scheinlich heute das Zünglein an der Wage im Newyorker Kominunalleben bilden.
Dieses Leben wird jedoch nach wie vor von einem Bataillon korrumpirter irischer
Politiker für ihre habgierigen Taschen ausgebeutet; die Stellung, welche unsre
Landsleute als solche einnehmen, ist von äußerster Bedeutungslosigkeit, und es
ist an deu 400 000 Deutschen lediglich das erstaunlich, wie sie ihre Kräfte
politisch verzetteln und sich von einem brutalen und verhaßten, nicht einmal
amerikanischen Pöbel "ach wie vor vergewaltigen lassen! Wo immer man bei
einer Wahl in den Straßen eine Fahne sieht mit der Inschrift: Hauptquartier
der deutschen Republikaner der dritten Ward, oder der deutschen Demokraten
der vierten Ward, da ist der Antrieb zu dieser Einigung nicht aus dem Gefühle
nationaler Zusammengehörigkeit gekommen, sondern die leitenden Republikaner
und Demokraten erinnerten sich plötzlich -- immer nur vor der Wahl --, daß
es so etwas wie Deutsche in den Vereinigten Staaten gebe, und diese Deutschen
einigten sich auf Befehl des Amerikaners zu amerikanischen Partcizweckcn, um
nach der Ausnutzung dieses Manöuvcrs wieder die angefeindeten, aber nichts¬
destoweniger gleichgültigen iinnÜNAnts zu werden, denen man bei jeder Gelegen¬
heit ins Gesicht sagt, daß sie besser von diesem gesegneten Boden ferngeblieben
wären, und die das auch ruhig einstecken.

Dieser politisch ohnmächtigen Stellung entspricht die Stellung im bürger¬
lichen Leben. Zwar giebt es Dcutschfreuudc, doch sind sie vollkommen vereinzelt.
Die wohlwollende Anerkennung unsers Nationalcharakters durch den trefflichen
White (den frühern Gesandten in Berlin und Mitbegründer der bekannten Uni¬
versität von Utica) wird mehr belächelt als verstanden, und es giebt ohnehin
kein Land in der Welt, wo der reichste, gebildetste und rechtschnffeustc Teil des
Volkes so wenig Einfluß auf die Politik übt oder auch nur beansprucht, wie
die Vereinigten Staaten. Äußere sich daher der Widerwille gegen den deutschen
Einwanderer und deutschen Abkömmling auch nicht mehr so offen und roh wie
früher: in den breiten und maßgebenden Schichten der amerikanischen Bevölke¬
rung ist er vorhanden nach wie vor, und der Deutsche, als Deutscher, ist im
besten Falle geduldet. Es ist das natürlich eine Erkenntnis, gegen die man sich
als Neuling lange sträubt. Man möchte sich so gerne einreden: der Amerikaner
fürchtet die deutsche Nichtigkeit, die deutsche Konkurrenz. Doch kommt man
leider bald dahinter, daß diese Konkurrenz nur deshalb so gefürchtet ist, weil der
Deutsche den Amerikaner unterbietet, und schließlich überzeugt man sich,
daß jener Widerwille nicht einmal unverdient, ja daß die Verachtung eines
Stammes durchaus berechtigt ist, welcher auch nicht eine Spur nationalen
Selbstgefühls zur Schau trägt. Der Icmtee, der in dieser Beziehung selber
eine so große Empfindlichkeit besitzt, versteht es nicht, wie jemand eine Ehre
darein setzen könne, seine Nationalität wegzuwerfen, zu verleugnen und zu be-
speien, und wie man deu patzigen Jrländer gewähren läßt, der unter aller Angen


Die Deutschen in Newyori.

fehlt und von keiner Seite angebahnt wird —, so würde das Deutschtum wahr¬
scheinlich heute das Zünglein an der Wage im Newyorker Kominunalleben bilden.
Dieses Leben wird jedoch nach wie vor von einem Bataillon korrumpirter irischer
Politiker für ihre habgierigen Taschen ausgebeutet; die Stellung, welche unsre
Landsleute als solche einnehmen, ist von äußerster Bedeutungslosigkeit, und es
ist an deu 400 000 Deutschen lediglich das erstaunlich, wie sie ihre Kräfte
politisch verzetteln und sich von einem brutalen und verhaßten, nicht einmal
amerikanischen Pöbel »ach wie vor vergewaltigen lassen! Wo immer man bei
einer Wahl in den Straßen eine Fahne sieht mit der Inschrift: Hauptquartier
der deutschen Republikaner der dritten Ward, oder der deutschen Demokraten
der vierten Ward, da ist der Antrieb zu dieser Einigung nicht aus dem Gefühle
nationaler Zusammengehörigkeit gekommen, sondern die leitenden Republikaner
und Demokraten erinnerten sich plötzlich — immer nur vor der Wahl —, daß
es so etwas wie Deutsche in den Vereinigten Staaten gebe, und diese Deutschen
einigten sich auf Befehl des Amerikaners zu amerikanischen Partcizweckcn, um
nach der Ausnutzung dieses Manöuvcrs wieder die angefeindeten, aber nichts¬
destoweniger gleichgültigen iinnÜNAnts zu werden, denen man bei jeder Gelegen¬
heit ins Gesicht sagt, daß sie besser von diesem gesegneten Boden ferngeblieben
wären, und die das auch ruhig einstecken.

Dieser politisch ohnmächtigen Stellung entspricht die Stellung im bürger¬
lichen Leben. Zwar giebt es Dcutschfreuudc, doch sind sie vollkommen vereinzelt.
Die wohlwollende Anerkennung unsers Nationalcharakters durch den trefflichen
White (den frühern Gesandten in Berlin und Mitbegründer der bekannten Uni¬
versität von Utica) wird mehr belächelt als verstanden, und es giebt ohnehin
kein Land in der Welt, wo der reichste, gebildetste und rechtschnffeustc Teil des
Volkes so wenig Einfluß auf die Politik übt oder auch nur beansprucht, wie
die Vereinigten Staaten. Äußere sich daher der Widerwille gegen den deutschen
Einwanderer und deutschen Abkömmling auch nicht mehr so offen und roh wie
früher: in den breiten und maßgebenden Schichten der amerikanischen Bevölke¬
rung ist er vorhanden nach wie vor, und der Deutsche, als Deutscher, ist im
besten Falle geduldet. Es ist das natürlich eine Erkenntnis, gegen die man sich
als Neuling lange sträubt. Man möchte sich so gerne einreden: der Amerikaner
fürchtet die deutsche Nichtigkeit, die deutsche Konkurrenz. Doch kommt man
leider bald dahinter, daß diese Konkurrenz nur deshalb so gefürchtet ist, weil der
Deutsche den Amerikaner unterbietet, und schließlich überzeugt man sich,
daß jener Widerwille nicht einmal unverdient, ja daß die Verachtung eines
Stammes durchaus berechtigt ist, welcher auch nicht eine Spur nationalen
Selbstgefühls zur Schau trägt. Der Icmtee, der in dieser Beziehung selber
eine so große Empfindlichkeit besitzt, versteht es nicht, wie jemand eine Ehre
darein setzen könne, seine Nationalität wegzuwerfen, zu verleugnen und zu be-
speien, und wie man deu patzigen Jrländer gewähren läßt, der unter aller Angen


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[0462] Die Deutschen in Newyori. fehlt und von keiner Seite angebahnt wird —, so würde das Deutschtum wahr¬ scheinlich heute das Zünglein an der Wage im Newyorker Kominunalleben bilden. Dieses Leben wird jedoch nach wie vor von einem Bataillon korrumpirter irischer Politiker für ihre habgierigen Taschen ausgebeutet; die Stellung, welche unsre Landsleute als solche einnehmen, ist von äußerster Bedeutungslosigkeit, und es ist an deu 400 000 Deutschen lediglich das erstaunlich, wie sie ihre Kräfte politisch verzetteln und sich von einem brutalen und verhaßten, nicht einmal amerikanischen Pöbel »ach wie vor vergewaltigen lassen! Wo immer man bei einer Wahl in den Straßen eine Fahne sieht mit der Inschrift: Hauptquartier der deutschen Republikaner der dritten Ward, oder der deutschen Demokraten der vierten Ward, da ist der Antrieb zu dieser Einigung nicht aus dem Gefühle nationaler Zusammengehörigkeit gekommen, sondern die leitenden Republikaner und Demokraten erinnerten sich plötzlich — immer nur vor der Wahl —, daß es so etwas wie Deutsche in den Vereinigten Staaten gebe, und diese Deutschen einigten sich auf Befehl des Amerikaners zu amerikanischen Partcizweckcn, um nach der Ausnutzung dieses Manöuvcrs wieder die angefeindeten, aber nichts¬ destoweniger gleichgültigen iinnÜNAnts zu werden, denen man bei jeder Gelegen¬ heit ins Gesicht sagt, daß sie besser von diesem gesegneten Boden ferngeblieben wären, und die das auch ruhig einstecken. Dieser politisch ohnmächtigen Stellung entspricht die Stellung im bürger¬ lichen Leben. Zwar giebt es Dcutschfreuudc, doch sind sie vollkommen vereinzelt. Die wohlwollende Anerkennung unsers Nationalcharakters durch den trefflichen White (den frühern Gesandten in Berlin und Mitbegründer der bekannten Uni¬ versität von Utica) wird mehr belächelt als verstanden, und es giebt ohnehin kein Land in der Welt, wo der reichste, gebildetste und rechtschnffeustc Teil des Volkes so wenig Einfluß auf die Politik übt oder auch nur beansprucht, wie die Vereinigten Staaten. Äußere sich daher der Widerwille gegen den deutschen Einwanderer und deutschen Abkömmling auch nicht mehr so offen und roh wie früher: in den breiten und maßgebenden Schichten der amerikanischen Bevölke¬ rung ist er vorhanden nach wie vor, und der Deutsche, als Deutscher, ist im besten Falle geduldet. Es ist das natürlich eine Erkenntnis, gegen die man sich als Neuling lange sträubt. Man möchte sich so gerne einreden: der Amerikaner fürchtet die deutsche Nichtigkeit, die deutsche Konkurrenz. Doch kommt man leider bald dahinter, daß diese Konkurrenz nur deshalb so gefürchtet ist, weil der Deutsche den Amerikaner unterbietet, und schließlich überzeugt man sich, daß jener Widerwille nicht einmal unverdient, ja daß die Verachtung eines Stammes durchaus berechtigt ist, welcher auch nicht eine Spur nationalen Selbstgefühls zur Schau trägt. Der Icmtee, der in dieser Beziehung selber eine so große Empfindlichkeit besitzt, versteht es nicht, wie jemand eine Ehre darein setzen könne, seine Nationalität wegzuwerfen, zu verleugnen und zu be- speien, und wie man deu patzigen Jrländer gewähren läßt, der unter aller Angen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/462>, abgerufen am 05.02.2025.