Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.um den Geschäften selbst ein ernstliches Interesse oder hat auch nur ein ge¬ um den Geschäften selbst ein ernstliches Interesse oder hat auch nur ein ge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197875"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1307" prev="#ID_1306" next="#ID_1308"> um den Geschäften selbst ein ernstliches Interesse oder hat auch nur ein ge¬<lb/> nügendes Urteil über dieselben. Niemand, der jemals die Generalversamm¬<lb/> lungen unsrer bedeutenderen Volksbanken, diese zu einem reinen Dekorationsstücke<lb/> herabgesunkene Farce, zu besuchen und zu studiren Gelegenheit hatte, wird den<lb/> letzten Satz bestreiten. In Wahrheit sind ja die Vorstände, Direktoren ze,<lb/> der größern Bollsbanken längst allmächtig geworden, und die angeblichen<lb/> „Genossen" bilden nnr noch den ans einer Art von Pietät festgehaltenen<lb/> Unterbau, auf dem sich das Gebäude eines weitverzweigten Großbank¬<lb/> betriebes erhebt. Eine Grundlage aber, auf der der Begriff des „Genoffen"<lb/> sich so verflüchtigen konnte, daß er nur noch ein Scheindasein sührt, kann<lb/> nicht die richtige sein. Es war somit ein Irrtum, von der Nichtigkeit und<lb/> Sachgcmäßheit des jetzigen Genossenschaftsgesetzes auszugehen, als man den<lb/> ersten schüchternen Schritt that, die Genossenschaftsidec in unsre Innungen<lb/> zu verpflanzen. Man hätte vielmehr von vornherein zugestehen sollen, für<lb/> diese Verpflanzung müsse eine ganz neue rechtliche Grundlage geschaffen<lb/> werden, das künftige Geuvssenschaftsgesetz müsse, mit einem Worte gesagt,<lb/> nicht Leute künstlich zu Genossen stempeln, die es garnicht sind, sondern wirk¬<lb/> lichen Genossen ein an ihre Verhältnisse sich naturgemäß anschließendes Ge-<lb/> nossenrccht verleihen. Soll die Innung zur Genossenschaft werden oder soll sie<lb/> aus ihrem Schoße genossenschaftliche Bildungen entwickeln, so ist das heutige<lb/> Genossenschnftsgesetz ganz unbrauchbar, schon weil es viel zu umständlich ist<lb/> und überdies (wie weiterhin gezeigt werden soll) zu hohe Anforderungen stellt.<lb/> Es muß davon ausgegangen werden als von einer im Rechtsbewußtsein des<lb/> Volkes vorhandenen Sache, daß die Jnnungsmitglicder von Haus aus natürliche<lb/> Genossen sind, und daß, wenn einem von ihnen zu begründenden genossenschaft¬<lb/> lichen Betriebe die hierzu erforderlichen Rechtsformen gegeben werden sollen,<lb/> man sich hierbei um die natürlichen Formen und Gliederungen des Innungs-<lb/> wesens zu halten hat. Woran sowohl Innungen wie jetzige sogenannte Ge¬<lb/> nossenschaften (letztere jedoch ungleich mehr) leiden, das ist die Teilnahmlosigkeit<lb/> der Mitglieder; nur hat diese sehr verschiedne Ursachen: bei den sogenannten<lb/> Genossenschaften wurzelt sie darin, daß die Masse der Mitglieder von Art und<lb/> Umfang der Geschäfte weder Kenntnis noch Verständnis hat, bei den Innungen<lb/> darin, daß das gegenwärtige Wirksamkeitsgebiet derselben zu klein, einseitig<lb/> und geringfügig, und darum das Interesse der nicht gerade für die Jnnungs-<lb/> idee als solche begeisterten Mitglieder an der Jnnungssache zu schwach ist.<lb/> Wenn demnach das Innungswesen wirklich neu belebt werden soll, so müssen<lb/> die Innungen eine wirkliche Aufgabe bekommen, über deren Wichtigkeit kein<lb/> Mitglied der Innung einen Augenblick im Zweifel sein kann. Ein genossen¬<lb/> schaftlicher Betrieb, der sich durchaus auf die „Genossen" (die Mitglieder) be¬<lb/> schränkt, würde ohne Zweifel in diesem Sinne wirken; und die Übertragung<lb/> dieses neuen Thntigkeitsgebietes ans die Innung würde also nicht nur wirkliche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0451]
um den Geschäften selbst ein ernstliches Interesse oder hat auch nur ein ge¬
nügendes Urteil über dieselben. Niemand, der jemals die Generalversamm¬
lungen unsrer bedeutenderen Volksbanken, diese zu einem reinen Dekorationsstücke
herabgesunkene Farce, zu besuchen und zu studiren Gelegenheit hatte, wird den
letzten Satz bestreiten. In Wahrheit sind ja die Vorstände, Direktoren ze,
der größern Bollsbanken längst allmächtig geworden, und die angeblichen
„Genossen" bilden nnr noch den ans einer Art von Pietät festgehaltenen
Unterbau, auf dem sich das Gebäude eines weitverzweigten Großbank¬
betriebes erhebt. Eine Grundlage aber, auf der der Begriff des „Genoffen"
sich so verflüchtigen konnte, daß er nur noch ein Scheindasein sührt, kann
nicht die richtige sein. Es war somit ein Irrtum, von der Nichtigkeit und
Sachgcmäßheit des jetzigen Genossenschaftsgesetzes auszugehen, als man den
ersten schüchternen Schritt that, die Genossenschaftsidec in unsre Innungen
zu verpflanzen. Man hätte vielmehr von vornherein zugestehen sollen, für
diese Verpflanzung müsse eine ganz neue rechtliche Grundlage geschaffen
werden, das künftige Geuvssenschaftsgesetz müsse, mit einem Worte gesagt,
nicht Leute künstlich zu Genossen stempeln, die es garnicht sind, sondern wirk¬
lichen Genossen ein an ihre Verhältnisse sich naturgemäß anschließendes Ge-
nossenrccht verleihen. Soll die Innung zur Genossenschaft werden oder soll sie
aus ihrem Schoße genossenschaftliche Bildungen entwickeln, so ist das heutige
Genossenschnftsgesetz ganz unbrauchbar, schon weil es viel zu umständlich ist
und überdies (wie weiterhin gezeigt werden soll) zu hohe Anforderungen stellt.
Es muß davon ausgegangen werden als von einer im Rechtsbewußtsein des
Volkes vorhandenen Sache, daß die Jnnungsmitglicder von Haus aus natürliche
Genossen sind, und daß, wenn einem von ihnen zu begründenden genossenschaft¬
lichen Betriebe die hierzu erforderlichen Rechtsformen gegeben werden sollen,
man sich hierbei um die natürlichen Formen und Gliederungen des Innungs-
wesens zu halten hat. Woran sowohl Innungen wie jetzige sogenannte Ge¬
nossenschaften (letztere jedoch ungleich mehr) leiden, das ist die Teilnahmlosigkeit
der Mitglieder; nur hat diese sehr verschiedne Ursachen: bei den sogenannten
Genossenschaften wurzelt sie darin, daß die Masse der Mitglieder von Art und
Umfang der Geschäfte weder Kenntnis noch Verständnis hat, bei den Innungen
darin, daß das gegenwärtige Wirksamkeitsgebiet derselben zu klein, einseitig
und geringfügig, und darum das Interesse der nicht gerade für die Jnnungs-
idee als solche begeisterten Mitglieder an der Jnnungssache zu schwach ist.
Wenn demnach das Innungswesen wirklich neu belebt werden soll, so müssen
die Innungen eine wirkliche Aufgabe bekommen, über deren Wichtigkeit kein
Mitglied der Innung einen Augenblick im Zweifel sein kann. Ein genossen¬
schaftlicher Betrieb, der sich durchaus auf die „Genossen" (die Mitglieder) be¬
schränkt, würde ohne Zweifel in diesem Sinne wirken; und die Übertragung
dieses neuen Thntigkeitsgebietes ans die Innung würde also nicht nur wirkliche
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