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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Vie hannoversche Gesellschaft.

sich seine Herren Mitvernnstalter, ohne sich weiter um die Bedienung und die
Unterhaltung der andern Gäste zu bekümmern.

Der Zwang, welcher zur hannoverschen Zeit jeden jungen Mann, den
Geburt oder Stellung dazu berechtigte, veranlaßte, sich in den Kind aufnehmen
zu lassen, ist verloren gegangen. Aus Mangel an jungen Herren haben es
deswegen die meisten Klubs aufgegeben, sich um die gemeinsamen Vergnügungen
der Gesellschaft, soweit von einer solchen überhaupt uoch die Rede sein kann, zu
bekümmern, und überlassen auch dies einigen Herren, denen es spezielles Ver¬
gnügen macht, sich in dieser Beziehung an die Spitze zu stellen.

Übrigens haben sich die betreffenden Verhältnisse in den hannoverschen
Städten sehr verschieden gestaltet, in allen aber sind unter dem Einflüsse der
neu eingewanderten Altpreußen mannichfache Kreise entstanden, je nachdem das
gemeinsame dienstliche Verhältnis der Männer sie zusammengeführt hat. Die
Offiziere treffen sich in ihren Kasinos; "Wir von der Regierung" vereinigen
sich, und auch die Justizbeamten folgen ihrem Beispiele, obgleich unter ihnen
noch die meisten Althannvveraner vorhanden sind.

Aus diese Weise sind altbewährte Institutionen vernichtet worden, und noch
hat sich nichts sestes an ihrer Stelle gebildet. Aber wenn auch die althannoversche
Gesellschaft fast verschwunden ist, so haben sich doch die einzelnen Familien, aus
denen sie zusammengesetzt war, mehr und mehr den eingewanderten Preußen
genähert. Gott Amor übernahm die Führung. Bald nach der Annexion begann
er sein Spiel und führte Tochter des Adels nud der Beamten, die noch kurz
vorher mit gelbweißen Schleifen in den Haaren und vor der Brust paradirt
hatten, in die Arme preußischer Offiziere lind Beamter. Damit begann die
Versöhnung zwischen Elementen, die bis dahin einander schroff gegenüber ge¬
standen hatten.

Wir haben uns in der Schilderung der hannoverschen gesellschaftlichen
Verhältnisse vor und nach der Annexion jeder politischen Anspielung enthalten.
Und doch ist es zweifellos, daß der Gegensatz, welcher in Hannover zwischen
der ersten und der zweiten Gesellschaft bestand, während der innern politischen
Kämpfe, welche der Annexion folgten, eine mächtige Rolle gespielt hat.

Mit der Auflösung der ersten Gesellschaft ging Hand in Hand die Zer¬
splitterung der alten konservative" hannoverschen Partei, während die Mitglieder
der zweiten sich überall an die Spitze der Nativnalliberalen stellten, um mit ihr
den Teil der erstem zu bekämpfen, welcher sich von alten Überlieferungen nicht
losmachen konnte.

Doch das sind Dinge, die außerhalb des Nahmens dieser Schilderung liegen.
Fänden diese Zeilen den Beifall der Leser, so wäre es möglich, daß wir auch
auf diese politischen Gegensätze später einmal ausführlicher zurückkämen.




Vie hannoversche Gesellschaft.

sich seine Herren Mitvernnstalter, ohne sich weiter um die Bedienung und die
Unterhaltung der andern Gäste zu bekümmern.

Der Zwang, welcher zur hannoverschen Zeit jeden jungen Mann, den
Geburt oder Stellung dazu berechtigte, veranlaßte, sich in den Kind aufnehmen
zu lassen, ist verloren gegangen. Aus Mangel an jungen Herren haben es
deswegen die meisten Klubs aufgegeben, sich um die gemeinsamen Vergnügungen
der Gesellschaft, soweit von einer solchen überhaupt uoch die Rede sein kann, zu
bekümmern, und überlassen auch dies einigen Herren, denen es spezielles Ver¬
gnügen macht, sich in dieser Beziehung an die Spitze zu stellen.

Übrigens haben sich die betreffenden Verhältnisse in den hannoverschen
Städten sehr verschieden gestaltet, in allen aber sind unter dem Einflüsse der
neu eingewanderten Altpreußen mannichfache Kreise entstanden, je nachdem das
gemeinsame dienstliche Verhältnis der Männer sie zusammengeführt hat. Die
Offiziere treffen sich in ihren Kasinos; „Wir von der Regierung" vereinigen
sich, und auch die Justizbeamten folgen ihrem Beispiele, obgleich unter ihnen
noch die meisten Althannvveraner vorhanden sind.

Aus diese Weise sind altbewährte Institutionen vernichtet worden, und noch
hat sich nichts sestes an ihrer Stelle gebildet. Aber wenn auch die althannoversche
Gesellschaft fast verschwunden ist, so haben sich doch die einzelnen Familien, aus
denen sie zusammengesetzt war, mehr und mehr den eingewanderten Preußen
genähert. Gott Amor übernahm die Führung. Bald nach der Annexion begann
er sein Spiel und führte Tochter des Adels nud der Beamten, die noch kurz
vorher mit gelbweißen Schleifen in den Haaren und vor der Brust paradirt
hatten, in die Arme preußischer Offiziere lind Beamter. Damit begann die
Versöhnung zwischen Elementen, die bis dahin einander schroff gegenüber ge¬
standen hatten.

Wir haben uns in der Schilderung der hannoverschen gesellschaftlichen
Verhältnisse vor und nach der Annexion jeder politischen Anspielung enthalten.
Und doch ist es zweifellos, daß der Gegensatz, welcher in Hannover zwischen
der ersten und der zweiten Gesellschaft bestand, während der innern politischen
Kämpfe, welche der Annexion folgten, eine mächtige Rolle gespielt hat.

Mit der Auflösung der ersten Gesellschaft ging Hand in Hand die Zer¬
splitterung der alten konservative» hannoverschen Partei, während die Mitglieder
der zweiten sich überall an die Spitze der Nativnalliberalen stellten, um mit ihr
den Teil der erstem zu bekämpfen, welcher sich von alten Überlieferungen nicht
losmachen konnte.

Doch das sind Dinge, die außerhalb des Nahmens dieser Schilderung liegen.
Fänden diese Zeilen den Beifall der Leser, so wäre es möglich, daß wir auch
auf diese politischen Gegensätze später einmal ausführlicher zurückkämen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/359>, abgerufen am 05.02.2025.