Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Die Krisis am Balkan und in England. doch weigern sie sich, ungleich den englischen Pächtern in ähnlicher Lage, ihr Grmztwwl I. 1886,42
Die Krisis am Balkan und in England. doch weigern sie sich, ungleich den englischen Pächtern in ähnlicher Lage, ihr Grmztwwl I. 1886,42
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Die Krisis am Balkan und in England.
doch weigern sie sich, ungleich den englischen Pächtern in ähnlicher Lage, ihr
Pachtgütche» zu räumen. Die Gutsherren bekomme» weder ihr Geld noch ihr
Land und befinden sich, gedrängt von HhPothetenglänbiger», die ihre Zinse»
fordern, in ärgster Verlegenheit. Aus dieser Lage der Dinge, die von Woche
zu Woche schlimmer wird und sich in einigen Monaten zu einem ganz und gar
»»erträglichen Notstände ausbilden muß, erklärt sichs, wenn das sogenannte
„Boyevtting" wie eine Epidemie um sich gegriffen hat. Diese Seuche hat sich
auch über das Gebiet von Handel und Gewerbe verbreitet, und die Lokalvcreine
haben sich der Aufsicht und der Einwirkung des Zentralratcs der Liga entzogen,
welcher kein Interesse daran hat, daß aller Unternehmungsgeist und Gewerbcfleiß
Irlands durch kleine Dorftyraimcn erstickt wird, das gesamte Land verfällt auf
diese Weise rasch in einen Zustand von Anarchie, die alle Welt mit dem N»in
bedroht, und so darf man hoffe», daß die Fährer des Volkes bereitwillig jedem
großgedachten Plane ihren Beistand leihen würden, der bestimmt wäre, dem
Landkriege durch Auflauf der irischen Gutsherren ein Ende zu machen. Dazu
bedürfte man aber englischen Kredits, und um den zu erlangen, müßte man
vorher die öffentliche Meinung in England versöhnen und gewinnen. Das Ver¬
langen nach Hvmerule könnte ein paar Jahre vertagt und kaltgestellt werden,
wenn Gladstone mit einem freigebig gedachten Plane hervorträte und — Glück
damit hätte, dessen Zweck die Expropriation der irischen Gutsherren und die
Schaffung eines Standes kleiner Landbesitzer auf deren Grund und Boden wäre.
Bevor jedoch felbst das liberalste Kabinet eine derartige Maßregel dem Parla¬
mente mit Aussicht auf deren Genehmigung vorlege» könnte, müßte etwas zur
Herstellung vou Gesetz und Recht in Irland geschehe». Denn ehe das Land¬
volk nicht dahin gebracht wird, daß es die Ausdehnung seiner pekuniären Ver-
Pflichtnngc» begreift, wird es an keinem Plane, der es zu Freisassen machen
soll, irgendwelches Interesse empfinden, weil die Leute ja ohne Parlaments-
bcschlnß faktisch bereits frei sind, d. h. keine» Pacht zu zahle» habe», indem
man ihn ans Furcht nicht einzutreiben wagt und sie ans demselben Grunde
nicht von ihrer Pachtung vertreibt. Die Aufgabe des neuen Ministeriums
scheint demnach in Betreff Irlands folgende zu sein: Zunächst hat es hier dem
Gesetze Achtung und Gehorsam zu verschaffen, das Verbrechen zu entmutigen,
dem Boyevtting der Mondscheinleute ein Ende zu machen, und zwar nachdrücklich
und gründlich, mit den kräftigsten Mitteln. Dann müßte eine Landbill folgen'
welche die Pächter praktisch in Freisassen mit der Verpflichtung, einen festen
und mäßig bemessenen Erbpacht zu zahle», verwandelte. Hieran würde sich die
Gewährung vo» Grafschaftsrätc» mit Vollmachten schließen, welche durch Par-
lamentsbcschlnß festgestellt wären — Natsversammlnngen, in welchen das irische
Volk dem Reiche, dem Gesmntstaatc zeigen konnte, daß es zur Homcrule, zur
eignen Verwaltung seiner besondern Interessen, das Zeug hat. Das wäre die
natürliche, die allein zulässige Reihenfolge. Beginnt man mit dem andern Ende
dieses Programms, giebt man den Iren eine Lokalregierung, ehe die Ordnung
wiederhergestellt und die Landfrage erledigt ist, so wird man Irland »in ein
Jahrhundert zurückbringen und dasselbe zu einer Bente innerer Kämpfe der
unheilvollsten Art werden sehen.
Grmztwwl I. 1886,42
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