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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Und dies alles in einer Sache, welche die Augen von ganz Deutschland auf
sich zieht!

Soviel bekannt ist, ist der nämliche Vorsitzende auch als juristischer Schrift¬
steller und dabei als eifriger Lobpreiser des neuen Prozesses aufgetreten.
Wenn es seine Absicht gewesen sein sollte, durch seine hier besprochene Sach¬
leitung die Berechtigung jener Lobpreisungen zu illustriren, so müssen wir dies
als wenig gelungen bezeichnen. Im Gegenteil, es hat sich hier gezeigt, wie sehr
nach einer bisher wohl kaum beachteten Seite hin ein Mißbrauch der Formen
des neuen Verfahrens geübt werden kann.




Die Krisis am Balkan und in England.

le vorigen Wochen brachten zwei überraschende Ereignisse: die
Weigerung der griechischen und der serbischen Negierung, der Auf¬
forderung der Großmächte zur Abrüstung nachzukommen, und
die Abstimmung im englischen Unterhause, welche das Ministerium
Salisbury bewog, die Königin zur Erlaubnis um Rücktritt vom
Staatsruder zu bitten. Beide stehen insofern im Zusammenhang, als das erste
nur durch das zweite eine Bedeutung erlangte, welche Bedenken erwecken kann.

Die Großmächte hatten in dem Bedürfnis noch Erhaltung des Weltfriedens
in Sofia, Belgrad und Athen den Rat erteilen lassen, das Heer wieder auf den
Friedensfuß zu bringen, damit Serbien und Bulgarien ihre Meinungsverschieden¬
heiten in Ruhe ausgleichen und Fürst Alexander und der Sultan zu einer
endgiltigen Verständigung über Ostrnmelien kommen könnten. Die betreffende
Kollektivnote begegnete bei der serbischen und griechischen Regierung einer Ab¬
lehnung, während die bulgarische in bedingter Weise zustimmend antwortete.
Seitdem verging eine Woche, und das Ende des Winters rückte näher, des¬
gleichen der Ablauf des Waffenstillstandes zwischen Serbien und Bulgarien.
Wenn Staaten, die Krieg geführt haben, noch unter Waffen stehen, ist Zögern
und Aufschub gefährlich, und es erwächst für die, welche ein Interesse daran
haben, als Vormünder dieser Staaten den Wiederausbruch der Feindseligkeiten
zu verhüten, die Pflicht, zunächst zur Niederlegung der Waffen zu raten, dann,
wenn das nicht befolgt wird, es zu befehlen und, falls der Befehl unbeachtet
bleibt, Gehorsam zu erzwingen. Ein kleiner Krieg auf der Balkanhalbinsel
kaun leicht zu einem Weltkriege werden. Keine einzige Nation in Europa,
weder eine große noch eine kleine, erfreut sich dermalen so gedeihlicher Zustände,
wie sie bisweilen zu gewagten Unternehmungen führen. Die Finanzen aller


Grenzbvwi I. 133L, 41

Und dies alles in einer Sache, welche die Augen von ganz Deutschland auf
sich zieht!

Soviel bekannt ist, ist der nämliche Vorsitzende auch als juristischer Schrift¬
steller und dabei als eifriger Lobpreiser des neuen Prozesses aufgetreten.
Wenn es seine Absicht gewesen sein sollte, durch seine hier besprochene Sach¬
leitung die Berechtigung jener Lobpreisungen zu illustriren, so müssen wir dies
als wenig gelungen bezeichnen. Im Gegenteil, es hat sich hier gezeigt, wie sehr
nach einer bisher wohl kaum beachteten Seite hin ein Mißbrauch der Formen
des neuen Verfahrens geübt werden kann.




Die Krisis am Balkan und in England.

le vorigen Wochen brachten zwei überraschende Ereignisse: die
Weigerung der griechischen und der serbischen Negierung, der Auf¬
forderung der Großmächte zur Abrüstung nachzukommen, und
die Abstimmung im englischen Unterhause, welche das Ministerium
Salisbury bewog, die Königin zur Erlaubnis um Rücktritt vom
Staatsruder zu bitten. Beide stehen insofern im Zusammenhang, als das erste
nur durch das zweite eine Bedeutung erlangte, welche Bedenken erwecken kann.

Die Großmächte hatten in dem Bedürfnis noch Erhaltung des Weltfriedens
in Sofia, Belgrad und Athen den Rat erteilen lassen, das Heer wieder auf den
Friedensfuß zu bringen, damit Serbien und Bulgarien ihre Meinungsverschieden¬
heiten in Ruhe ausgleichen und Fürst Alexander und der Sultan zu einer
endgiltigen Verständigung über Ostrnmelien kommen könnten. Die betreffende
Kollektivnote begegnete bei der serbischen und griechischen Regierung einer Ab¬
lehnung, während die bulgarische in bedingter Weise zustimmend antwortete.
Seitdem verging eine Woche, und das Ende des Winters rückte näher, des¬
gleichen der Ablauf des Waffenstillstandes zwischen Serbien und Bulgarien.
Wenn Staaten, die Krieg geführt haben, noch unter Waffen stehen, ist Zögern
und Aufschub gefährlich, und es erwächst für die, welche ein Interesse daran
haben, als Vormünder dieser Staaten den Wiederausbruch der Feindseligkeiten
zu verhüten, die Pflicht, zunächst zur Niederlegung der Waffen zu raten, dann,
wenn das nicht befolgt wird, es zu befehlen und, falls der Befehl unbeachtet
bleibt, Gehorsam zu erzwingen. Ein kleiner Krieg auf der Balkanhalbinsel
kaun leicht zu einem Weltkriege werden. Keine einzige Nation in Europa,
weder eine große noch eine kleine, erfreut sich dermalen so gedeihlicher Zustände,
wie sie bisweilen zu gewagten Unternehmungen führen. Die Finanzen aller


Grenzbvwi I. 133L, 41
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[0329] Und dies alles in einer Sache, welche die Augen von ganz Deutschland auf sich zieht! Soviel bekannt ist, ist der nämliche Vorsitzende auch als juristischer Schrift¬ steller und dabei als eifriger Lobpreiser des neuen Prozesses aufgetreten. Wenn es seine Absicht gewesen sein sollte, durch seine hier besprochene Sach¬ leitung die Berechtigung jener Lobpreisungen zu illustriren, so müssen wir dies als wenig gelungen bezeichnen. Im Gegenteil, es hat sich hier gezeigt, wie sehr nach einer bisher wohl kaum beachteten Seite hin ein Mißbrauch der Formen des neuen Verfahrens geübt werden kann. Die Krisis am Balkan und in England. le vorigen Wochen brachten zwei überraschende Ereignisse: die Weigerung der griechischen und der serbischen Negierung, der Auf¬ forderung der Großmächte zur Abrüstung nachzukommen, und die Abstimmung im englischen Unterhause, welche das Ministerium Salisbury bewog, die Königin zur Erlaubnis um Rücktritt vom Staatsruder zu bitten. Beide stehen insofern im Zusammenhang, als das erste nur durch das zweite eine Bedeutung erlangte, welche Bedenken erwecken kann. Die Großmächte hatten in dem Bedürfnis noch Erhaltung des Weltfriedens in Sofia, Belgrad und Athen den Rat erteilen lassen, das Heer wieder auf den Friedensfuß zu bringen, damit Serbien und Bulgarien ihre Meinungsverschieden¬ heiten in Ruhe ausgleichen und Fürst Alexander und der Sultan zu einer endgiltigen Verständigung über Ostrnmelien kommen könnten. Die betreffende Kollektivnote begegnete bei der serbischen und griechischen Regierung einer Ab¬ lehnung, während die bulgarische in bedingter Weise zustimmend antwortete. Seitdem verging eine Woche, und das Ende des Winters rückte näher, des¬ gleichen der Ablauf des Waffenstillstandes zwischen Serbien und Bulgarien. Wenn Staaten, die Krieg geführt haben, noch unter Waffen stehen, ist Zögern und Aufschub gefährlich, und es erwächst für die, welche ein Interesse daran haben, als Vormünder dieser Staaten den Wiederausbruch der Feindseligkeiten zu verhüten, die Pflicht, zunächst zur Niederlegung der Waffen zu raten, dann, wenn das nicht befolgt wird, es zu befehlen und, falls der Befehl unbeachtet bleibt, Gehorsam zu erzwingen. Ein kleiner Krieg auf der Balkanhalbinsel kaun leicht zu einem Weltkriege werden. Keine einzige Nation in Europa, weder eine große noch eine kleine, erfreut sich dermalen so gedeihlicher Zustände, wie sie bisweilen zu gewagten Unternehmungen führen. Die Finanzen aller Grenzbvwi I. 133L, 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/329>, abgerufen am 05.02.2025.