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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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dem Gleichgewichte der alten Parteien die ausschlaggebende ist. Für die par¬
lamentarische Herrschaft wäre dies an sich nicht von Bedeutung, allein diese
dritte Partei unterscheidet sich sehr wesentlich von den andern. Wahrend jene
beiden auf demselben Rechtsboden stehen, den Staat und dessen Verfassung an¬
erkennen und in seinen Grundlagen aufrecht zu erhalten streben, haßt die Par-
nellitische Partei das englische Reich nud hat das größte Interesse daran, es
zu zerstören, um auf seinen Trümmern ihr domin rrrlo, ein unabhängiges Ir¬
land, begründen zu können. Zur Aufrechterhaltung des parlamentarischen Re¬
gimes ist es nötig, die Gunst Parnells zu erwerben und dessen Stimme gegen
Zugeständnisse zum Nachteil der Staatseinheit zu erkaufen. Herr Gladstone
schreckt auch vor dieser Folgerung nicht zurück, und im Grnnde genommen muß
man es als richtig anerkennen, daß ein Staat den Untergang verdient, wenn die
Mehrzahl der Volksvertreter denselben will! Die Konservativen Englands waren
noch so sehr in dieser von ihren Vätern überlieferten Doktrin befangen, daß sie
nicht den Mut hatten, das Volk über die Bedeutung des Zusammengehens der
Paruellitischen Partei mit den Liberalen aufzuklären. Hätten sie gleich in der
Thronrede betont, daß ein Pallirer mit einer Partei, welche den bestehenden
Staat verneine, unmöglich sei, so würde eine Evolution der alten Parteien
erfolgt sein, welche der Erhaltung des Staates zu Gute gekommen wäre.

Hier sehen wir also, wie in dem Lande, welches dem Parlamentarismus
das Leben gab, der Staat von den Folgen desselben bedroht ist. Dasselbe
Schauspiel aber haben wir auch in Frankreich, dem Lande, welches die englische
Freiheit noch zu überbiete"? glaubte.

In Frankreich sind es trotz der vielfachen Schattirungen drei Haupt-
parteien, von denen die eine die Republik, die andre die Monarchie will und
die dritte -- die Radikalen -- den bestehenden Staat überhaupt nicht mag,
sondern auf dem Grunde einer neuen Gesellschaftsordnung ihre sozialtommn-
nistischen Ideale zu verwirklichen strebt. Jeden Augenblick können sich die
heterogensten Parteien verbinden, lediglich um den legalen Zuständen des Landes
entgegenzuwirken und das vvrhcmdne System zu vernichten. Wir haben auch
bereits erlebt, daß solche ungeheuerliche Verbindungen eingegangen worden sind,
und jeden Augenblick muß man darauf gefaßt sein, daß das Ministerium von
einer Mehrheit Irov gestürzt wird, die niemals imstande wäre, selbst eine
Regierung zu bilden. Die Weisheit des parlamentarischen Regimes ist damit
um ihr Ende gelangt; zwar will man die Stimmen der Royalisten nicht zählen,
weil diese als Feinde der Republik nicht in Betracht kommen, aber das ist doch
nur ein schwacher Notbehelf, der der Willkür Thür und Thor öffnet. Mit
demselben Rechte könnte man die Stimmen der Kommunisten weglassen, weil
diese weder Republik noch Staat überhaupt, sondern Anarchie wollen.

Ein ähnliches Schauspiel bietet nnn der deutsche Reichstag. Innerhalb
der großen Gruppen von konservativ und liberal ist die Buntheit der Schad-


dem Gleichgewichte der alten Parteien die ausschlaggebende ist. Für die par¬
lamentarische Herrschaft wäre dies an sich nicht von Bedeutung, allein diese
dritte Partei unterscheidet sich sehr wesentlich von den andern. Wahrend jene
beiden auf demselben Rechtsboden stehen, den Staat und dessen Verfassung an¬
erkennen und in seinen Grundlagen aufrecht zu erhalten streben, haßt die Par-
nellitische Partei das englische Reich nud hat das größte Interesse daran, es
zu zerstören, um auf seinen Trümmern ihr domin rrrlo, ein unabhängiges Ir¬
land, begründen zu können. Zur Aufrechterhaltung des parlamentarischen Re¬
gimes ist es nötig, die Gunst Parnells zu erwerben und dessen Stimme gegen
Zugeständnisse zum Nachteil der Staatseinheit zu erkaufen. Herr Gladstone
schreckt auch vor dieser Folgerung nicht zurück, und im Grnnde genommen muß
man es als richtig anerkennen, daß ein Staat den Untergang verdient, wenn die
Mehrzahl der Volksvertreter denselben will! Die Konservativen Englands waren
noch so sehr in dieser von ihren Vätern überlieferten Doktrin befangen, daß sie
nicht den Mut hatten, das Volk über die Bedeutung des Zusammengehens der
Paruellitischen Partei mit den Liberalen aufzuklären. Hätten sie gleich in der
Thronrede betont, daß ein Pallirer mit einer Partei, welche den bestehenden
Staat verneine, unmöglich sei, so würde eine Evolution der alten Parteien
erfolgt sein, welche der Erhaltung des Staates zu Gute gekommen wäre.

Hier sehen wir also, wie in dem Lande, welches dem Parlamentarismus
das Leben gab, der Staat von den Folgen desselben bedroht ist. Dasselbe
Schauspiel aber haben wir auch in Frankreich, dem Lande, welches die englische
Freiheit noch zu überbiete«? glaubte.

In Frankreich sind es trotz der vielfachen Schattirungen drei Haupt-
parteien, von denen die eine die Republik, die andre die Monarchie will und
die dritte — die Radikalen — den bestehenden Staat überhaupt nicht mag,
sondern auf dem Grunde einer neuen Gesellschaftsordnung ihre sozialtommn-
nistischen Ideale zu verwirklichen strebt. Jeden Augenblick können sich die
heterogensten Parteien verbinden, lediglich um den legalen Zuständen des Landes
entgegenzuwirken und das vvrhcmdne System zu vernichten. Wir haben auch
bereits erlebt, daß solche ungeheuerliche Verbindungen eingegangen worden sind,
und jeden Augenblick muß man darauf gefaßt sein, daß das Ministerium von
einer Mehrheit Irov gestürzt wird, die niemals imstande wäre, selbst eine
Regierung zu bilden. Die Weisheit des parlamentarischen Regimes ist damit
um ihr Ende gelangt; zwar will man die Stimmen der Royalisten nicht zählen,
weil diese als Feinde der Republik nicht in Betracht kommen, aber das ist doch
nur ein schwacher Notbehelf, der der Willkür Thür und Thor öffnet. Mit
demselben Rechte könnte man die Stimmen der Kommunisten weglassen, weil
diese weder Republik noch Staat überhaupt, sondern Anarchie wollen.

Ein ähnliches Schauspiel bietet nnn der deutsche Reichstag. Innerhalb
der großen Gruppen von konservativ und liberal ist die Buntheit der Schad-


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[0301] dem Gleichgewichte der alten Parteien die ausschlaggebende ist. Für die par¬ lamentarische Herrschaft wäre dies an sich nicht von Bedeutung, allein diese dritte Partei unterscheidet sich sehr wesentlich von den andern. Wahrend jene beiden auf demselben Rechtsboden stehen, den Staat und dessen Verfassung an¬ erkennen und in seinen Grundlagen aufrecht zu erhalten streben, haßt die Par- nellitische Partei das englische Reich nud hat das größte Interesse daran, es zu zerstören, um auf seinen Trümmern ihr domin rrrlo, ein unabhängiges Ir¬ land, begründen zu können. Zur Aufrechterhaltung des parlamentarischen Re¬ gimes ist es nötig, die Gunst Parnells zu erwerben und dessen Stimme gegen Zugeständnisse zum Nachteil der Staatseinheit zu erkaufen. Herr Gladstone schreckt auch vor dieser Folgerung nicht zurück, und im Grnnde genommen muß man es als richtig anerkennen, daß ein Staat den Untergang verdient, wenn die Mehrzahl der Volksvertreter denselben will! Die Konservativen Englands waren noch so sehr in dieser von ihren Vätern überlieferten Doktrin befangen, daß sie nicht den Mut hatten, das Volk über die Bedeutung des Zusammengehens der Paruellitischen Partei mit den Liberalen aufzuklären. Hätten sie gleich in der Thronrede betont, daß ein Pallirer mit einer Partei, welche den bestehenden Staat verneine, unmöglich sei, so würde eine Evolution der alten Parteien erfolgt sein, welche der Erhaltung des Staates zu Gute gekommen wäre. Hier sehen wir also, wie in dem Lande, welches dem Parlamentarismus das Leben gab, der Staat von den Folgen desselben bedroht ist. Dasselbe Schauspiel aber haben wir auch in Frankreich, dem Lande, welches die englische Freiheit noch zu überbiete«? glaubte. In Frankreich sind es trotz der vielfachen Schattirungen drei Haupt- parteien, von denen die eine die Republik, die andre die Monarchie will und die dritte — die Radikalen — den bestehenden Staat überhaupt nicht mag, sondern auf dem Grunde einer neuen Gesellschaftsordnung ihre sozialtommn- nistischen Ideale zu verwirklichen strebt. Jeden Augenblick können sich die heterogensten Parteien verbinden, lediglich um den legalen Zuständen des Landes entgegenzuwirken und das vvrhcmdne System zu vernichten. Wir haben auch bereits erlebt, daß solche ungeheuerliche Verbindungen eingegangen worden sind, und jeden Augenblick muß man darauf gefaßt sein, daß das Ministerium von einer Mehrheit Irov gestürzt wird, die niemals imstande wäre, selbst eine Regierung zu bilden. Die Weisheit des parlamentarischen Regimes ist damit um ihr Ende gelangt; zwar will man die Stimmen der Royalisten nicht zählen, weil diese als Feinde der Republik nicht in Betracht kommen, aber das ist doch nur ein schwacher Notbehelf, der der Willkür Thür und Thor öffnet. Mit demselben Rechte könnte man die Stimmen der Kommunisten weglassen, weil diese weder Republik noch Staat überhaupt, sondern Anarchie wollen. Ein ähnliches Schauspiel bietet nnn der deutsche Reichstag. Innerhalb der großen Gruppen von konservativ und liberal ist die Buntheit der Schad-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/301>, abgerufen am 05.02.2025.