Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Heinrich Steinhausen. oder Fruchtknospen noch einmal ihren Mai bringen werden und ihre Sonne -- Reicher noch an positiv wertvollen Gedanken und einen größern Kreis von Heinrich Steinhausen. oder Fruchtknospen noch einmal ihren Mai bringen werden und ihre Sonne — Reicher noch an positiv wertvollen Gedanken und einen größern Kreis von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197454"/> <fw type="header" place="top"> Heinrich Steinhausen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_73" prev="#ID_72"> oder Fruchtknospen noch einmal ihren Mai bringen werden und ihre Sonne —<lb/> wenn nicht hier, doch jenseits des Grabes. ... So sag' ich, ist's mit der Er¬<lb/> innerung der Menschheit auch. Wir stellen uns unsre Vorfahren nicht bloß<lb/> leiblich größer vor, als wir sind, ohne daß wir's beweisen können, daß sie's<lb/> wirklich waren; sondern die Zeiten, darinnen sie lebten, und ihre Helden stehen<lb/> auch sonst höher und herrlicher vor uns als die gegenwärtigen, und das Drama<lb/> der Weltgeschichte (sein Ende weiß der Herr allein) scheint uns, je früher die<lb/> Akte sich abspielten, desto großartiger. Mit Ehrfurcht erfüllen uns schou die<lb/> Worte: »Altertum« und »die Alten,« und wenn wir auch bei näherer Überlegung<lb/> einsehen müssen, daß vergangne Zeiten, auch solche, welche vom Nebel der Jahr¬<lb/> tausende umwoben werden, ihre Elendigkeiten und Jämmerlichkeiten gehabt haben<lb/> mögen so gut wie die unsrigen, und daß je und je die Helden der Geschichte,<lb/> zu welchen wir mit Bewunderung aufblicken, die Kette täglicher Verdrießlich¬<lb/> keiten und widriger, lächerlicher Zufälle hinter sich hergeschleppt haben, wie wir<lb/> alle — so achten wir doch hierauf nicht und lassen uns höchstens etliche Schwächen<lb/> und Muttermäler an ihnen gefallen, um ihre Vorzüge desto lebhafter zu em><lb/> pfinden. Darum thun uns die Geschichtschreiber wahrlich keinen Gefallen,<lb/> welche uns beweisen, daß schon vor Jahrtausenden dasselbe Wirrsal der Parteien,<lb/> dieselben Kämpfe der berechnenden Klugheit mit List und Macht das Getriebe<lb/> des Lebens bewegt haben, kurz, welche uns die Vergangenheit ganz in demselben<lb/> Lichte zeigen, in welchem uns oft das Jetzt so häßlich erscheint, und am aller¬<lb/> wenigsten mögen wir uns von den Dichtern das Angesicht der noch jüngern<lb/> Menschheit so zeigen lassen. Denn, und hier komm' ich auf die Hauptsache,<lb/> vorab hat's alle Poesie doch mit dem Überzeitlichen und Ewigmenschlichen zu<lb/> thun, und bestimmte Zeiten, aus denen sie ihre Gestalten und Stoffe nimmt,<lb/> sind nur Hülle und Kleid für ihren unvergänglichen Inhalt. . . . Somit ist<lb/> unser so reichlich vermehrtes historisches Wissen (ja nicht zu verwechseln mit<lb/> historischem Sinn) noch uicht zugleich ein Gewinn für unsre Kunst und Poesie.<lb/> Es nützt den Malern nichts, ihre Figuren jedesmal genau in das Kostüm stecken<lb/> zu können, welches man zu ihren Zeiten wirklich getragen hat, oder wer fragt<lb/> darnach, wie Abrahams, oder Moses', oder Paulus' Röcke oder Schuhe ze. aus¬<lb/> gesehen haben mögen — und es nützt den Dichtern nichts, daß sie anzugeben<lb/> verstehen, wie die Leute vergangner Zeiten, von denen sie sagen und singen,<lb/> gewohnt, gegessen, getrunken, kurz alle diese notwendigen Dinge des Lebens ge¬<lb/> trieben haben, welche ja (leider!) einen so breiten Raum in unsern kurzen Tagen<lb/> einnehmen und freilich von so großer Wichtigkeit für uns sind, aber für die<lb/> dichtende Verwertung der Geschichte von so geringer."</p><lb/> <p xml:id="ID_74" next="#ID_75"> Reicher noch an positiv wertvollen Gedanken und einen größern Kreis von<lb/> Erscheinungen des öffentlichen Lebens umfassend ist das zweite Heft der „Herzens¬<lb/> erleichterungen" (Leipzig, 1832). Hier richtet sich die Satire gegen die poli¬<lb/> tischen Wahlumtriebe, gegen die Poesie in Zeitschriften, gegen die Kunstaus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
Heinrich Steinhausen.
oder Fruchtknospen noch einmal ihren Mai bringen werden und ihre Sonne —
wenn nicht hier, doch jenseits des Grabes. ... So sag' ich, ist's mit der Er¬
innerung der Menschheit auch. Wir stellen uns unsre Vorfahren nicht bloß
leiblich größer vor, als wir sind, ohne daß wir's beweisen können, daß sie's
wirklich waren; sondern die Zeiten, darinnen sie lebten, und ihre Helden stehen
auch sonst höher und herrlicher vor uns als die gegenwärtigen, und das Drama
der Weltgeschichte (sein Ende weiß der Herr allein) scheint uns, je früher die
Akte sich abspielten, desto großartiger. Mit Ehrfurcht erfüllen uns schou die
Worte: »Altertum« und »die Alten,« und wenn wir auch bei näherer Überlegung
einsehen müssen, daß vergangne Zeiten, auch solche, welche vom Nebel der Jahr¬
tausende umwoben werden, ihre Elendigkeiten und Jämmerlichkeiten gehabt haben
mögen so gut wie die unsrigen, und daß je und je die Helden der Geschichte,
zu welchen wir mit Bewunderung aufblicken, die Kette täglicher Verdrießlich¬
keiten und widriger, lächerlicher Zufälle hinter sich hergeschleppt haben, wie wir
alle — so achten wir doch hierauf nicht und lassen uns höchstens etliche Schwächen
und Muttermäler an ihnen gefallen, um ihre Vorzüge desto lebhafter zu em>
pfinden. Darum thun uns die Geschichtschreiber wahrlich keinen Gefallen,
welche uns beweisen, daß schon vor Jahrtausenden dasselbe Wirrsal der Parteien,
dieselben Kämpfe der berechnenden Klugheit mit List und Macht das Getriebe
des Lebens bewegt haben, kurz, welche uns die Vergangenheit ganz in demselben
Lichte zeigen, in welchem uns oft das Jetzt so häßlich erscheint, und am aller¬
wenigsten mögen wir uns von den Dichtern das Angesicht der noch jüngern
Menschheit so zeigen lassen. Denn, und hier komm' ich auf die Hauptsache,
vorab hat's alle Poesie doch mit dem Überzeitlichen und Ewigmenschlichen zu
thun, und bestimmte Zeiten, aus denen sie ihre Gestalten und Stoffe nimmt,
sind nur Hülle und Kleid für ihren unvergänglichen Inhalt. . . . Somit ist
unser so reichlich vermehrtes historisches Wissen (ja nicht zu verwechseln mit
historischem Sinn) noch uicht zugleich ein Gewinn für unsre Kunst und Poesie.
Es nützt den Malern nichts, ihre Figuren jedesmal genau in das Kostüm stecken
zu können, welches man zu ihren Zeiten wirklich getragen hat, oder wer fragt
darnach, wie Abrahams, oder Moses', oder Paulus' Röcke oder Schuhe ze. aus¬
gesehen haben mögen — und es nützt den Dichtern nichts, daß sie anzugeben
verstehen, wie die Leute vergangner Zeiten, von denen sie sagen und singen,
gewohnt, gegessen, getrunken, kurz alle diese notwendigen Dinge des Lebens ge¬
trieben haben, welche ja (leider!) einen so breiten Raum in unsern kurzen Tagen
einnehmen und freilich von so großer Wichtigkeit für uns sind, aber für die
dichtende Verwertung der Geschichte von so geringer."
Reicher noch an positiv wertvollen Gedanken und einen größern Kreis von
Erscheinungen des öffentlichen Lebens umfassend ist das zweite Heft der „Herzens¬
erleichterungen" (Leipzig, 1832). Hier richtet sich die Satire gegen die poli¬
tischen Wahlumtriebe, gegen die Poesie in Zeitschriften, gegen die Kunstaus-
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