Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Heinrich Steinhaufen. terungen, muß ich gestehen, haben ans mich stets eine eigne Anziehungskraft, Also schon der Titel "Herzenserleichterungen" gefiel mir, mehr noch aber Memphis in Leipzig oder G. Ebers und seine "Schwestern." Herausgegeben von
H- Steinhausen. Dritte Auflage. Frankfurt a. M., 1330. Heinrich Steinhaufen. terungen, muß ich gestehen, haben ans mich stets eine eigne Anziehungskraft, Also schon der Titel „Herzenserleichterungen" gefiel mir, mehr noch aber Memphis in Leipzig oder G. Ebers und seine „Schwestern." Herausgegeben von
H- Steinhausen. Dritte Auflage. Frankfurt a. M., 1330. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197453"/> <fw type="header" place="top"> Heinrich Steinhaufen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_71" prev="#ID_70"> terungen, muß ich gestehen, haben ans mich stets eine eigne Anziehungskraft,<lb/> Was an der heutigen Kritik so sehr zu vermissen ist, scheint mir die starke und<lb/> originale Subjektivität des Kritikers. Es ist garnicht zu sagen, wie langweilig<lb/> und in Wahrheit doch auch recht unfruchtbar alle jene Kritiken sind, die sich<lb/> auf den hohen Thron der sogenannten Objektivität oder des historischen Stand¬<lb/> punktes oder der wissenschaftlichen Parteilosigkeit setzen. Ich meine natürlich<lb/> nicht jene Subjektivität, welche aus der guten Freundschaft mit dem betreffenden<lb/> Künstler oder Dichter entsteht, oder gar der Disziplin der Clique, die weithin<lb/> die Parole ausgiebt für eine neue Erscheinung, ihr Dasein verdankt. Nein, jene<lb/> Subjektivität meine ich, welche stark fühlenden, energischen Naturen eigen ist,<lb/> die mit ihrer ganzen Seele den Eindruck eines neuen Kunstwerkes als ein Er¬<lb/> lebnis in sich aufnehmen, die mächtig gegen die Außenwelt reagiren, denen die<lb/> Anschauung eines neuen Gemäldes, die Lektüre einer neuen Dichtung zur ab¬<lb/> scheulichen Qual oder zur höchsten Freude wird, und die den Mut und die<lb/> Begabung haben, sich auch demgemäß rückhaltlos zu äußern. Das sind die<lb/> wahren und berechtigt subjektiven Kritiker: sie tragen ein positives künstlerisches<lb/> oder literarisches oder wissenschaftliches Ideal im Herzen, und ihnen allein kann<lb/> der Ehrentitel der „produktiven Kritik" zugesprochen werden. Die Satire z. B.<lb/> hat nur in einer solchen Anlage ihre Quelle — und wie willkommen müßte<lb/> heutzutage ein Satiriker sein! wieviel Stoff zum Angriff häufen die Narren<lb/> und Spekulanten, die Streber und Ideologen in Kunst und Literatur für seine<lb/> Angriffe auf! Dennoch ist heute alles merkwürdig zahm, die Kameraderie be¬<lb/> herrscht alles, man bewundert sich gegenseitig, um sich nicht die — Honorare<lb/> zu schädigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_72" next="#ID_73"> Also schon der Titel „Herzenserleichterungen" gefiel mir, mehr noch aber<lb/> der Inhalt. Die erste Broschüre*) richtet sich gegen die ägyptischen Romane<lb/> des Herrn Professor Georg Ebers und weist an dem Beispiele der „Schwestern"<lb/> das Ungereimte dieser historischen Poesie nach, welche ausdrücklich auf urkund¬<lb/> lichen Forschungen aufgebaut zu sein vorgiebt und doch nur moderne Anschau¬<lb/> ungen und Empfindungen einer fernen Vergangenheit unterschiebt — „Memphis<lb/> in Leipzig"! Die Kritik, welche Steinhausen an dem Romane vom historisch-<lb/> realistischen, sittlichen und stilistischen Standpunkte übt, ist wahrhaft vernichtend.<lb/> Wie feinsinnig und treffend sind aber auch Steinhausens allgemeine Bemerkungen<lb/> über das Verhältnis von Poesie und Historie! „Es giebt für die Menschheit<lb/> so gut wie für die Einzelnen eine doppelte Vergangenheit: eine, die wirklich war,<lb/> und eine, wie sie in jener und dieser fortlebt. Wir verlegen das Bessere, was<lb/> uns fehlt, ebenso gern zurück in Zeiten, welche waren, als wir zukünftigen ver¬<lb/> trauen, daß sie unsern verhagelter, vertrockneten oder erfrornen Freudenblüten</p><lb/> <note xml:id="FID_2" place="foot"> Memphis in Leipzig oder G. Ebers und seine „Schwestern." Herausgegeben von<lb/> H- Steinhausen. Dritte Auflage. Frankfurt a. M., 1330.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
Heinrich Steinhaufen.
terungen, muß ich gestehen, haben ans mich stets eine eigne Anziehungskraft,
Was an der heutigen Kritik so sehr zu vermissen ist, scheint mir die starke und
originale Subjektivität des Kritikers. Es ist garnicht zu sagen, wie langweilig
und in Wahrheit doch auch recht unfruchtbar alle jene Kritiken sind, die sich
auf den hohen Thron der sogenannten Objektivität oder des historischen Stand¬
punktes oder der wissenschaftlichen Parteilosigkeit setzen. Ich meine natürlich
nicht jene Subjektivität, welche aus der guten Freundschaft mit dem betreffenden
Künstler oder Dichter entsteht, oder gar der Disziplin der Clique, die weithin
die Parole ausgiebt für eine neue Erscheinung, ihr Dasein verdankt. Nein, jene
Subjektivität meine ich, welche stark fühlenden, energischen Naturen eigen ist,
die mit ihrer ganzen Seele den Eindruck eines neuen Kunstwerkes als ein Er¬
lebnis in sich aufnehmen, die mächtig gegen die Außenwelt reagiren, denen die
Anschauung eines neuen Gemäldes, die Lektüre einer neuen Dichtung zur ab¬
scheulichen Qual oder zur höchsten Freude wird, und die den Mut und die
Begabung haben, sich auch demgemäß rückhaltlos zu äußern. Das sind die
wahren und berechtigt subjektiven Kritiker: sie tragen ein positives künstlerisches
oder literarisches oder wissenschaftliches Ideal im Herzen, und ihnen allein kann
der Ehrentitel der „produktiven Kritik" zugesprochen werden. Die Satire z. B.
hat nur in einer solchen Anlage ihre Quelle — und wie willkommen müßte
heutzutage ein Satiriker sein! wieviel Stoff zum Angriff häufen die Narren
und Spekulanten, die Streber und Ideologen in Kunst und Literatur für seine
Angriffe auf! Dennoch ist heute alles merkwürdig zahm, die Kameraderie be¬
herrscht alles, man bewundert sich gegenseitig, um sich nicht die — Honorare
zu schädigen.
Also schon der Titel „Herzenserleichterungen" gefiel mir, mehr noch aber
der Inhalt. Die erste Broschüre*) richtet sich gegen die ägyptischen Romane
des Herrn Professor Georg Ebers und weist an dem Beispiele der „Schwestern"
das Ungereimte dieser historischen Poesie nach, welche ausdrücklich auf urkund¬
lichen Forschungen aufgebaut zu sein vorgiebt und doch nur moderne Anschau¬
ungen und Empfindungen einer fernen Vergangenheit unterschiebt — „Memphis
in Leipzig"! Die Kritik, welche Steinhausen an dem Romane vom historisch-
realistischen, sittlichen und stilistischen Standpunkte übt, ist wahrhaft vernichtend.
Wie feinsinnig und treffend sind aber auch Steinhausens allgemeine Bemerkungen
über das Verhältnis von Poesie und Historie! „Es giebt für die Menschheit
so gut wie für die Einzelnen eine doppelte Vergangenheit: eine, die wirklich war,
und eine, wie sie in jener und dieser fortlebt. Wir verlegen das Bessere, was
uns fehlt, ebenso gern zurück in Zeiten, welche waren, als wir zukünftigen ver¬
trauen, daß sie unsern verhagelter, vertrockneten oder erfrornen Freudenblüten
Memphis in Leipzig oder G. Ebers und seine „Schwestern." Herausgegeben von
H- Steinhausen. Dritte Auflage. Frankfurt a. M., 1330.
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