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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Färbung der Mcirmorskulpturen.

Bedeutendes erhöht werden (ö bis 8 Millimeter). Würde man solche Köpfe
bemalen, so würden dieselben außer Verhältnis kommen. Bei Köpfen mit sehr
durchsichtige,? Haaren (von kleinen Kindern und Greisen) müssen die Schädel
verstärkt werden, welche dann wiederum bei einer Bemalung wasscrköpfig er¬
scheinen würden, oder sie müßten den", wie Professor Springer sehr richtig sagt,
extra für die Bemalung modellirt sein. Man würde aber nnr durch eine direkte
Abformung der Natur das für Vemaluug richtige finden. Dann braucht man
aber keine Bildhauer, sondern nur tüchtige Former."

Diese in jedem Punkte beachtenswerte Auseinandersetzung bestätigt nicht
bloß die Ergebnisse theoretisch-historischer Betrachtung, sondern sie deutet auch
bereits das Ziel an, zu welchem unsre Bildhauerkunst gelangen würde, wenn
sie sich plötzlich zur Polychromie bekehrte. Wir wollen dabei garnicht an das
schon oft heraufbeschworene Gespenst des Wachsfigurenkabinett denken, obwohl
uns die Berliner Ausstellung triftige Gründe dazu gegeben hätte. Wir wollen
nur das mühsam auf dem Wege eines unablässigen Fortschrittes Errungene
gegen eine Reaktion verteidigen, welche einem noch sehr anfechtbaren Dogma
zuliebe alles vernichten will, was durch eine lange Reihe der besten künstlerischen
Kräfte auf den Voraussetzungen unsers Klimas, unsrer materiellen Hilfsmittel,
unsrer ästhetischen Gewöhnung aufgebaut worden ist. Die Bildhauertechnil
unsrer Tage weiß auch ohne Hilfe der Naturfarben malerische Wirkungen zu
erzielen, die oft genug bereits über die Grenzen der Plastik hinausgehen. Sollen
wir diesen über das ungefügige Material errnngneu Triumph ohne weiteres
preisgeben? Sollen wir zu primitiven künstlerischen Darstelluugsformeu zurück¬
kehren, zu deren Verständnis uns die nationale Tradition der Griechen fehlt?
Wir würden den Lebensfaden unsrer Bildhauerkunst sür lauge Zeit unterbinden
und im günstigsten Falle ein zweifelhaftes Gut gewinnen. In Wirklichkeit haben
wir jedoch keine Ursache, uns mit solchen Grillen zu plagen. Die Entwicklung
der Kunst ist noch niemals durch Theorien vorwärts gebracht oder aufgehalten
worden. So wird auch die Frage, ob wir "unsre Statuen bemalen" sollen, vor¬
aussichtlich nicht lange die Kreise unsrer Künstler stören.




Die Färbung der Mcirmorskulpturen.

Bedeutendes erhöht werden (ö bis 8 Millimeter). Würde man solche Köpfe
bemalen, so würden dieselben außer Verhältnis kommen. Bei Köpfen mit sehr
durchsichtige,? Haaren (von kleinen Kindern und Greisen) müssen die Schädel
verstärkt werden, welche dann wiederum bei einer Bemalung wasscrköpfig er¬
scheinen würden, oder sie müßten den», wie Professor Springer sehr richtig sagt,
extra für die Bemalung modellirt sein. Man würde aber nnr durch eine direkte
Abformung der Natur das für Vemaluug richtige finden. Dann braucht man
aber keine Bildhauer, sondern nur tüchtige Former."

Diese in jedem Punkte beachtenswerte Auseinandersetzung bestätigt nicht
bloß die Ergebnisse theoretisch-historischer Betrachtung, sondern sie deutet auch
bereits das Ziel an, zu welchem unsre Bildhauerkunst gelangen würde, wenn
sie sich plötzlich zur Polychromie bekehrte. Wir wollen dabei garnicht an das
schon oft heraufbeschworene Gespenst des Wachsfigurenkabinett denken, obwohl
uns die Berliner Ausstellung triftige Gründe dazu gegeben hätte. Wir wollen
nur das mühsam auf dem Wege eines unablässigen Fortschrittes Errungene
gegen eine Reaktion verteidigen, welche einem noch sehr anfechtbaren Dogma
zuliebe alles vernichten will, was durch eine lange Reihe der besten künstlerischen
Kräfte auf den Voraussetzungen unsers Klimas, unsrer materiellen Hilfsmittel,
unsrer ästhetischen Gewöhnung aufgebaut worden ist. Die Bildhauertechnil
unsrer Tage weiß auch ohne Hilfe der Naturfarben malerische Wirkungen zu
erzielen, die oft genug bereits über die Grenzen der Plastik hinausgehen. Sollen
wir diesen über das ungefügige Material errnngneu Triumph ohne weiteres
preisgeben? Sollen wir zu primitiven künstlerischen Darstelluugsformeu zurück¬
kehren, zu deren Verständnis uns die nationale Tradition der Griechen fehlt?
Wir würden den Lebensfaden unsrer Bildhauerkunst sür lauge Zeit unterbinden
und im günstigsten Falle ein zweifelhaftes Gut gewinnen. In Wirklichkeit haben
wir jedoch keine Ursache, uns mit solchen Grillen zu plagen. Die Entwicklung
der Kunst ist noch niemals durch Theorien vorwärts gebracht oder aufgehalten
worden. So wird auch die Frage, ob wir „unsre Statuen bemalen" sollen, vor¬
aussichtlich nicht lange die Kreise unsrer Künstler stören.




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[0288] Die Färbung der Mcirmorskulpturen. Bedeutendes erhöht werden (ö bis 8 Millimeter). Würde man solche Köpfe bemalen, so würden dieselben außer Verhältnis kommen. Bei Köpfen mit sehr durchsichtige,? Haaren (von kleinen Kindern und Greisen) müssen die Schädel verstärkt werden, welche dann wiederum bei einer Bemalung wasscrköpfig er¬ scheinen würden, oder sie müßten den», wie Professor Springer sehr richtig sagt, extra für die Bemalung modellirt sein. Man würde aber nnr durch eine direkte Abformung der Natur das für Vemaluug richtige finden. Dann braucht man aber keine Bildhauer, sondern nur tüchtige Former." Diese in jedem Punkte beachtenswerte Auseinandersetzung bestätigt nicht bloß die Ergebnisse theoretisch-historischer Betrachtung, sondern sie deutet auch bereits das Ziel an, zu welchem unsre Bildhauerkunst gelangen würde, wenn sie sich plötzlich zur Polychromie bekehrte. Wir wollen dabei garnicht an das schon oft heraufbeschworene Gespenst des Wachsfigurenkabinett denken, obwohl uns die Berliner Ausstellung triftige Gründe dazu gegeben hätte. Wir wollen nur das mühsam auf dem Wege eines unablässigen Fortschrittes Errungene gegen eine Reaktion verteidigen, welche einem noch sehr anfechtbaren Dogma zuliebe alles vernichten will, was durch eine lange Reihe der besten künstlerischen Kräfte auf den Voraussetzungen unsers Klimas, unsrer materiellen Hilfsmittel, unsrer ästhetischen Gewöhnung aufgebaut worden ist. Die Bildhauertechnil unsrer Tage weiß auch ohne Hilfe der Naturfarben malerische Wirkungen zu erzielen, die oft genug bereits über die Grenzen der Plastik hinausgehen. Sollen wir diesen über das ungefügige Material errnngneu Triumph ohne weiteres preisgeben? Sollen wir zu primitiven künstlerischen Darstelluugsformeu zurück¬ kehren, zu deren Verständnis uns die nationale Tradition der Griechen fehlt? Wir würden den Lebensfaden unsrer Bildhauerkunst sür lauge Zeit unterbinden und im günstigsten Falle ein zweifelhaftes Gut gewinnen. In Wirklichkeit haben wir jedoch keine Ursache, uns mit solchen Grillen zu plagen. Die Entwicklung der Kunst ist noch niemals durch Theorien vorwärts gebracht oder aufgehalten worden. So wird auch die Frage, ob wir „unsre Statuen bemalen" sollen, vor¬ aussichtlich nicht lange die Kreise unsrer Künstler stören.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/288>, abgerufen am 05.02.2025.