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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Färbung der Narmorsfiüptnrvn,

werden müsse. Mit einer einzigen Ausnahme haben alle Künstler, welche sich
an der Berliner Ausstellung beteiligten, diese Forderung außer Acht gelassen,
und das ist ein andrer Grund, weshalb das Ergebnis jenes Attsstellungsver-
suches von so geringer praktischer Bedeutung ist. Ein geschätzter Leipziger Bild¬
hauer, welcher über seine Kunst ernsthaft nachgedacht und eingehende archäo¬
logische Studien getrieben hat, Professor zur Straßen, hat die von Springer
angedeutete" Gedanken ans Grund langer Erfahrungen und Beobachtungen noch
weiter ausgeführt, leider nicht in einer Zeitschrift oder in einem öffentlichen
Vortrage, sondern in einem an mich gerichteten Briefe, zu welchem ihn die
Berliner Ausstellung veranlaßt hat. In Anbetracht der Wichtigkeit der Frage
und der schlagenden Beweiskraft seiner Bemerkungen wird er mir jedoch gestatten,
einige Stellen ans diesem Briefe mitzuteilen. Nachdem er vorausgeschickt, daß
er keineswegs ein unbedingter Gegner der farbigen Skulptur sei und ihr gern
die Berechtigung einräume, wo sie am Platze sei, vornehmlich bei Terraeotta,
Holz, Sandstein, stellt auch er den Grundsatz auf, daß die Modcllirnng eines
jeden plastische" Werkes nicht allein Berücksichtigung des Materials, sondern
auch der Farbe perla"ge, ""d letzteres hätten bereits die Künstler des klassischen
Altertums erreicht. Er führt dann mehrere Beispiele an, "Die Darstellung
der Farbe dnrch Form ist fast in allen Werken der antiken Kunst nachzuweisen,
gleichviel, ob der Marmor noch in jungfräulicher Frische strahlt oder von Jahr¬
hunderte alter Palma überzogen ist. Wer würde z, B, aus der Behandlung der
Haare nicht sofort herauserkennen, daß beim Apollo von Velvcdcrc goldblondes,
beim farnesischen Herkules dunkelbraunes und beim Mare Aurel oder Lucius
Verus glä"ze"d schwarzes Haar gedacht war?" Das sind sämtlich Arbeiten aus
römischer Zeit, an denen man keine Spuren von Bemalung entdeckt hat und
die sicherlich auch nicht naturalistisch bemalt waren, wofür ihre technische Be¬
handlung spricht. Professor zur Straßen fährt dann fort: "Ein guter Bild¬
hauer darf die in Farbe verschiednen Haare nicht uns eine und dieselbe Weise
behandeln, und um das Ganze charakteristisch zu machen, muß er auf die Farbe
Rücksicht nehmen. Wie schön hat z. B Rietschel das weiße Haar Rauchs charak-
terisirt, und es ist sicher, daß er es mit vollen, Bewußtsein gethan hat. Wie
aber die scharf hervortretenden Farben des Haares die Form zu ihrer Dar¬
stellung gefunden haben, so ist es auch mit den weniger mnrtirten Farben der
Fall. Sind die Wangen rot, so müssen dieselben gewölbter modellirt werden
als blasse. Desgleichen müssen die Lippen je nach ihrer Farbe mehr oder
weniger gewölbt modellirt werden; auch müssen die Ränder derselben wegen der
scharfen Abgrenzung des Noten vom Weißen oder Fleischfarbenen durch besondre,
von der Natur abweichende Formen behandelt werden. Ebenso der Übergang
vom Fleisch zu den Haaren, und zwar dadurch, daß das Haar etwas zurück¬
gedrängt, das Fleisch erhöht und dann weich mit den Haaransätzen verbunden
wird. Der Scheitel muß je nach der Farbe der begrenzenden Haare um ein


Die Färbung der Narmorsfiüptnrvn,

werden müsse. Mit einer einzigen Ausnahme haben alle Künstler, welche sich
an der Berliner Ausstellung beteiligten, diese Forderung außer Acht gelassen,
und das ist ein andrer Grund, weshalb das Ergebnis jenes Attsstellungsver-
suches von so geringer praktischer Bedeutung ist. Ein geschätzter Leipziger Bild¬
hauer, welcher über seine Kunst ernsthaft nachgedacht und eingehende archäo¬
logische Studien getrieben hat, Professor zur Straßen, hat die von Springer
angedeutete» Gedanken ans Grund langer Erfahrungen und Beobachtungen noch
weiter ausgeführt, leider nicht in einer Zeitschrift oder in einem öffentlichen
Vortrage, sondern in einem an mich gerichteten Briefe, zu welchem ihn die
Berliner Ausstellung veranlaßt hat. In Anbetracht der Wichtigkeit der Frage
und der schlagenden Beweiskraft seiner Bemerkungen wird er mir jedoch gestatten,
einige Stellen ans diesem Briefe mitzuteilen. Nachdem er vorausgeschickt, daß
er keineswegs ein unbedingter Gegner der farbigen Skulptur sei und ihr gern
die Berechtigung einräume, wo sie am Platze sei, vornehmlich bei Terraeotta,
Holz, Sandstein, stellt auch er den Grundsatz auf, daß die Modcllirnng eines
jeden plastische» Werkes nicht allein Berücksichtigung des Materials, sondern
auch der Farbe perla»ge, »»d letzteres hätten bereits die Künstler des klassischen
Altertums erreicht. Er führt dann mehrere Beispiele an, „Die Darstellung
der Farbe dnrch Form ist fast in allen Werken der antiken Kunst nachzuweisen,
gleichviel, ob der Marmor noch in jungfräulicher Frische strahlt oder von Jahr¬
hunderte alter Palma überzogen ist. Wer würde z, B, aus der Behandlung der
Haare nicht sofort herauserkennen, daß beim Apollo von Velvcdcrc goldblondes,
beim farnesischen Herkules dunkelbraunes und beim Mare Aurel oder Lucius
Verus glä»ze»d schwarzes Haar gedacht war?" Das sind sämtlich Arbeiten aus
römischer Zeit, an denen man keine Spuren von Bemalung entdeckt hat und
die sicherlich auch nicht naturalistisch bemalt waren, wofür ihre technische Be¬
handlung spricht. Professor zur Straßen fährt dann fort: „Ein guter Bild¬
hauer darf die in Farbe verschiednen Haare nicht uns eine und dieselbe Weise
behandeln, und um das Ganze charakteristisch zu machen, muß er auf die Farbe
Rücksicht nehmen. Wie schön hat z. B Rietschel das weiße Haar Rauchs charak-
terisirt, und es ist sicher, daß er es mit vollen, Bewußtsein gethan hat. Wie
aber die scharf hervortretenden Farben des Haares die Form zu ihrer Dar¬
stellung gefunden haben, so ist es auch mit den weniger mnrtirten Farben der
Fall. Sind die Wangen rot, so müssen dieselben gewölbter modellirt werden
als blasse. Desgleichen müssen die Lippen je nach ihrer Farbe mehr oder
weniger gewölbt modellirt werden; auch müssen die Ränder derselben wegen der
scharfen Abgrenzung des Noten vom Weißen oder Fleischfarbenen durch besondre,
von der Natur abweichende Formen behandelt werden. Ebenso der Übergang
vom Fleisch zu den Haaren, und zwar dadurch, daß das Haar etwas zurück¬
gedrängt, das Fleisch erhöht und dann weich mit den Haaransätzen verbunden
wird. Der Scheitel muß je nach der Farbe der begrenzenden Haare um ein


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[0287] Die Färbung der Narmorsfiüptnrvn, werden müsse. Mit einer einzigen Ausnahme haben alle Künstler, welche sich an der Berliner Ausstellung beteiligten, diese Forderung außer Acht gelassen, und das ist ein andrer Grund, weshalb das Ergebnis jenes Attsstellungsver- suches von so geringer praktischer Bedeutung ist. Ein geschätzter Leipziger Bild¬ hauer, welcher über seine Kunst ernsthaft nachgedacht und eingehende archäo¬ logische Studien getrieben hat, Professor zur Straßen, hat die von Springer angedeutete» Gedanken ans Grund langer Erfahrungen und Beobachtungen noch weiter ausgeführt, leider nicht in einer Zeitschrift oder in einem öffentlichen Vortrage, sondern in einem an mich gerichteten Briefe, zu welchem ihn die Berliner Ausstellung veranlaßt hat. In Anbetracht der Wichtigkeit der Frage und der schlagenden Beweiskraft seiner Bemerkungen wird er mir jedoch gestatten, einige Stellen ans diesem Briefe mitzuteilen. Nachdem er vorausgeschickt, daß er keineswegs ein unbedingter Gegner der farbigen Skulptur sei und ihr gern die Berechtigung einräume, wo sie am Platze sei, vornehmlich bei Terraeotta, Holz, Sandstein, stellt auch er den Grundsatz auf, daß die Modcllirnng eines jeden plastische» Werkes nicht allein Berücksichtigung des Materials, sondern auch der Farbe perla»ge, »»d letzteres hätten bereits die Künstler des klassischen Altertums erreicht. Er führt dann mehrere Beispiele an, „Die Darstellung der Farbe dnrch Form ist fast in allen Werken der antiken Kunst nachzuweisen, gleichviel, ob der Marmor noch in jungfräulicher Frische strahlt oder von Jahr¬ hunderte alter Palma überzogen ist. Wer würde z, B, aus der Behandlung der Haare nicht sofort herauserkennen, daß beim Apollo von Velvcdcrc goldblondes, beim farnesischen Herkules dunkelbraunes und beim Mare Aurel oder Lucius Verus glä»ze»d schwarzes Haar gedacht war?" Das sind sämtlich Arbeiten aus römischer Zeit, an denen man keine Spuren von Bemalung entdeckt hat und die sicherlich auch nicht naturalistisch bemalt waren, wofür ihre technische Be¬ handlung spricht. Professor zur Straßen fährt dann fort: „Ein guter Bild¬ hauer darf die in Farbe verschiednen Haare nicht uns eine und dieselbe Weise behandeln, und um das Ganze charakteristisch zu machen, muß er auf die Farbe Rücksicht nehmen. Wie schön hat z. B Rietschel das weiße Haar Rauchs charak- terisirt, und es ist sicher, daß er es mit vollen, Bewußtsein gethan hat. Wie aber die scharf hervortretenden Farben des Haares die Form zu ihrer Dar¬ stellung gefunden haben, so ist es auch mit den weniger mnrtirten Farben der Fall. Sind die Wangen rot, so müssen dieselben gewölbter modellirt werden als blasse. Desgleichen müssen die Lippen je nach ihrer Farbe mehr oder weniger gewölbt modellirt werden; auch müssen die Ränder derselben wegen der scharfen Abgrenzung des Noten vom Weißen oder Fleischfarbenen durch besondre, von der Natur abweichende Formen behandelt werden. Ebenso der Übergang vom Fleisch zu den Haaren, und zwar dadurch, daß das Haar etwas zurück¬ gedrängt, das Fleisch erhöht und dann weich mit den Haaransätzen verbunden wird. Der Scheitel muß je nach der Farbe der begrenzenden Haare um ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/287>, abgerufen am 05.02.2025.