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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Färbung der Marmorskulpturen.

immer noch nicht, daß wir dieses Verfahren nachzuahmen hätten. Mögen die
Bildhauer der italienischen Renaissance einen Irrtum begangen haben oder nicht,
als sie ihre Marmorstatuen, -biisten und -reliefs unbemalt ließen und damit das
Ideal der Antike erreicht zu haben glaubten -- die moderne Bildhauerkunst
hat seit jener Zeit einen Weg eingeschlagen, der trotz mancher Seitensprünge
immer auf das eine Ziel führt, den höchsten Schein des Lebens hervorzurufen!
Die Sitte, Bildwerke zu färben, ist dabei niemals aufgegeben worden, soweit es
sich um Holz, Stuck, Sandstein, Thon und ähnliches Material von untergeord¬
netem Werte handelte. Nur den Marmor ließ man farblos. Die grelle Weiße
desselben empfand man zwar unangenehm; aber man begnügte sich damit, ihn
durch Einreibung mit einer Wachslösnng oder mit ähnlichen Substanzen leicht
gelblich zu tönen. Indem man darauf verzichtete, die Malerei zur Hilfsleistung
herbeizuziehen, entwickelte sich eine Marmortechuik, die hente in Frankreich, Italien
und Deutschland weit über die Fähigkeiten der antiken Bildhauer hinausgewachsen
ist. Und diese Errungenschaft sollten wir aufgeben, nnr weil die Griechen, der
orientalischen Überlieferung tren bleibend, ihre Statuen über und über mit Farbe
bedeckt haben?

Eine Ausstellung farbiger und getönter Bildwerke, welche ans die Anregung
jenes schon erwähnten Archäologen in den letzten Monaten des verflossenen
Jahres in der Berliner Nationalgalerie stattgefunden hat, hat uns keineswegs
dazu ermutigt. Die eine Hälfte dieser Ausstellung, die historische, in welcher
Proben von bemalten plastischen Knnsterzeugnissen aller Epochen und aller
Kulturvölker, einschließlich der ostasicitischeu, vertreten waren, hat keinem Künstler,
keinem kunstwissenschaftlich gebildeten Fachmanne, auch keinem Laien, der überhaupt
Museen besucht, etwas neues geboten. Dazu war ihr Umfang viel zu beschränkt.
Wer nicht bereits gründliche Vorkenntnisse mitgebracht hatte, der betrachtete die
etwa zweihundert Nummern als bunte Kuriositüteu, wie sie in jedem leidlich gut
allsgestatteten Museum vorhanden sind. Ein historischer Entwicklungsgang war
nicht zu verfolgen, vielleicht weil überhaupt keiner vorhanden ist, da die Poly-
chromie der plastischen Werke in alleil Ländern, die dabei in Frage kommen,
von bestimmten Gewohnheiten und Überlieferungen, von klimatischen lind
ethischen Rücksichten abhängt. Alle diese Länder dürfen ihre Kunst nach diesen
Gesetzen entwickeln. Nur der deutschen wollen archäologische Fanatiker dasselbe
Recht bestreikn. Mit Mühe und Not, unter den härtesten Kämpfen ist es "nseru
Bildhauern gelungen, sich unter der Ägide von Rauch und Rietschel eine eigne
Ausdrucksweise zu schaffen, und sobald sich dieser nationale Zug einigermaßen
gekräftigt hat, wird das ganze Rüstzeug antiquarischer Wissenschaft aufgeboten,
um diese nationale Regung zu unterdrücken, weil wir nun einmal dazu bestimmt
sind, in der Plastik die Sklaven der Griechen zu bleiben und unsre Ausdrucks-
weise dem Resultate einer jeden neuen Ausgrabung anzupassen!

Die zweite Hälfte jener Ausstellung hat uns gelehrt, welche Frucht die


Die Färbung der Marmorskulpturen.

immer noch nicht, daß wir dieses Verfahren nachzuahmen hätten. Mögen die
Bildhauer der italienischen Renaissance einen Irrtum begangen haben oder nicht,
als sie ihre Marmorstatuen, -biisten und -reliefs unbemalt ließen und damit das
Ideal der Antike erreicht zu haben glaubten — die moderne Bildhauerkunst
hat seit jener Zeit einen Weg eingeschlagen, der trotz mancher Seitensprünge
immer auf das eine Ziel führt, den höchsten Schein des Lebens hervorzurufen!
Die Sitte, Bildwerke zu färben, ist dabei niemals aufgegeben worden, soweit es
sich um Holz, Stuck, Sandstein, Thon und ähnliches Material von untergeord¬
netem Werte handelte. Nur den Marmor ließ man farblos. Die grelle Weiße
desselben empfand man zwar unangenehm; aber man begnügte sich damit, ihn
durch Einreibung mit einer Wachslösnng oder mit ähnlichen Substanzen leicht
gelblich zu tönen. Indem man darauf verzichtete, die Malerei zur Hilfsleistung
herbeizuziehen, entwickelte sich eine Marmortechuik, die hente in Frankreich, Italien
und Deutschland weit über die Fähigkeiten der antiken Bildhauer hinausgewachsen
ist. Und diese Errungenschaft sollten wir aufgeben, nnr weil die Griechen, der
orientalischen Überlieferung tren bleibend, ihre Statuen über und über mit Farbe
bedeckt haben?

Eine Ausstellung farbiger und getönter Bildwerke, welche ans die Anregung
jenes schon erwähnten Archäologen in den letzten Monaten des verflossenen
Jahres in der Berliner Nationalgalerie stattgefunden hat, hat uns keineswegs
dazu ermutigt. Die eine Hälfte dieser Ausstellung, die historische, in welcher
Proben von bemalten plastischen Knnsterzeugnissen aller Epochen und aller
Kulturvölker, einschließlich der ostasicitischeu, vertreten waren, hat keinem Künstler,
keinem kunstwissenschaftlich gebildeten Fachmanne, auch keinem Laien, der überhaupt
Museen besucht, etwas neues geboten. Dazu war ihr Umfang viel zu beschränkt.
Wer nicht bereits gründliche Vorkenntnisse mitgebracht hatte, der betrachtete die
etwa zweihundert Nummern als bunte Kuriositüteu, wie sie in jedem leidlich gut
allsgestatteten Museum vorhanden sind. Ein historischer Entwicklungsgang war
nicht zu verfolgen, vielleicht weil überhaupt keiner vorhanden ist, da die Poly-
chromie der plastischen Werke in alleil Ländern, die dabei in Frage kommen,
von bestimmten Gewohnheiten und Überlieferungen, von klimatischen lind
ethischen Rücksichten abhängt. Alle diese Länder dürfen ihre Kunst nach diesen
Gesetzen entwickeln. Nur der deutschen wollen archäologische Fanatiker dasselbe
Recht bestreikn. Mit Mühe und Not, unter den härtesten Kämpfen ist es »nseru
Bildhauern gelungen, sich unter der Ägide von Rauch und Rietschel eine eigne
Ausdrucksweise zu schaffen, und sobald sich dieser nationale Zug einigermaßen
gekräftigt hat, wird das ganze Rüstzeug antiquarischer Wissenschaft aufgeboten,
um diese nationale Regung zu unterdrücken, weil wir nun einmal dazu bestimmt
sind, in der Plastik die Sklaven der Griechen zu bleiben und unsre Ausdrucks-
weise dem Resultate einer jeden neuen Ausgrabung anzupassen!

Die zweite Hälfte jener Ausstellung hat uns gelehrt, welche Frucht die


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[0285] Die Färbung der Marmorskulpturen. immer noch nicht, daß wir dieses Verfahren nachzuahmen hätten. Mögen die Bildhauer der italienischen Renaissance einen Irrtum begangen haben oder nicht, als sie ihre Marmorstatuen, -biisten und -reliefs unbemalt ließen und damit das Ideal der Antike erreicht zu haben glaubten — die moderne Bildhauerkunst hat seit jener Zeit einen Weg eingeschlagen, der trotz mancher Seitensprünge immer auf das eine Ziel führt, den höchsten Schein des Lebens hervorzurufen! Die Sitte, Bildwerke zu färben, ist dabei niemals aufgegeben worden, soweit es sich um Holz, Stuck, Sandstein, Thon und ähnliches Material von untergeord¬ netem Werte handelte. Nur den Marmor ließ man farblos. Die grelle Weiße desselben empfand man zwar unangenehm; aber man begnügte sich damit, ihn durch Einreibung mit einer Wachslösnng oder mit ähnlichen Substanzen leicht gelblich zu tönen. Indem man darauf verzichtete, die Malerei zur Hilfsleistung herbeizuziehen, entwickelte sich eine Marmortechuik, die hente in Frankreich, Italien und Deutschland weit über die Fähigkeiten der antiken Bildhauer hinausgewachsen ist. Und diese Errungenschaft sollten wir aufgeben, nnr weil die Griechen, der orientalischen Überlieferung tren bleibend, ihre Statuen über und über mit Farbe bedeckt haben? Eine Ausstellung farbiger und getönter Bildwerke, welche ans die Anregung jenes schon erwähnten Archäologen in den letzten Monaten des verflossenen Jahres in der Berliner Nationalgalerie stattgefunden hat, hat uns keineswegs dazu ermutigt. Die eine Hälfte dieser Ausstellung, die historische, in welcher Proben von bemalten plastischen Knnsterzeugnissen aller Epochen und aller Kulturvölker, einschließlich der ostasicitischeu, vertreten waren, hat keinem Künstler, keinem kunstwissenschaftlich gebildeten Fachmanne, auch keinem Laien, der überhaupt Museen besucht, etwas neues geboten. Dazu war ihr Umfang viel zu beschränkt. Wer nicht bereits gründliche Vorkenntnisse mitgebracht hatte, der betrachtete die etwa zweihundert Nummern als bunte Kuriositüteu, wie sie in jedem leidlich gut allsgestatteten Museum vorhanden sind. Ein historischer Entwicklungsgang war nicht zu verfolgen, vielleicht weil überhaupt keiner vorhanden ist, da die Poly- chromie der plastischen Werke in alleil Ländern, die dabei in Frage kommen, von bestimmten Gewohnheiten und Überlieferungen, von klimatischen lind ethischen Rücksichten abhängt. Alle diese Länder dürfen ihre Kunst nach diesen Gesetzen entwickeln. Nur der deutschen wollen archäologische Fanatiker dasselbe Recht bestreikn. Mit Mühe und Not, unter den härtesten Kämpfen ist es »nseru Bildhauern gelungen, sich unter der Ägide von Rauch und Rietschel eine eigne Ausdrucksweise zu schaffen, und sobald sich dieser nationale Zug einigermaßen gekräftigt hat, wird das ganze Rüstzeug antiquarischer Wissenschaft aufgeboten, um diese nationale Regung zu unterdrücken, weil wir nun einmal dazu bestimmt sind, in der Plastik die Sklaven der Griechen zu bleiben und unsre Ausdrucks- weise dem Resultate einer jeden neuen Ausgrabung anzupassen! Die zweite Hälfte jener Ausstellung hat uns gelehrt, welche Frucht die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/285>, abgerufen am 10.02.2025.