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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Färbung der Mcirmoskulpturen.

des Polirens, daß sic auf die Mitwirkung des Malers verzichteten. Wir wissen
wohl, daß die Verteidiger der Polychromie in der modernen Plastik uns bei
dieser historischen Reminiszenz den Einwurf machen werden: "Das ist ein neuer
Beweis für unsre Theorie! Die Ägypter suchten also nach farbigen Gesteins-
arten, weil sic das Weiße nicht leiden konnten!" Dieser Einwand würde sich
schon durch die Thatsache widerlegen lassen, daß die Ägypter weder im Lande,
noch in der Nähe Marmvrbrüche hatten, die ihnen Weißen Marmor lieferten.
Dagegen hatten sie -- bei ihrem ungeheuern Verbrauch von Menschenkräften --
leine großen Schwierigkeiten, sich schwarzen, roten, gelben, gesprenkelten Marmor,
Granit u. s. w. nach Bedarf zu beschaffen, und sie haben uns anch eine reiche
Fülle von Figuren aus solchem Material hinterlassen. Keine dieser Figuren
war jedoch, soweit meine Kenntnis reicht, ursprünglich naturalistisch bemalt, ein
Beweis also, daß die Ägypter das Material als solches oder doch die darauf
verwendete Arbeit schätzten. Wenn hie und da Augensterne, Gewandteile,
Schmucksachen, Attribute u. dergl. in. dennoch farbig behandelt wurden, so läßt
sich annehmen, daß sich dieser Gebrauch in dem Maße verlor, als die Technik
der Steinmetzen und Bildhauer sich vervollkommnete und ihr Stil sich auf
naturalistischer Grundlage immer weiter ausbildete. Wir wollen mit diesem
Hinweis auf die Ägypter nur in Erinnerung bringen, daß selbst dasjenige Volk
des Altertums, welches kein Bauwerk unbemalt ließ, in der Plastik keineswegs
ein unbedingter Anhänger der Polychromie war.

Die Griechen scheinen allerdings auch ihre technisch vollendetsten Marmor¬
statuen, wie uns u. a. der Hermes des Praxiteles lehrt, durch die Farbe noch zu
größerer Wirkung gesteigert zu haben. Die römischen Bildhauer, welche so viele
Schöpfungen des griechischen Meißels kopirt haben, scheinen jedoch bereits andrer
Meinung gewesen zu sein. Es ist doch seltsam, daß sich an den zahllosen Marmor-
Werken ans römischer Zeit, welche die Museen von Rom und Florenz füllen, keine
irgendwie erheblichen Farbenspuren erhalten haben. Sollte die Zeit hier wirklich
alles bis auf den letzten Rest vernichtet haben, oder ist nicht vielmehr anzu¬
nehmen, daß die große Mehrzahl dieser Statuen und Büsten von vornherein
weiß oder nur leicht getönt gewesen sei? Wie soll man sich z. B. die etwaige
Bemalung des Apollo von Belvedere denken, von welchem wir doch wissen, daß
er auf ein griechisches Brvnzeoriginal zurückgeht? Hatte ihm der römische
Kopist etwa einen bronzefarbnen Anstrich verliehen oder hatte er ihn natura¬
listisch bemalt? Ju letzteren Falle würde die Statue den Wert der Kopie ver¬
loren und in ersterm Falle würde der Kopist eine Geschmacklosigkeit be¬
gangen haben, welche wir selbst einem Römer der spätern Kaiserzeit nicht zu¬
trauen möchten.

Diese Bemerkungen sollen nur darthun, daß die Frage der antiken Poly-
chromie noch weit von ihrer Lösung entfernt ist. Aber wenn wir uns auch
über das Verfahren der Griechen und Römer völlig klar wären, so folgt daraus


Die Färbung der Mcirmoskulpturen.

des Polirens, daß sic auf die Mitwirkung des Malers verzichteten. Wir wissen
wohl, daß die Verteidiger der Polychromie in der modernen Plastik uns bei
dieser historischen Reminiszenz den Einwurf machen werden: „Das ist ein neuer
Beweis für unsre Theorie! Die Ägypter suchten also nach farbigen Gesteins-
arten, weil sic das Weiße nicht leiden konnten!" Dieser Einwand würde sich
schon durch die Thatsache widerlegen lassen, daß die Ägypter weder im Lande,
noch in der Nähe Marmvrbrüche hatten, die ihnen Weißen Marmor lieferten.
Dagegen hatten sie — bei ihrem ungeheuern Verbrauch von Menschenkräften —
leine großen Schwierigkeiten, sich schwarzen, roten, gelben, gesprenkelten Marmor,
Granit u. s. w. nach Bedarf zu beschaffen, und sie haben uns anch eine reiche
Fülle von Figuren aus solchem Material hinterlassen. Keine dieser Figuren
war jedoch, soweit meine Kenntnis reicht, ursprünglich naturalistisch bemalt, ein
Beweis also, daß die Ägypter das Material als solches oder doch die darauf
verwendete Arbeit schätzten. Wenn hie und da Augensterne, Gewandteile,
Schmucksachen, Attribute u. dergl. in. dennoch farbig behandelt wurden, so läßt
sich annehmen, daß sich dieser Gebrauch in dem Maße verlor, als die Technik
der Steinmetzen und Bildhauer sich vervollkommnete und ihr Stil sich auf
naturalistischer Grundlage immer weiter ausbildete. Wir wollen mit diesem
Hinweis auf die Ägypter nur in Erinnerung bringen, daß selbst dasjenige Volk
des Altertums, welches kein Bauwerk unbemalt ließ, in der Plastik keineswegs
ein unbedingter Anhänger der Polychromie war.

Die Griechen scheinen allerdings auch ihre technisch vollendetsten Marmor¬
statuen, wie uns u. a. der Hermes des Praxiteles lehrt, durch die Farbe noch zu
größerer Wirkung gesteigert zu haben. Die römischen Bildhauer, welche so viele
Schöpfungen des griechischen Meißels kopirt haben, scheinen jedoch bereits andrer
Meinung gewesen zu sein. Es ist doch seltsam, daß sich an den zahllosen Marmor-
Werken ans römischer Zeit, welche die Museen von Rom und Florenz füllen, keine
irgendwie erheblichen Farbenspuren erhalten haben. Sollte die Zeit hier wirklich
alles bis auf den letzten Rest vernichtet haben, oder ist nicht vielmehr anzu¬
nehmen, daß die große Mehrzahl dieser Statuen und Büsten von vornherein
weiß oder nur leicht getönt gewesen sei? Wie soll man sich z. B. die etwaige
Bemalung des Apollo von Belvedere denken, von welchem wir doch wissen, daß
er auf ein griechisches Brvnzeoriginal zurückgeht? Hatte ihm der römische
Kopist etwa einen bronzefarbnen Anstrich verliehen oder hatte er ihn natura¬
listisch bemalt? Ju letzteren Falle würde die Statue den Wert der Kopie ver¬
loren und in ersterm Falle würde der Kopist eine Geschmacklosigkeit be¬
gangen haben, welche wir selbst einem Römer der spätern Kaiserzeit nicht zu¬
trauen möchten.

Diese Bemerkungen sollen nur darthun, daß die Frage der antiken Poly-
chromie noch weit von ihrer Lösung entfernt ist. Aber wenn wir uns auch
über das Verfahren der Griechen und Römer völlig klar wären, so folgt daraus


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[0284] Die Färbung der Mcirmoskulpturen. des Polirens, daß sic auf die Mitwirkung des Malers verzichteten. Wir wissen wohl, daß die Verteidiger der Polychromie in der modernen Plastik uns bei dieser historischen Reminiszenz den Einwurf machen werden: „Das ist ein neuer Beweis für unsre Theorie! Die Ägypter suchten also nach farbigen Gesteins- arten, weil sic das Weiße nicht leiden konnten!" Dieser Einwand würde sich schon durch die Thatsache widerlegen lassen, daß die Ägypter weder im Lande, noch in der Nähe Marmvrbrüche hatten, die ihnen Weißen Marmor lieferten. Dagegen hatten sie — bei ihrem ungeheuern Verbrauch von Menschenkräften — leine großen Schwierigkeiten, sich schwarzen, roten, gelben, gesprenkelten Marmor, Granit u. s. w. nach Bedarf zu beschaffen, und sie haben uns anch eine reiche Fülle von Figuren aus solchem Material hinterlassen. Keine dieser Figuren war jedoch, soweit meine Kenntnis reicht, ursprünglich naturalistisch bemalt, ein Beweis also, daß die Ägypter das Material als solches oder doch die darauf verwendete Arbeit schätzten. Wenn hie und da Augensterne, Gewandteile, Schmucksachen, Attribute u. dergl. in. dennoch farbig behandelt wurden, so läßt sich annehmen, daß sich dieser Gebrauch in dem Maße verlor, als die Technik der Steinmetzen und Bildhauer sich vervollkommnete und ihr Stil sich auf naturalistischer Grundlage immer weiter ausbildete. Wir wollen mit diesem Hinweis auf die Ägypter nur in Erinnerung bringen, daß selbst dasjenige Volk des Altertums, welches kein Bauwerk unbemalt ließ, in der Plastik keineswegs ein unbedingter Anhänger der Polychromie war. Die Griechen scheinen allerdings auch ihre technisch vollendetsten Marmor¬ statuen, wie uns u. a. der Hermes des Praxiteles lehrt, durch die Farbe noch zu größerer Wirkung gesteigert zu haben. Die römischen Bildhauer, welche so viele Schöpfungen des griechischen Meißels kopirt haben, scheinen jedoch bereits andrer Meinung gewesen zu sein. Es ist doch seltsam, daß sich an den zahllosen Marmor- Werken ans römischer Zeit, welche die Museen von Rom und Florenz füllen, keine irgendwie erheblichen Farbenspuren erhalten haben. Sollte die Zeit hier wirklich alles bis auf den letzten Rest vernichtet haben, oder ist nicht vielmehr anzu¬ nehmen, daß die große Mehrzahl dieser Statuen und Büsten von vornherein weiß oder nur leicht getönt gewesen sei? Wie soll man sich z. B. die etwaige Bemalung des Apollo von Belvedere denken, von welchem wir doch wissen, daß er auf ein griechisches Brvnzeoriginal zurückgeht? Hatte ihm der römische Kopist etwa einen bronzefarbnen Anstrich verliehen oder hatte er ihn natura¬ listisch bemalt? Ju letzteren Falle würde die Statue den Wert der Kopie ver¬ loren und in ersterm Falle würde der Kopist eine Geschmacklosigkeit be¬ gangen haben, welche wir selbst einem Römer der spätern Kaiserzeit nicht zu¬ trauen möchten. Diese Bemerkungen sollen nur darthun, daß die Frage der antiken Poly- chromie noch weit von ihrer Lösung entfernt ist. Aber wenn wir uns auch über das Verfahren der Griechen und Römer völlig klar wären, so folgt daraus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/284>, abgerufen am 05.02.2025.