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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Levin Schückings Lebenserinnerungen.

und des Säntis; da unten links stiegen die blauenden Höhen des Vorarlbergs
und Rhätiens auf, rosig im Abendrot verdämmernd, verlockend an die Zauber
Italiens mahnend; da unten rechts glänzte die Mairan und barg sich dem
Auge die Reichenau mit der Grabstätte eines deutscheu Kaisers; Sankt Gallen,
Hohenems, Lindau, Arbon, das Hans der gewaltigen Montfort, die Bürgen der
Werdenfels, die zahlreichen Sitze berühmter Minnesänger, das alles lag in dem
kulturhistorischen Rayon der alten Mersburg, stand voran in den Interessen
ihres Besitzers."

Gern würde Schücking hier träumend und dichtend länger verweilt haben,
wenn er nicht Ostern 1842 eine Berufung als Erzieher zweier jungen Prinzen
Wrede erhalten hätte, die ihn auf die Güter des genannten fürstlichen Hauses
in Baiern und im Salzkammergut (um Mvndsee) führte. Bei der Annahme
dieser Stellung hatte sich die Aussicht eröffnet, daß der fahrende Dichter eine
dauernde Versorgung finden würde, aber schon nach Ablauf eines Jahres stellte
sich heraus, daß Schücking (aus Gründen, die nur angedeutet sind) nicht länger
im Wredcschen Hause verweilen konnte, ohne mit sich selbst in Zwiespalt zu
geraten. Er hatte während dieses Jahres die wichtige Verbindung mit der
unter Koths Leitung (damals in Augsburg) erscheinenden "Allgemeinen Zeitung"
angeknüpft, Kolb lud den talentvollen und ernststrebenden jungen Schriftsteller
ein, sich an der Redaktion der Zeitung, namentlich ihrer wissenschaftlich-literarischen
Beilage, zu beteiligen. Levin Schücking durfte dies Anerbieten umsomehr als
ein Glück erachten, als er im Begriffe stand, um die Hand einer liebenswürdigen
jungen Dame, Fräulein Luise von Gall zu werben. Und "eS war eine schwere
Aufgabe, von der Literatur leben, um die Zeit von 1840. Bücher hat man
ja nie gekauft in Deutschland -- es gehörten damals gar Jahre dazu, bis von
Immermanns Münchhausen vierhundert Exemplare abgesetzt waren --, aber
damals kaufte man auch keine Journale und keine Zeitungen; Heine rühmt in
seinen Briefen aus Berlin (1822) dem Gubitzschen "Gesellschafter ° nach, er habe
es als das beste und gehaltreichste Blatt Deutschlands zu einem Absätze von
fünfzehnhundert Exemplare" gebracht; 1840 war das Cottasche Morgenblatt
jedenfalls das vornehmste und bestredigirte; aber selbst unter der Leitung
Hermann Hauffs, des geistreichen und gelehrten Bruders von Wilhelm Hanfs,
hat es dies Journal ich glaube nur zu zweitausend Abonnenten gebracht! Die
Hvnorore waren demgemäß äußerst schwach. Unter diesen Umständen dürfte
man nicht bettelstolz und arbeitsscheu, nicht wählig und eigensinnig sein und sich
darauf versteifen, bloß seinem "innern Genius" gehorchen und nur das schreiben
und schaffen zu wollen, wozu man Drang und Stachel in sich fühlte." Die
mehrjährige Mitwirkung bei der Redaktion der "Allgemeinen Zeitung" und die
langjährige bei der der "Kölnischen Zeitung" (Schücking siedelte 1845 mit
seiner jungen Gattin auf Anregung Josef DuMonts, des Eigentümers der
"Kölnischen Zeitung," nach der Rheinmetropole über), gab dem Schriftsteller


Levin Schückings Lebenserinnerungen.

und des Säntis; da unten links stiegen die blauenden Höhen des Vorarlbergs
und Rhätiens auf, rosig im Abendrot verdämmernd, verlockend an die Zauber
Italiens mahnend; da unten rechts glänzte die Mairan und barg sich dem
Auge die Reichenau mit der Grabstätte eines deutscheu Kaisers; Sankt Gallen,
Hohenems, Lindau, Arbon, das Hans der gewaltigen Montfort, die Bürgen der
Werdenfels, die zahlreichen Sitze berühmter Minnesänger, das alles lag in dem
kulturhistorischen Rayon der alten Mersburg, stand voran in den Interessen
ihres Besitzers."

Gern würde Schücking hier träumend und dichtend länger verweilt haben,
wenn er nicht Ostern 1842 eine Berufung als Erzieher zweier jungen Prinzen
Wrede erhalten hätte, die ihn auf die Güter des genannten fürstlichen Hauses
in Baiern und im Salzkammergut (um Mvndsee) führte. Bei der Annahme
dieser Stellung hatte sich die Aussicht eröffnet, daß der fahrende Dichter eine
dauernde Versorgung finden würde, aber schon nach Ablauf eines Jahres stellte
sich heraus, daß Schücking (aus Gründen, die nur angedeutet sind) nicht länger
im Wredcschen Hause verweilen konnte, ohne mit sich selbst in Zwiespalt zu
geraten. Er hatte während dieses Jahres die wichtige Verbindung mit der
unter Koths Leitung (damals in Augsburg) erscheinenden „Allgemeinen Zeitung"
angeknüpft, Kolb lud den talentvollen und ernststrebenden jungen Schriftsteller
ein, sich an der Redaktion der Zeitung, namentlich ihrer wissenschaftlich-literarischen
Beilage, zu beteiligen. Levin Schücking durfte dies Anerbieten umsomehr als
ein Glück erachten, als er im Begriffe stand, um die Hand einer liebenswürdigen
jungen Dame, Fräulein Luise von Gall zu werben. Und „eS war eine schwere
Aufgabe, von der Literatur leben, um die Zeit von 1840. Bücher hat man
ja nie gekauft in Deutschland — es gehörten damals gar Jahre dazu, bis von
Immermanns Münchhausen vierhundert Exemplare abgesetzt waren —, aber
damals kaufte man auch keine Journale und keine Zeitungen; Heine rühmt in
seinen Briefen aus Berlin (1822) dem Gubitzschen »Gesellschafter ° nach, er habe
es als das beste und gehaltreichste Blatt Deutschlands zu einem Absätze von
fünfzehnhundert Exemplare» gebracht; 1840 war das Cottasche Morgenblatt
jedenfalls das vornehmste und bestredigirte; aber selbst unter der Leitung
Hermann Hauffs, des geistreichen und gelehrten Bruders von Wilhelm Hanfs,
hat es dies Journal ich glaube nur zu zweitausend Abonnenten gebracht! Die
Hvnorore waren demgemäß äußerst schwach. Unter diesen Umständen dürfte
man nicht bettelstolz und arbeitsscheu, nicht wählig und eigensinnig sein und sich
darauf versteifen, bloß seinem »innern Genius« gehorchen und nur das schreiben
und schaffen zu wollen, wozu man Drang und Stachel in sich fühlte." Die
mehrjährige Mitwirkung bei der Redaktion der „Allgemeinen Zeitung" und die
langjährige bei der der „Kölnischen Zeitung" (Schücking siedelte 1845 mit
seiner jungen Gattin auf Anregung Josef DuMonts, des Eigentümers der
„Kölnischen Zeitung," nach der Rheinmetropole über), gab dem Schriftsteller


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[0279] Levin Schückings Lebenserinnerungen. und des Säntis; da unten links stiegen die blauenden Höhen des Vorarlbergs und Rhätiens auf, rosig im Abendrot verdämmernd, verlockend an die Zauber Italiens mahnend; da unten rechts glänzte die Mairan und barg sich dem Auge die Reichenau mit der Grabstätte eines deutscheu Kaisers; Sankt Gallen, Hohenems, Lindau, Arbon, das Hans der gewaltigen Montfort, die Bürgen der Werdenfels, die zahlreichen Sitze berühmter Minnesänger, das alles lag in dem kulturhistorischen Rayon der alten Mersburg, stand voran in den Interessen ihres Besitzers." Gern würde Schücking hier träumend und dichtend länger verweilt haben, wenn er nicht Ostern 1842 eine Berufung als Erzieher zweier jungen Prinzen Wrede erhalten hätte, die ihn auf die Güter des genannten fürstlichen Hauses in Baiern und im Salzkammergut (um Mvndsee) führte. Bei der Annahme dieser Stellung hatte sich die Aussicht eröffnet, daß der fahrende Dichter eine dauernde Versorgung finden würde, aber schon nach Ablauf eines Jahres stellte sich heraus, daß Schücking (aus Gründen, die nur angedeutet sind) nicht länger im Wredcschen Hause verweilen konnte, ohne mit sich selbst in Zwiespalt zu geraten. Er hatte während dieses Jahres die wichtige Verbindung mit der unter Koths Leitung (damals in Augsburg) erscheinenden „Allgemeinen Zeitung" angeknüpft, Kolb lud den talentvollen und ernststrebenden jungen Schriftsteller ein, sich an der Redaktion der Zeitung, namentlich ihrer wissenschaftlich-literarischen Beilage, zu beteiligen. Levin Schücking durfte dies Anerbieten umsomehr als ein Glück erachten, als er im Begriffe stand, um die Hand einer liebenswürdigen jungen Dame, Fräulein Luise von Gall zu werben. Und „eS war eine schwere Aufgabe, von der Literatur leben, um die Zeit von 1840. Bücher hat man ja nie gekauft in Deutschland — es gehörten damals gar Jahre dazu, bis von Immermanns Münchhausen vierhundert Exemplare abgesetzt waren —, aber damals kaufte man auch keine Journale und keine Zeitungen; Heine rühmt in seinen Briefen aus Berlin (1822) dem Gubitzschen »Gesellschafter ° nach, er habe es als das beste und gehaltreichste Blatt Deutschlands zu einem Absätze von fünfzehnhundert Exemplare» gebracht; 1840 war das Cottasche Morgenblatt jedenfalls das vornehmste und bestredigirte; aber selbst unter der Leitung Hermann Hauffs, des geistreichen und gelehrten Bruders von Wilhelm Hanfs, hat es dies Journal ich glaube nur zu zweitausend Abonnenten gebracht! Die Hvnorore waren demgemäß äußerst schwach. Unter diesen Umständen dürfte man nicht bettelstolz und arbeitsscheu, nicht wählig und eigensinnig sein und sich darauf versteifen, bloß seinem »innern Genius« gehorchen und nur das schreiben und schaffen zu wollen, wozu man Drang und Stachel in sich fühlte." Die mehrjährige Mitwirkung bei der Redaktion der „Allgemeinen Zeitung" und die langjährige bei der der „Kölnischen Zeitung" (Schücking siedelte 1845 mit seiner jungen Gattin auf Anregung Josef DuMonts, des Eigentümers der „Kölnischen Zeitung," nach der Rheinmetropole über), gab dem Schriftsteller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/279>, abgerufen am 05.02.2025.