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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die hannoversche Gesellschaft.

Übrigens hatte das sonst sehr strenge hannoversche Militärstrafgesetzbuch dieser
Auffassung dadurch einen gesetzlichen Hintergrund gegeben, daß es einen scharfen
Unterschied zwischen Jnsubordiuntionsvergehen machte, die in und außer Dienst
erfolgt waren.

Wir fügen hier noch eine kleine Anekdote ein, die genau genommen nicht
hierher gehört, in der sich aber scharf und drastisch der Unterschied spiegelt,
welchen der hannoversche Offizier gewohnt war, zwischen seiner Stellung als
solcher und seiner Stellung als Gentleman zu machen. In den dreißiger Jahren
hatten die Stände des Königreichs den Kapitänen der Artillerie die Nationen
gestrichen, welche sie bis dahin für ihre Dienstpferde bezogen hatten. Die Re¬
gierung war schwach genug gewesen, darauf einzugehen. Entweder mußten also
die betreffenden Offiziere ihren Dienst zu Fuß thun oder ihre Pferde aus
eignen Mitteln erhalten. Bald nachher kam der Herzog von Cambridge, da¬
mals Vizekönig von Hannover, nach Stade, um die dortigen Truppen zu besich¬
tigen. Als er ans den Artillerieexerzierplatz kam, fand er dort die Batterie
des Hauptmanns Braun, den Kapitän zu Fuß vor derselben. "Aber Kapitän
Braun -- redete der Herzog den Kapitän an, den er noch von den Zeiten der
Legion her persönlich kannte --, aber Kapitän Braun, zu Fuß?" -- "Zu Befehl,
königliche Hoheit, Kapitän Braun hat kein Pferd, aber Gentleman Braun hält
sich Pferde." Infolge dieses Rencontres wurden den Kapitänen der Artillerie
die ihnen gestrichenen Rationen möglichst bald wieder bewilligt.

Die Formen, die wir oben geschildert haben, wurden von den Beamten,
wie überhaupt von den Herren des Zivilstandes nachgeahmt. Auch sie einem
sich, wenn sie unverheiratet waren, zu geschlossenen Mittagsgemeinschaften, an
denen die Sitten und Gebräuche der Messen, wenn auch nicht mit der Strenge,
welche diesen eigentümlich war, beobachtet wurden. An ihnen pflegten in den
Orten, die keine größere Garnison besaßen, in denen aber eine Schwadron ihr
Stabsquartier hatte oder sich ein kleines Jnfanteriekommcmdo befand, die
Offizieren dieser kleinen Abteilungen, wie die unverheirateten Offiziere a. D.
teilzunehmen.

In Harburg z. B. bestand jahrelang ein geschlossener Tisch auf dem Keller,
an dem die dortigen unverheirateten Beamten und Offiziere in und außer
Dienst, sowie einige andre junge Leute von Stand und Bildung speisten, zu
dem aber keiner zugelassen wurde, ehe er sich der vorgeschriebenen Ballotage
unterworfen hatte. Ihm gehörten als außerordentliche Mitglieder alle ver¬
heirateten, zur dortigen Gesellschaft zählenden Herren an, und die Aufnahme in
seine Listen galt für so notwendig, daß es in ganz Hannover und weit über
Hannover hinaus großartiges Aufsehen machte, als die Tischgenossenschaft
dem neu ernannten Bürgermeister der Stadt die Aufnahme verweigerte.

Es ist natürlich, daß alle Sitten und Gebräuche der Messen und der
gemeinsamen Tafeln der Zivilisten dem Hannoveraner so zur andern Natur


Grenzboten I. 1886. 3
Die hannoversche Gesellschaft.

Übrigens hatte das sonst sehr strenge hannoversche Militärstrafgesetzbuch dieser
Auffassung dadurch einen gesetzlichen Hintergrund gegeben, daß es einen scharfen
Unterschied zwischen Jnsubordiuntionsvergehen machte, die in und außer Dienst
erfolgt waren.

Wir fügen hier noch eine kleine Anekdote ein, die genau genommen nicht
hierher gehört, in der sich aber scharf und drastisch der Unterschied spiegelt,
welchen der hannoversche Offizier gewohnt war, zwischen seiner Stellung als
solcher und seiner Stellung als Gentleman zu machen. In den dreißiger Jahren
hatten die Stände des Königreichs den Kapitänen der Artillerie die Nationen
gestrichen, welche sie bis dahin für ihre Dienstpferde bezogen hatten. Die Re¬
gierung war schwach genug gewesen, darauf einzugehen. Entweder mußten also
die betreffenden Offiziere ihren Dienst zu Fuß thun oder ihre Pferde aus
eignen Mitteln erhalten. Bald nachher kam der Herzog von Cambridge, da¬
mals Vizekönig von Hannover, nach Stade, um die dortigen Truppen zu besich¬
tigen. Als er ans den Artillerieexerzierplatz kam, fand er dort die Batterie
des Hauptmanns Braun, den Kapitän zu Fuß vor derselben. „Aber Kapitän
Braun — redete der Herzog den Kapitän an, den er noch von den Zeiten der
Legion her persönlich kannte —, aber Kapitän Braun, zu Fuß?" — „Zu Befehl,
königliche Hoheit, Kapitän Braun hat kein Pferd, aber Gentleman Braun hält
sich Pferde." Infolge dieses Rencontres wurden den Kapitänen der Artillerie
die ihnen gestrichenen Rationen möglichst bald wieder bewilligt.

Die Formen, die wir oben geschildert haben, wurden von den Beamten,
wie überhaupt von den Herren des Zivilstandes nachgeahmt. Auch sie einem
sich, wenn sie unverheiratet waren, zu geschlossenen Mittagsgemeinschaften, an
denen die Sitten und Gebräuche der Messen, wenn auch nicht mit der Strenge,
welche diesen eigentümlich war, beobachtet wurden. An ihnen pflegten in den
Orten, die keine größere Garnison besaßen, in denen aber eine Schwadron ihr
Stabsquartier hatte oder sich ein kleines Jnfanteriekommcmdo befand, die
Offizieren dieser kleinen Abteilungen, wie die unverheirateten Offiziere a. D.
teilzunehmen.

In Harburg z. B. bestand jahrelang ein geschlossener Tisch auf dem Keller,
an dem die dortigen unverheirateten Beamten und Offiziere in und außer
Dienst, sowie einige andre junge Leute von Stand und Bildung speisten, zu
dem aber keiner zugelassen wurde, ehe er sich der vorgeschriebenen Ballotage
unterworfen hatte. Ihm gehörten als außerordentliche Mitglieder alle ver¬
heirateten, zur dortigen Gesellschaft zählenden Herren an, und die Aufnahme in
seine Listen galt für so notwendig, daß es in ganz Hannover und weit über
Hannover hinaus großartiges Aufsehen machte, als die Tischgenossenschaft
dem neu ernannten Bürgermeister der Stadt die Aufnahme verweigerte.

Es ist natürlich, daß alle Sitten und Gebräuche der Messen und der
gemeinsamen Tafeln der Zivilisten dem Hannoveraner so zur andern Natur


Grenzboten I. 1886. 3
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[0025] Die hannoversche Gesellschaft. Übrigens hatte das sonst sehr strenge hannoversche Militärstrafgesetzbuch dieser Auffassung dadurch einen gesetzlichen Hintergrund gegeben, daß es einen scharfen Unterschied zwischen Jnsubordiuntionsvergehen machte, die in und außer Dienst erfolgt waren. Wir fügen hier noch eine kleine Anekdote ein, die genau genommen nicht hierher gehört, in der sich aber scharf und drastisch der Unterschied spiegelt, welchen der hannoversche Offizier gewohnt war, zwischen seiner Stellung als solcher und seiner Stellung als Gentleman zu machen. In den dreißiger Jahren hatten die Stände des Königreichs den Kapitänen der Artillerie die Nationen gestrichen, welche sie bis dahin für ihre Dienstpferde bezogen hatten. Die Re¬ gierung war schwach genug gewesen, darauf einzugehen. Entweder mußten also die betreffenden Offiziere ihren Dienst zu Fuß thun oder ihre Pferde aus eignen Mitteln erhalten. Bald nachher kam der Herzog von Cambridge, da¬ mals Vizekönig von Hannover, nach Stade, um die dortigen Truppen zu besich¬ tigen. Als er ans den Artillerieexerzierplatz kam, fand er dort die Batterie des Hauptmanns Braun, den Kapitän zu Fuß vor derselben. „Aber Kapitän Braun — redete der Herzog den Kapitän an, den er noch von den Zeiten der Legion her persönlich kannte —, aber Kapitän Braun, zu Fuß?" — „Zu Befehl, königliche Hoheit, Kapitän Braun hat kein Pferd, aber Gentleman Braun hält sich Pferde." Infolge dieses Rencontres wurden den Kapitänen der Artillerie die ihnen gestrichenen Rationen möglichst bald wieder bewilligt. Die Formen, die wir oben geschildert haben, wurden von den Beamten, wie überhaupt von den Herren des Zivilstandes nachgeahmt. Auch sie einem sich, wenn sie unverheiratet waren, zu geschlossenen Mittagsgemeinschaften, an denen die Sitten und Gebräuche der Messen, wenn auch nicht mit der Strenge, welche diesen eigentümlich war, beobachtet wurden. An ihnen pflegten in den Orten, die keine größere Garnison besaßen, in denen aber eine Schwadron ihr Stabsquartier hatte oder sich ein kleines Jnfanteriekommcmdo befand, die Offizieren dieser kleinen Abteilungen, wie die unverheirateten Offiziere a. D. teilzunehmen. In Harburg z. B. bestand jahrelang ein geschlossener Tisch auf dem Keller, an dem die dortigen unverheirateten Beamten und Offiziere in und außer Dienst, sowie einige andre junge Leute von Stand und Bildung speisten, zu dem aber keiner zugelassen wurde, ehe er sich der vorgeschriebenen Ballotage unterworfen hatte. Ihm gehörten als außerordentliche Mitglieder alle ver¬ heirateten, zur dortigen Gesellschaft zählenden Herren an, und die Aufnahme in seine Listen galt für so notwendig, daß es in ganz Hannover und weit über Hannover hinaus großartiges Aufsehen machte, als die Tischgenossenschaft dem neu ernannten Bürgermeister der Stadt die Aufnahme verweigerte. Es ist natürlich, daß alle Sitten und Gebräuche der Messen und der gemeinsamen Tafeln der Zivilisten dem Hannoveraner so zur andern Natur Grenzboten I. 1886. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/25>, abgerufen am 05.02.2025.