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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Historische Romane.

Krieg breiten Raum einnimmt; ein Geist vom Range Wilhelm Randes, der wie
kaum ein andrer von den Lebenden das Herz der Zeit schlagen hört, ergreift
mit überlegnem Humor die Kinderkrankheiten des neue" Reiches, etwa die,
Konflikte zwischen Reichsidee und Partikulnrismus, in die der "olle Potsdamer"
Wilhelm Schvnow in der nnuektirteu Provinz gerät, "Es danert immer etwas
länger als zehn Jahre, ehe der Nachklang eines weltgeschichtlichen Faktums aus-
zittert," sagt Fräulein Julie Kiebitz in "Villa Schönvw," und sie hat sehr Recht.
Denn dieses neue weltgeschichtliche Faktum hat nus unter anderm mich der
eignen Vergangenheit gegenüber auf einen neuen Standpunkt gestellt, und bis
diese Revision der Urteile in Sachen der Geschichte fertig ist, bedarf es wahrlich
mehr als eines kurzen Jahrzehnts. Das ist ja das Wesen, die Schwäche, aber
auch der ewige Reiz der historischen Wissenschaft, daß hier eine rein faktische
Erfahrung nicht ausreicht, daß aber auch das Urteil über die Menschen und
Bestrebungen der Vergangenheit immer subjektiv von dem Geiste der Epoche
gefärbt ist, in der es gefällt wird. Welche Umwandlung macht jetzt das Urteil
über die französische Revolution des Jahres 1789 im allgemeinen Bewußtsein
Europas durch! So geht es uns aber auch mit unsrer eignen Geschichte. Es
bedarf nicht bloß mehr als eines Jahrzehnts, sondern zuweilen auch mehr als
eines Jahrhunderts, um ein Urteil über historisch bedeutende Erscheinungen mit
einiger Aussicht auf bleibenden Wert zu füllen.

Zwei vor kurzem neu erschienene historische Romane, etwas umfänglicher
Art, haben uns zu dieser Betrachtung angeregt. Es sind die Romane: Am
Ausgang des Reiches von Wilhelm Imsen (2 Bde., Leipzig, Elischer, 1885)
und der ausdrücklich als historischer Roman bezeichnete Fritz Kauuacher voll
Arthur Ho brecht (2 Bde., Berlin, Hertz, 1885). Beide behandeln vaterländische
Stoffe: Imsen führt uns in das letzte Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts,
an den Hof des Kurfürsten Karl Theodor von Pfalzbaiern; Hobrecht geht noch
weiter znriick in das letzte Drittel des siebzehnten Jahrhunderts, in die erste
Regierungszeit des großen Kurfürsten von Brandenburg-Preußen.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die historischen Romane in der letzten
Zeit merklich in der Gunst des Publikums zurückgegangen sind. Zwar werfen
die Felix Dahn, Ernst Eckstein n. s. w. noch immer zu jeder Büchermesse einen
neuen Roman aus der Völkerwanderung oder ans der römischen Kaiserzeit auf
den Markt; aber es sind das nur noch die Nachzügler einer absterbenden Mode.
Und eigentlich sind es gerade diese Archäologen, welche den historischen Roman
in Verruf gebracht haben. Prinzipiell zwar sind auch wir der Meinung, daß
ein wahrhaft schöpferisches Talent im Romane seine eigne Gegenwart zu zeichnen
vorziehen wird; denn dies ist der wahre Beruf dieser Kunstform, und alle die
unsterblichen Werke, die ihr angehören, vom Don Quixote an bis zu den
Wahlverwandtschaften, alle Genies unsrer Zeit, ein Dickens, eine Elliot, ein
Gottfried Keller, ein Iwan Turgenjew, sie treten für diesen Standpunkt ein.


Historische Romane.

Krieg breiten Raum einnimmt; ein Geist vom Range Wilhelm Randes, der wie
kaum ein andrer von den Lebenden das Herz der Zeit schlagen hört, ergreift
mit überlegnem Humor die Kinderkrankheiten des neue» Reiches, etwa die,
Konflikte zwischen Reichsidee und Partikulnrismus, in die der „olle Potsdamer"
Wilhelm Schvnow in der nnuektirteu Provinz gerät, „Es danert immer etwas
länger als zehn Jahre, ehe der Nachklang eines weltgeschichtlichen Faktums aus-
zittert," sagt Fräulein Julie Kiebitz in „Villa Schönvw," und sie hat sehr Recht.
Denn dieses neue weltgeschichtliche Faktum hat nus unter anderm mich der
eignen Vergangenheit gegenüber auf einen neuen Standpunkt gestellt, und bis
diese Revision der Urteile in Sachen der Geschichte fertig ist, bedarf es wahrlich
mehr als eines kurzen Jahrzehnts. Das ist ja das Wesen, die Schwäche, aber
auch der ewige Reiz der historischen Wissenschaft, daß hier eine rein faktische
Erfahrung nicht ausreicht, daß aber auch das Urteil über die Menschen und
Bestrebungen der Vergangenheit immer subjektiv von dem Geiste der Epoche
gefärbt ist, in der es gefällt wird. Welche Umwandlung macht jetzt das Urteil
über die französische Revolution des Jahres 1789 im allgemeinen Bewußtsein
Europas durch! So geht es uns aber auch mit unsrer eignen Geschichte. Es
bedarf nicht bloß mehr als eines Jahrzehnts, sondern zuweilen auch mehr als
eines Jahrhunderts, um ein Urteil über historisch bedeutende Erscheinungen mit
einiger Aussicht auf bleibenden Wert zu füllen.

Zwei vor kurzem neu erschienene historische Romane, etwas umfänglicher
Art, haben uns zu dieser Betrachtung angeregt. Es sind die Romane: Am
Ausgang des Reiches von Wilhelm Imsen (2 Bde., Leipzig, Elischer, 1885)
und der ausdrücklich als historischer Roman bezeichnete Fritz Kauuacher voll
Arthur Ho brecht (2 Bde., Berlin, Hertz, 1885). Beide behandeln vaterländische
Stoffe: Imsen führt uns in das letzte Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts,
an den Hof des Kurfürsten Karl Theodor von Pfalzbaiern; Hobrecht geht noch
weiter znriick in das letzte Drittel des siebzehnten Jahrhunderts, in die erste
Regierungszeit des großen Kurfürsten von Brandenburg-Preußen.

Es läßt sich nicht leugnen, daß die historischen Romane in der letzten
Zeit merklich in der Gunst des Publikums zurückgegangen sind. Zwar werfen
die Felix Dahn, Ernst Eckstein n. s. w. noch immer zu jeder Büchermesse einen
neuen Roman aus der Völkerwanderung oder ans der römischen Kaiserzeit auf
den Markt; aber es sind das nur noch die Nachzügler einer absterbenden Mode.
Und eigentlich sind es gerade diese Archäologen, welche den historischen Roman
in Verruf gebracht haben. Prinzipiell zwar sind auch wir der Meinung, daß
ein wahrhaft schöpferisches Talent im Romane seine eigne Gegenwart zu zeichnen
vorziehen wird; denn dies ist der wahre Beruf dieser Kunstform, und alle die
unsterblichen Werke, die ihr angehören, vom Don Quixote an bis zu den
Wahlverwandtschaften, alle Genies unsrer Zeit, ein Dickens, eine Elliot, ein
Gottfried Keller, ein Iwan Turgenjew, sie treten für diesen Standpunkt ein.


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[0228] Historische Romane. Krieg breiten Raum einnimmt; ein Geist vom Range Wilhelm Randes, der wie kaum ein andrer von den Lebenden das Herz der Zeit schlagen hört, ergreift mit überlegnem Humor die Kinderkrankheiten des neue» Reiches, etwa die, Konflikte zwischen Reichsidee und Partikulnrismus, in die der „olle Potsdamer" Wilhelm Schvnow in der nnuektirteu Provinz gerät, „Es danert immer etwas länger als zehn Jahre, ehe der Nachklang eines weltgeschichtlichen Faktums aus- zittert," sagt Fräulein Julie Kiebitz in „Villa Schönvw," und sie hat sehr Recht. Denn dieses neue weltgeschichtliche Faktum hat nus unter anderm mich der eignen Vergangenheit gegenüber auf einen neuen Standpunkt gestellt, und bis diese Revision der Urteile in Sachen der Geschichte fertig ist, bedarf es wahrlich mehr als eines kurzen Jahrzehnts. Das ist ja das Wesen, die Schwäche, aber auch der ewige Reiz der historischen Wissenschaft, daß hier eine rein faktische Erfahrung nicht ausreicht, daß aber auch das Urteil über die Menschen und Bestrebungen der Vergangenheit immer subjektiv von dem Geiste der Epoche gefärbt ist, in der es gefällt wird. Welche Umwandlung macht jetzt das Urteil über die französische Revolution des Jahres 1789 im allgemeinen Bewußtsein Europas durch! So geht es uns aber auch mit unsrer eignen Geschichte. Es bedarf nicht bloß mehr als eines Jahrzehnts, sondern zuweilen auch mehr als eines Jahrhunderts, um ein Urteil über historisch bedeutende Erscheinungen mit einiger Aussicht auf bleibenden Wert zu füllen. Zwei vor kurzem neu erschienene historische Romane, etwas umfänglicher Art, haben uns zu dieser Betrachtung angeregt. Es sind die Romane: Am Ausgang des Reiches von Wilhelm Imsen (2 Bde., Leipzig, Elischer, 1885) und der ausdrücklich als historischer Roman bezeichnete Fritz Kauuacher voll Arthur Ho brecht (2 Bde., Berlin, Hertz, 1885). Beide behandeln vaterländische Stoffe: Imsen führt uns in das letzte Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts, an den Hof des Kurfürsten Karl Theodor von Pfalzbaiern; Hobrecht geht noch weiter znriick in das letzte Drittel des siebzehnten Jahrhunderts, in die erste Regierungszeit des großen Kurfürsten von Brandenburg-Preußen. Es läßt sich nicht leugnen, daß die historischen Romane in der letzten Zeit merklich in der Gunst des Publikums zurückgegangen sind. Zwar werfen die Felix Dahn, Ernst Eckstein n. s. w. noch immer zu jeder Büchermesse einen neuen Roman aus der Völkerwanderung oder ans der römischen Kaiserzeit auf den Markt; aber es sind das nur noch die Nachzügler einer absterbenden Mode. Und eigentlich sind es gerade diese Archäologen, welche den historischen Roman in Verruf gebracht haben. Prinzipiell zwar sind auch wir der Meinung, daß ein wahrhaft schöpferisches Talent im Romane seine eigne Gegenwart zu zeichnen vorziehen wird; denn dies ist der wahre Beruf dieser Kunstform, und alle die unsterblichen Werke, die ihr angehören, vom Don Quixote an bis zu den Wahlverwandtschaften, alle Genies unsrer Zeit, ein Dickens, eine Elliot, ein Gottfried Keller, ein Iwan Turgenjew, sie treten für diesen Standpunkt ein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/228>, abgerufen am 05.02.2025.