Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Steinihal inn'r den Socialismus. ein andrer 3000, 5000, 16 000 Mark Gehalt. Sehen sich diese Männer als Sollte nicht vielmehr die Herabwürdigung des Menschen bei der beabsich¬ Steinihal inn'r den Socialismus. ein andrer 3000, 5000, 16 000 Mark Gehalt. Sehen sich diese Männer als Sollte nicht vielmehr die Herabwürdigung des Menschen bei der beabsich¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197634"/> <fw type="header" place="top"> Steinihal inn'r den Socialismus.</fw><lb/> <p xml:id="ID_631" prev="#ID_630"> ein andrer 3000, 5000, 16 000 Mark Gehalt. Sehen sich diese Männer als<lb/> Herabgewürdigte an? Glauben sie, daß der Staat mit dieser Gehaltszahlung<lb/> sie uach ihrem persönlichen Werte abschätze? Es ist vielmehr so, daß sie schon<lb/> jetzt glauben, der Staat und die Gesellschaft können sie garnicht bezahlen. Stein¬<lb/> thal sagt, der Arbeiter solle schon heute bedenken, daß er unbezahlbar sei, und<lb/> solle nicht denken, er sei nnr dem Preise nach nicht genug bezahlt. Aber so<lb/> denkt schon jetzt jeder Beamte mit Fug und Recht, obwohl er das jetzige Lohn-<lb/> Verhältnis billigt. Die Sache ist so, wie uns scheint, daß die von christlichen<lb/> Sozialsten energisch bekämpfte Ansicht, die Arbeit sei nur Waare, in der That<lb/> niemals eine vollständige Definition der Arbeit gewesen ist. Die Arbeit ist auch<lb/> Waare, aber sie ist mehr als Waare. Ergiebt sich die Notwendigkeit, die Arbeit,<lb/> die nach der einen Seite wirklich eine Waare ist, gegen andre nach einer Wert¬<lb/> skala abzuschätzen (und bei dieser Abschätzung wird die ideale Natur der Be¬<lb/> dürfnisse freilich an einer gewissen Unsicherheit nicht vorbeikommen), so bleibt<lb/> die andre Seite der Arbeit völlig unangetastet. Kurz, das Motiv, welches zur<lb/> Abschaffung des Preises und weiterhin des Eigentums drängen soll, lebt viel¬<lb/> leicht in dem Gefühle des einen oder andern, aber als allgemeines Erlebnis<lb/> läßt es sich nicht bezeichnen; somit wird es nicht eine allgemeine Grundlage<lb/> eines so schwierigen Neubaues der Gesellschaft abgeben können.</p><lb/> <p xml:id="ID_632" next="#ID_633"> Sollte nicht vielmehr die Herabwürdigung des Menschen bei der beabsich¬<lb/> tigten Einrichtung größer sein? Nach Steinthal giebt die Gesellschaft jedem das,<lb/> was er braucht, nicht mehr und nicht weniger. Ob er etwas leistet und wie<lb/> viel und wie gutes, ist dabei nicht entscheidend. Er soll leben, um für die<lb/> Gesellschaft gleichsam als Beamter derselben wirken zu können. Tausende von<lb/> Gesellschaftsgliedern sind thätig, bei den Einzelnen die Arbeiten, die sie natür¬<lb/> lich nach Lust, Kraft und Neigung in Fülle der Gesellschaft darbieten werden,<lb/> abzuholen und ihnen dafür die Subsistcnzmittel, die sie und die Ihrigen brauchen,<lb/> zu bringe». Wer stellt aber fest, was ich brauche? Denken wir uns, ich wollte<lb/> für meine Tochter zu ihrer musikalischen Ausbildung einen Flügel von der<lb/> Gesellschaft haben, oder ich wollte zu meiner Ausbildung eine Reise nach Rom<lb/> machen, oder mir zu meiner ästhetischen Bildung Rafaels Disputa ausbitten:<lb/> wer soll darüber entscheiden, ob ich das brauche? Wo soll ich in der soziali¬<lb/> stischen Ordnung der Gesellschaft nur den Mut hernehmen, dergleichen zu ver¬<lb/> langen? Professor Steinthal sagt, die absolute Gleichheit sei eine Thorheit,<lb/> von der sich der Sozialist freihalten müsse. „Der Schmied und der Schneider,<lb/> der Ackerbauer und der Gelehrte müssen verschieden behandelt, verschieden er¬<lb/> nährt, gekleidet, eingehaust werden." Ganz gut, aber es bleibt immer die dring¬<lb/> liche Frage übrig, wer soll das bestimmen, wie ich nach meiner Natur verschieden<lb/> behandelt werden soll, wie gekleidet und wie untergebracht? Soll das die<lb/> Gesellschaft thun? kann sie es? Ist es nicht eine traurige Unfreiheit und Herab¬<lb/> würdigung, wenn mir so alles vorgeschrieben werden darf? Vielleicht hätte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
Steinihal inn'r den Socialismus.
ein andrer 3000, 5000, 16 000 Mark Gehalt. Sehen sich diese Männer als
Herabgewürdigte an? Glauben sie, daß der Staat mit dieser Gehaltszahlung
sie uach ihrem persönlichen Werte abschätze? Es ist vielmehr so, daß sie schon
jetzt glauben, der Staat und die Gesellschaft können sie garnicht bezahlen. Stein¬
thal sagt, der Arbeiter solle schon heute bedenken, daß er unbezahlbar sei, und
solle nicht denken, er sei nnr dem Preise nach nicht genug bezahlt. Aber so
denkt schon jetzt jeder Beamte mit Fug und Recht, obwohl er das jetzige Lohn-
Verhältnis billigt. Die Sache ist so, wie uns scheint, daß die von christlichen
Sozialsten energisch bekämpfte Ansicht, die Arbeit sei nur Waare, in der That
niemals eine vollständige Definition der Arbeit gewesen ist. Die Arbeit ist auch
Waare, aber sie ist mehr als Waare. Ergiebt sich die Notwendigkeit, die Arbeit,
die nach der einen Seite wirklich eine Waare ist, gegen andre nach einer Wert¬
skala abzuschätzen (und bei dieser Abschätzung wird die ideale Natur der Be¬
dürfnisse freilich an einer gewissen Unsicherheit nicht vorbeikommen), so bleibt
die andre Seite der Arbeit völlig unangetastet. Kurz, das Motiv, welches zur
Abschaffung des Preises und weiterhin des Eigentums drängen soll, lebt viel¬
leicht in dem Gefühle des einen oder andern, aber als allgemeines Erlebnis
läßt es sich nicht bezeichnen; somit wird es nicht eine allgemeine Grundlage
eines so schwierigen Neubaues der Gesellschaft abgeben können.
Sollte nicht vielmehr die Herabwürdigung des Menschen bei der beabsich¬
tigten Einrichtung größer sein? Nach Steinthal giebt die Gesellschaft jedem das,
was er braucht, nicht mehr und nicht weniger. Ob er etwas leistet und wie
viel und wie gutes, ist dabei nicht entscheidend. Er soll leben, um für die
Gesellschaft gleichsam als Beamter derselben wirken zu können. Tausende von
Gesellschaftsgliedern sind thätig, bei den Einzelnen die Arbeiten, die sie natür¬
lich nach Lust, Kraft und Neigung in Fülle der Gesellschaft darbieten werden,
abzuholen und ihnen dafür die Subsistcnzmittel, die sie und die Ihrigen brauchen,
zu bringe». Wer stellt aber fest, was ich brauche? Denken wir uns, ich wollte
für meine Tochter zu ihrer musikalischen Ausbildung einen Flügel von der
Gesellschaft haben, oder ich wollte zu meiner Ausbildung eine Reise nach Rom
machen, oder mir zu meiner ästhetischen Bildung Rafaels Disputa ausbitten:
wer soll darüber entscheiden, ob ich das brauche? Wo soll ich in der soziali¬
stischen Ordnung der Gesellschaft nur den Mut hernehmen, dergleichen zu ver¬
langen? Professor Steinthal sagt, die absolute Gleichheit sei eine Thorheit,
von der sich der Sozialist freihalten müsse. „Der Schmied und der Schneider,
der Ackerbauer und der Gelehrte müssen verschieden behandelt, verschieden er¬
nährt, gekleidet, eingehaust werden." Ganz gut, aber es bleibt immer die dring¬
liche Frage übrig, wer soll das bestimmen, wie ich nach meiner Natur verschieden
behandelt werden soll, wie gekleidet und wie untergebracht? Soll das die
Gesellschaft thun? kann sie es? Ist es nicht eine traurige Unfreiheit und Herab¬
würdigung, wenn mir so alles vorgeschrieben werden darf? Vielleicht hätte
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