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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Steinthal über den Sozialismus,

Das spannt unsre Erwartung von dem Exkurs ziemlich hoch. Indes thun
wir gut, keine aufregenden Darstellungen bei ihm zu erwarten; er ist Philosoph,
und in einer allgemeinen Ethik hat er das Recht und die formale Pflicht, den
Gegenstand nur so weit zu verfolgen, daß die Grundzüge klar werden. Wir
dürfen es daher nicht tadeln, wenn er zuweilen einen Gedanken da abbricht,
wo er für den Kenner erst recht anfängt, interessant zu werden. In diese Grund-
züge des Sozialismus wollen wir denn auch zunächst eindringen und den eigen¬
tümlichen Sozialismus, wie ihn Steinthal ethisch konstruirt und heranwünscht,
zu verstehen suchen.

Die Hauptsache des Sozialismus ist ihm, daß "der Marktpreis getilgt und
lediglich der Wert hervorgekehrt werde." Das ist noch dunkel. In dem Markt¬
preise, der aus drei Momenten, dein Stoff an sich, dessen Herbeischaffung und
der Menschen-Arbeitskraft, bestehen soll, sieht Steinthal eine Würdelosigteit der
Betrachtung. "Der Mensch wird entwürdigt, wenn seine Arbeitskraft mechanisch
wie eine Sache im Preise abgeschätzt und bezahlt wird; darüber wird der über
allen Preis erhabne Wert des sittlichen Menschen vergessen." Denn Steinthal
sagt: der Wert wird niemals bezahlt; wie er aus der Idee stammt, nur idealen
Sinn hat, so kann er nur ideal "verdankt" werden. Der Preis ist lediglich
das Erzeugnis einer Verlegenheit infolge des Eigentumsrechtes. Der Menfch
erniedrigt sich dazu, seine Kraft als bloß mechanische Kraft nach dem Preise
abschätzen zu lassen, weil er eines Dinges bedürftig ist, das sich im Besitze eines
andern befindet und das er nur durch Tausch erlangen kann. Diese Erniedrigung
der Menschenwürde wird aufhören, wenn nach Aufhebung des bisherigen Eigen¬
tumsrechtes dem Menschen alles, dessen er bedarf, gesichert sein wird. Dann
wird die menschliche Arbeit ethisch gewürdigt wie vollzogen sein, als Aufopferung
der Einzelkraft für die Gesamtheit.

Der sogenannte Kollektivstaat mit seiner Abschätzung der Arbeitszeit und
Bezahlung durch Magazinanweisungen würde nach Steinthal nicht besser sein
als die jetzige Einrichtung. Es würde immer der Preis in Betracht kommen,
und dieser soll nach seiner Ansicht völlig schwinden. "Jeder Bürger erhält von
der Gesellschaft an Nahrung, Kleidung, Wohnung genau so viel, als er braucht,
nicht mehr und nicht weniger, und zwar garnicht als Preis und Lohn für
seine Arbeit, sondern lediglich zur Erhaltung seines Lebens im Dienste der Ge¬
sellschaft. Ob er durch seine Geschicklichkeit bessere Werke und obendrein noch
mehr liefert als alle andern: er erhält darum nicht mehr als diese, der eine wie
der andre wird kurzweg erhalten." Er begnügt sich für seine höhere Arbeitsleistung
mit der Anerkennung, die ihm zu Teil wird, mit einem idealen Lohne also.

Bleiben wir hier einen Augenblick stehen. Fragen wir, ob wir so etwas
in uns erlebt haben, wie es hier von dem Herabwürdigen des Menschen durch
den Preis seiner Leistung gelehrt wird. Nehmen wir einen Beamten an, der
schon jetzt im Dienste der Gesellschaft arbeitet. Der eine erhält 1000 Mark,


Grenzboten I. 1886. 26
Steinthal über den Sozialismus,

Das spannt unsre Erwartung von dem Exkurs ziemlich hoch. Indes thun
wir gut, keine aufregenden Darstellungen bei ihm zu erwarten; er ist Philosoph,
und in einer allgemeinen Ethik hat er das Recht und die formale Pflicht, den
Gegenstand nur so weit zu verfolgen, daß die Grundzüge klar werden. Wir
dürfen es daher nicht tadeln, wenn er zuweilen einen Gedanken da abbricht,
wo er für den Kenner erst recht anfängt, interessant zu werden. In diese Grund-
züge des Sozialismus wollen wir denn auch zunächst eindringen und den eigen¬
tümlichen Sozialismus, wie ihn Steinthal ethisch konstruirt und heranwünscht,
zu verstehen suchen.

Die Hauptsache des Sozialismus ist ihm, daß „der Marktpreis getilgt und
lediglich der Wert hervorgekehrt werde." Das ist noch dunkel. In dem Markt¬
preise, der aus drei Momenten, dein Stoff an sich, dessen Herbeischaffung und
der Menschen-Arbeitskraft, bestehen soll, sieht Steinthal eine Würdelosigteit der
Betrachtung. „Der Mensch wird entwürdigt, wenn seine Arbeitskraft mechanisch
wie eine Sache im Preise abgeschätzt und bezahlt wird; darüber wird der über
allen Preis erhabne Wert des sittlichen Menschen vergessen." Denn Steinthal
sagt: der Wert wird niemals bezahlt; wie er aus der Idee stammt, nur idealen
Sinn hat, so kann er nur ideal „verdankt" werden. Der Preis ist lediglich
das Erzeugnis einer Verlegenheit infolge des Eigentumsrechtes. Der Menfch
erniedrigt sich dazu, seine Kraft als bloß mechanische Kraft nach dem Preise
abschätzen zu lassen, weil er eines Dinges bedürftig ist, das sich im Besitze eines
andern befindet und das er nur durch Tausch erlangen kann. Diese Erniedrigung
der Menschenwürde wird aufhören, wenn nach Aufhebung des bisherigen Eigen¬
tumsrechtes dem Menschen alles, dessen er bedarf, gesichert sein wird. Dann
wird die menschliche Arbeit ethisch gewürdigt wie vollzogen sein, als Aufopferung
der Einzelkraft für die Gesamtheit.

Der sogenannte Kollektivstaat mit seiner Abschätzung der Arbeitszeit und
Bezahlung durch Magazinanweisungen würde nach Steinthal nicht besser sein
als die jetzige Einrichtung. Es würde immer der Preis in Betracht kommen,
und dieser soll nach seiner Ansicht völlig schwinden. „Jeder Bürger erhält von
der Gesellschaft an Nahrung, Kleidung, Wohnung genau so viel, als er braucht,
nicht mehr und nicht weniger, und zwar garnicht als Preis und Lohn für
seine Arbeit, sondern lediglich zur Erhaltung seines Lebens im Dienste der Ge¬
sellschaft. Ob er durch seine Geschicklichkeit bessere Werke und obendrein noch
mehr liefert als alle andern: er erhält darum nicht mehr als diese, der eine wie
der andre wird kurzweg erhalten." Er begnügt sich für seine höhere Arbeitsleistung
mit der Anerkennung, die ihm zu Teil wird, mit einem idealen Lohne also.

Bleiben wir hier einen Augenblick stehen. Fragen wir, ob wir so etwas
in uns erlebt haben, wie es hier von dem Herabwürdigen des Menschen durch
den Preis seiner Leistung gelehrt wird. Nehmen wir einen Beamten an, der
schon jetzt im Dienste der Gesellschaft arbeitet. Der eine erhält 1000 Mark,


Grenzboten I. 1886. 26
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[0209] Steinthal über den Sozialismus, Das spannt unsre Erwartung von dem Exkurs ziemlich hoch. Indes thun wir gut, keine aufregenden Darstellungen bei ihm zu erwarten; er ist Philosoph, und in einer allgemeinen Ethik hat er das Recht und die formale Pflicht, den Gegenstand nur so weit zu verfolgen, daß die Grundzüge klar werden. Wir dürfen es daher nicht tadeln, wenn er zuweilen einen Gedanken da abbricht, wo er für den Kenner erst recht anfängt, interessant zu werden. In diese Grund- züge des Sozialismus wollen wir denn auch zunächst eindringen und den eigen¬ tümlichen Sozialismus, wie ihn Steinthal ethisch konstruirt und heranwünscht, zu verstehen suchen. Die Hauptsache des Sozialismus ist ihm, daß „der Marktpreis getilgt und lediglich der Wert hervorgekehrt werde." Das ist noch dunkel. In dem Markt¬ preise, der aus drei Momenten, dein Stoff an sich, dessen Herbeischaffung und der Menschen-Arbeitskraft, bestehen soll, sieht Steinthal eine Würdelosigteit der Betrachtung. „Der Mensch wird entwürdigt, wenn seine Arbeitskraft mechanisch wie eine Sache im Preise abgeschätzt und bezahlt wird; darüber wird der über allen Preis erhabne Wert des sittlichen Menschen vergessen." Denn Steinthal sagt: der Wert wird niemals bezahlt; wie er aus der Idee stammt, nur idealen Sinn hat, so kann er nur ideal „verdankt" werden. Der Preis ist lediglich das Erzeugnis einer Verlegenheit infolge des Eigentumsrechtes. Der Menfch erniedrigt sich dazu, seine Kraft als bloß mechanische Kraft nach dem Preise abschätzen zu lassen, weil er eines Dinges bedürftig ist, das sich im Besitze eines andern befindet und das er nur durch Tausch erlangen kann. Diese Erniedrigung der Menschenwürde wird aufhören, wenn nach Aufhebung des bisherigen Eigen¬ tumsrechtes dem Menschen alles, dessen er bedarf, gesichert sein wird. Dann wird die menschliche Arbeit ethisch gewürdigt wie vollzogen sein, als Aufopferung der Einzelkraft für die Gesamtheit. Der sogenannte Kollektivstaat mit seiner Abschätzung der Arbeitszeit und Bezahlung durch Magazinanweisungen würde nach Steinthal nicht besser sein als die jetzige Einrichtung. Es würde immer der Preis in Betracht kommen, und dieser soll nach seiner Ansicht völlig schwinden. „Jeder Bürger erhält von der Gesellschaft an Nahrung, Kleidung, Wohnung genau so viel, als er braucht, nicht mehr und nicht weniger, und zwar garnicht als Preis und Lohn für seine Arbeit, sondern lediglich zur Erhaltung seines Lebens im Dienste der Ge¬ sellschaft. Ob er durch seine Geschicklichkeit bessere Werke und obendrein noch mehr liefert als alle andern: er erhält darum nicht mehr als diese, der eine wie der andre wird kurzweg erhalten." Er begnügt sich für seine höhere Arbeitsleistung mit der Anerkennung, die ihm zu Teil wird, mit einem idealen Lohne also. Bleiben wir hier einen Augenblick stehen. Fragen wir, ob wir so etwas in uns erlebt haben, wie es hier von dem Herabwürdigen des Menschen durch den Preis seiner Leistung gelehrt wird. Nehmen wir einen Beamten an, der schon jetzt im Dienste der Gesellschaft arbeitet. Der eine erhält 1000 Mark, Grenzboten I. 1886. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/209>, abgerufen am 05.02.2025.