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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Der Iunstenstand und das öffentliche Recht.

Solchen Fragen gegenüber steht der unter dem jetzigen System gebildete Jurist
und Verwaltungsbeamte geradezu ratlos gegenüber. Es kommen die wunder¬
barsten Erscheinungen zutage; schon die Frage, ob und wie ein fremdes Urteil
im deutschen Reiche oder ein deutsches Urteil im Auslande zur Vollstreckung
gelangen könne, vermag immer nur nach eingeholter Auskunft bei der^Zentral¬
stelle gelöst zu werden, und auch dann findet der eingeholte Bescheid nicht
immer die richtige Anwendung. Nicht selten wollen die Gerichte Fragen des
internationalen Rechtes, die sie in ihrer Zuständigkeit zu entscheiden haben, ledig¬
lich der obersten Zentralbehörde überlassen, und erst diese muß ihnen sagen,
daß ein Eingriff der Verwaltung in die Rechtspflege nicht gestattet sei. Welche
Zuständigkeit den Vertretern des Reiches im Auslande zukommt, ob ein Konsul
in seinem Gebiete Gerichtsbarkeit habe oder nicht, ist für die Mehrzahl der
Juristen so gut wie eine tsrrg. invossnit-g,, und Fragen, die sich hierauf beziehen,
bedürfen zur Bescheidung bei den Zentralbehörden eine bedeutende Anzahl von
Arbeitskräften.

Aber auch das Privatrecht ist heutzutage mit so viele" Beziehungen zu
dem öffentlichen Rechte durchsetzt, daß eine genaue Kenntnis desselben nicht zu
entbehren ist. Für den Mann aus dem Volke ist es unmöglich, sich hier zurecht¬
zufinden; will er sich aber Rats erholen, so wird er bei den Nechtsbeistünden
oft vergeblich an die Thür klopfen. Höchstens daß sich in der Residenz oder
in den großen Verkehrszentren ein Spezicllist findet, der ihm Auskunft zu er¬
teilen vermag, aber, wie dies vielfach bei Spezialisten der Fall ist, der Ein¬
seitigkeit verfällt und sofort strauchelt, wenn er sich nur mit einem Fuße aus
seinem engen Kreise herausbewegt. Hat aber der Richter einmal einen Prozeß
zu entscheiden, dessen Grundgedanke ans dem öffentlichen Rechte beruht, dann
treten Entscheidungen hervor, welche nach vielen Richtungen Widerspruch er¬
rege". Es ist i" diesen Blättern schon vielfach Klage darüber geführt worden,
daß bei sogenannten og.u"o8 völübrg" den Gerichten der höhere Gesichtspunkt
verloren gegangen sei. Beleidigungen des Reichskanzlers und der höchsten Auto¬
ritäten im Staate werden oft mit so geringen Strafen geahndet, daß die letztern
gänzlich ihre Wirkung verfehlen und die Achtung vor der Obrigkeit, statt durch
das richterliche Urteil geschützt zu werden, vielmehr durch dasselbe eine Schwächung
erleidet. Motive politischer Gegnerschaft oder die Periode des Wahlkampfes
werden schon für hinreichend erklärt, um für schwere Ehrenkränkungen Mildc-
rungsgründe gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Ja es kommt vor, daß in dem
richterlichen Urteile die Staatsakte der Regierung selbst einer Kritik unterzöget!
werden, die sich mehr auf die Seite des Beleidigers stellt.

Es mag Sache der Parteiblätter sein, noch nicht rechtskräftig gewordene
Entscheidungen der Gerichte einer abfälligen oder zustimmenden Besprechung zu
unterziehen. Deshalb soll hier ans die sogenannten Diätenprvzesse des preußi¬
schen Fiskus nicht näher eingegangen werden. Aber man muß doch füglich ver-


Der Iunstenstand und das öffentliche Recht.

Solchen Fragen gegenüber steht der unter dem jetzigen System gebildete Jurist
und Verwaltungsbeamte geradezu ratlos gegenüber. Es kommen die wunder¬
barsten Erscheinungen zutage; schon die Frage, ob und wie ein fremdes Urteil
im deutschen Reiche oder ein deutsches Urteil im Auslande zur Vollstreckung
gelangen könne, vermag immer nur nach eingeholter Auskunft bei der^Zentral¬
stelle gelöst zu werden, und auch dann findet der eingeholte Bescheid nicht
immer die richtige Anwendung. Nicht selten wollen die Gerichte Fragen des
internationalen Rechtes, die sie in ihrer Zuständigkeit zu entscheiden haben, ledig¬
lich der obersten Zentralbehörde überlassen, und erst diese muß ihnen sagen,
daß ein Eingriff der Verwaltung in die Rechtspflege nicht gestattet sei. Welche
Zuständigkeit den Vertretern des Reiches im Auslande zukommt, ob ein Konsul
in seinem Gebiete Gerichtsbarkeit habe oder nicht, ist für die Mehrzahl der
Juristen so gut wie eine tsrrg. invossnit-g,, und Fragen, die sich hierauf beziehen,
bedürfen zur Bescheidung bei den Zentralbehörden eine bedeutende Anzahl von
Arbeitskräften.

Aber auch das Privatrecht ist heutzutage mit so viele» Beziehungen zu
dem öffentlichen Rechte durchsetzt, daß eine genaue Kenntnis desselben nicht zu
entbehren ist. Für den Mann aus dem Volke ist es unmöglich, sich hier zurecht¬
zufinden; will er sich aber Rats erholen, so wird er bei den Nechtsbeistünden
oft vergeblich an die Thür klopfen. Höchstens daß sich in der Residenz oder
in den großen Verkehrszentren ein Spezicllist findet, der ihm Auskunft zu er¬
teilen vermag, aber, wie dies vielfach bei Spezialisten der Fall ist, der Ein¬
seitigkeit verfällt und sofort strauchelt, wenn er sich nur mit einem Fuße aus
seinem engen Kreise herausbewegt. Hat aber der Richter einmal einen Prozeß
zu entscheiden, dessen Grundgedanke ans dem öffentlichen Rechte beruht, dann
treten Entscheidungen hervor, welche nach vielen Richtungen Widerspruch er¬
rege». Es ist i» diesen Blättern schon vielfach Klage darüber geführt worden,
daß bei sogenannten og.u«o8 völübrg« den Gerichten der höhere Gesichtspunkt
verloren gegangen sei. Beleidigungen des Reichskanzlers und der höchsten Auto¬
ritäten im Staate werden oft mit so geringen Strafen geahndet, daß die letztern
gänzlich ihre Wirkung verfehlen und die Achtung vor der Obrigkeit, statt durch
das richterliche Urteil geschützt zu werden, vielmehr durch dasselbe eine Schwächung
erleidet. Motive politischer Gegnerschaft oder die Periode des Wahlkampfes
werden schon für hinreichend erklärt, um für schwere Ehrenkränkungen Mildc-
rungsgründe gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Ja es kommt vor, daß in dem
richterlichen Urteile die Staatsakte der Regierung selbst einer Kritik unterzöget!
werden, die sich mehr auf die Seite des Beleidigers stellt.

Es mag Sache der Parteiblätter sein, noch nicht rechtskräftig gewordene
Entscheidungen der Gerichte einer abfälligen oder zustimmenden Besprechung zu
unterziehen. Deshalb soll hier ans die sogenannten Diätenprvzesse des preußi¬
schen Fiskus nicht näher eingegangen werden. Aber man muß doch füglich ver-


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[0114] Der Iunstenstand und das öffentliche Recht. Solchen Fragen gegenüber steht der unter dem jetzigen System gebildete Jurist und Verwaltungsbeamte geradezu ratlos gegenüber. Es kommen die wunder¬ barsten Erscheinungen zutage; schon die Frage, ob und wie ein fremdes Urteil im deutschen Reiche oder ein deutsches Urteil im Auslande zur Vollstreckung gelangen könne, vermag immer nur nach eingeholter Auskunft bei der^Zentral¬ stelle gelöst zu werden, und auch dann findet der eingeholte Bescheid nicht immer die richtige Anwendung. Nicht selten wollen die Gerichte Fragen des internationalen Rechtes, die sie in ihrer Zuständigkeit zu entscheiden haben, ledig¬ lich der obersten Zentralbehörde überlassen, und erst diese muß ihnen sagen, daß ein Eingriff der Verwaltung in die Rechtspflege nicht gestattet sei. Welche Zuständigkeit den Vertretern des Reiches im Auslande zukommt, ob ein Konsul in seinem Gebiete Gerichtsbarkeit habe oder nicht, ist für die Mehrzahl der Juristen so gut wie eine tsrrg. invossnit-g,, und Fragen, die sich hierauf beziehen, bedürfen zur Bescheidung bei den Zentralbehörden eine bedeutende Anzahl von Arbeitskräften. Aber auch das Privatrecht ist heutzutage mit so viele» Beziehungen zu dem öffentlichen Rechte durchsetzt, daß eine genaue Kenntnis desselben nicht zu entbehren ist. Für den Mann aus dem Volke ist es unmöglich, sich hier zurecht¬ zufinden; will er sich aber Rats erholen, so wird er bei den Nechtsbeistünden oft vergeblich an die Thür klopfen. Höchstens daß sich in der Residenz oder in den großen Verkehrszentren ein Spezicllist findet, der ihm Auskunft zu er¬ teilen vermag, aber, wie dies vielfach bei Spezialisten der Fall ist, der Ein¬ seitigkeit verfällt und sofort strauchelt, wenn er sich nur mit einem Fuße aus seinem engen Kreise herausbewegt. Hat aber der Richter einmal einen Prozeß zu entscheiden, dessen Grundgedanke ans dem öffentlichen Rechte beruht, dann treten Entscheidungen hervor, welche nach vielen Richtungen Widerspruch er¬ rege». Es ist i» diesen Blättern schon vielfach Klage darüber geführt worden, daß bei sogenannten og.u«o8 völübrg« den Gerichten der höhere Gesichtspunkt verloren gegangen sei. Beleidigungen des Reichskanzlers und der höchsten Auto¬ ritäten im Staate werden oft mit so geringen Strafen geahndet, daß die letztern gänzlich ihre Wirkung verfehlen und die Achtung vor der Obrigkeit, statt durch das richterliche Urteil geschützt zu werden, vielmehr durch dasselbe eine Schwächung erleidet. Motive politischer Gegnerschaft oder die Periode des Wahlkampfes werden schon für hinreichend erklärt, um für schwere Ehrenkränkungen Mildc- rungsgründe gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Ja es kommt vor, daß in dem richterlichen Urteile die Staatsakte der Regierung selbst einer Kritik unterzöget! werden, die sich mehr auf die Seite des Beleidigers stellt. Es mag Sache der Parteiblätter sein, noch nicht rechtskräftig gewordene Entscheidungen der Gerichte einer abfälligen oder zustimmenden Besprechung zu unterziehen. Deshalb soll hier ans die sogenannten Diätenprvzesse des preußi¬ schen Fiskus nicht näher eingegangen werden. Aber man muß doch füglich ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/114>, abgerufen am 05.02.2025.