Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.gelangen, wenn nicht der Beruf der Kandidaten, sondern derjenige der Wähler Der Zweifel, ob eine solche von einer andern Berufsklasse gewählte Per¬ Wenn dieses letztere System zur Verwendung gelangte, so würde der gegen¬ Die mächtige Gruppe der Beamten, Juristen, Gelehrten ?c., welche im gegen¬ Man darf mit Recht die Frage aufwerfen, ob eine in dieser Weise zu¬ gelangen, wenn nicht der Beruf der Kandidaten, sondern derjenige der Wähler Der Zweifel, ob eine solche von einer andern Berufsklasse gewählte Per¬ Wenn dieses letztere System zur Verwendung gelangte, so würde der gegen¬ Die mächtige Gruppe der Beamten, Juristen, Gelehrten ?c., welche im gegen¬ Man darf mit Recht die Frage aufwerfen, ob eine in dieser Weise zu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/196821"/> <p xml:id="ID_218" prev="#ID_217"> gelangen, wenn nicht der Beruf der Kandidaten, sondern derjenige der Wähler<lb/> den Ausgangspunkt des neuen Systems bildet. Glauben diese Wähler in dem<lb/> Mitgliede einer andern Berufsklasse eine Persönlichkeit zu entdecken, welche mit<lb/> ihren Bedürfnissen und Forderungen genügend vertraut und gewillt ist, die<lb/> Wünsche der Mandanten im Parlamente nachdrücklichst zur Geltung zu bringen,<lb/> so ist diese Persönlichkeit eben ihr Vertreter.</p><lb/> <p xml:id="ID_219"> Der Zweifel, ob eine solche von einer andern Berufsklasse gewählte Per¬<lb/> sönlichkeit selbstlos und objektiv genug wäre, um die Interessen einer ihr fremden<lb/> Berufsklasse neben den oder gegen die Interessen des eignen Standes ge¬<lb/> nügend wahrzunehmen, könnte eventuell zur Annahme des zweiten Wahlmodus<lb/> führen, welcher für die Kandidatur die Mitgliedschaft in der Berufsklasfe vor¬<lb/> aussetzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_220"> Wenn dieses letztere System zur Verwendung gelangte, so würde der gegen¬<lb/> wärtige Charakter der parlamentarischen Versammlung allerdings eine außer¬<lb/> ordentliche Umwandlung erfahren. Ein Blick auf die Kolumnen IV und V der<lb/> obigen Tabelle wird dies deutlich erkennen lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_221"> Die mächtige Gruppe der Beamten, Juristen, Gelehrten ?c., welche im gegen¬<lb/> wärtigen Reichstage die weitaus stärkste ist und in gewissem Sinne die wissen¬<lb/> schaftlich gebildeten Stände des Landes reprcisentirt, würde sich nahezu auflösen<lb/> und anstatt 172 nur 13 Mitglieder zählen. Diese fünfte Kategorie wie die<lb/> sechste der Rentner, Pensionäre und andern Berufslosen müßten 173 Sitze an<lb/> die andern vier Berufsverbände abgeben. Von diesen würde der vierte überhaupt<lb/> zum erstenmale dnrch eigne Mitglieder vertreten sein, und die stärkste Vermehrung<lb/> würde der industriellen Vertretung zufallen, welche 102 neue Sitze gewänne.<lb/> Demnächst würde der Handel die Zahl seiner Vertreter fast um das doppelte ver¬<lb/> mehrt sehen, während die Landwirtschaft den verhältnismäßig geringsten Stimmen¬<lb/> zuwachs erhielte.</p><lb/> <p xml:id="ID_222" next="#ID_223"> Man darf mit Recht die Frage aufwerfen, ob eine in dieser Weise zu¬<lb/> sammengesetzte Versammlung noch diejenigen wissenschaftlich und politisch ge¬<lb/> bildeten Elemente enthalten würde, deren Führerschaft oder doch Mitwirkung<lb/> eine gesetzgebende Körperschaft nicht entbehren kann. Namentlich wird die fast<lb/> vollständige Ausmerzung der Vertreter derjenigen Stände Befremden erregen,<lb/> denen man eine gründliche Durchbildung, politische Reife und weiteren Überblick<lb/> über die verschiednen Gestaltungen des Staatswesens am ehesten zutraut. Staats¬<lb/> und Kommunalbeamte, alle wissenschaftlichen Berufszweige, Ärzte, Anwälte und<lb/> die Geistlichkeit aller Konfessionen würden insgesamt nur durch 13 Mitglieder<lb/> vertreten sein, und alles dies sind Stunde, in denen der Schwerpunkt der Be¬<lb/> rufsthätigkeit weit weniger in der Gewinnung materieller Güter für eigne Rech¬<lb/> nung liegt, als in der Ausübung gemeinnütziger Thätigkeit. Man könnte ohne<lb/> Bedauern die Zahl der jetzt im Parlamentsleben so überaus rührigen Juristen<lb/> und Professoren reduzirt sehen; die fast vollständige Verdrängung dieser Be-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0087]
gelangen, wenn nicht der Beruf der Kandidaten, sondern derjenige der Wähler
den Ausgangspunkt des neuen Systems bildet. Glauben diese Wähler in dem
Mitgliede einer andern Berufsklasse eine Persönlichkeit zu entdecken, welche mit
ihren Bedürfnissen und Forderungen genügend vertraut und gewillt ist, die
Wünsche der Mandanten im Parlamente nachdrücklichst zur Geltung zu bringen,
so ist diese Persönlichkeit eben ihr Vertreter.
Der Zweifel, ob eine solche von einer andern Berufsklasse gewählte Per¬
sönlichkeit selbstlos und objektiv genug wäre, um die Interessen einer ihr fremden
Berufsklasse neben den oder gegen die Interessen des eignen Standes ge¬
nügend wahrzunehmen, könnte eventuell zur Annahme des zweiten Wahlmodus
führen, welcher für die Kandidatur die Mitgliedschaft in der Berufsklasfe vor¬
aussetzt.
Wenn dieses letztere System zur Verwendung gelangte, so würde der gegen¬
wärtige Charakter der parlamentarischen Versammlung allerdings eine außer¬
ordentliche Umwandlung erfahren. Ein Blick auf die Kolumnen IV und V der
obigen Tabelle wird dies deutlich erkennen lassen.
Die mächtige Gruppe der Beamten, Juristen, Gelehrten ?c., welche im gegen¬
wärtigen Reichstage die weitaus stärkste ist und in gewissem Sinne die wissen¬
schaftlich gebildeten Stände des Landes reprcisentirt, würde sich nahezu auflösen
und anstatt 172 nur 13 Mitglieder zählen. Diese fünfte Kategorie wie die
sechste der Rentner, Pensionäre und andern Berufslosen müßten 173 Sitze an
die andern vier Berufsverbände abgeben. Von diesen würde der vierte überhaupt
zum erstenmale dnrch eigne Mitglieder vertreten sein, und die stärkste Vermehrung
würde der industriellen Vertretung zufallen, welche 102 neue Sitze gewänne.
Demnächst würde der Handel die Zahl seiner Vertreter fast um das doppelte ver¬
mehrt sehen, während die Landwirtschaft den verhältnismäßig geringsten Stimmen¬
zuwachs erhielte.
Man darf mit Recht die Frage aufwerfen, ob eine in dieser Weise zu¬
sammengesetzte Versammlung noch diejenigen wissenschaftlich und politisch ge¬
bildeten Elemente enthalten würde, deren Führerschaft oder doch Mitwirkung
eine gesetzgebende Körperschaft nicht entbehren kann. Namentlich wird die fast
vollständige Ausmerzung der Vertreter derjenigen Stände Befremden erregen,
denen man eine gründliche Durchbildung, politische Reife und weiteren Überblick
über die verschiednen Gestaltungen des Staatswesens am ehesten zutraut. Staats¬
und Kommunalbeamte, alle wissenschaftlichen Berufszweige, Ärzte, Anwälte und
die Geistlichkeit aller Konfessionen würden insgesamt nur durch 13 Mitglieder
vertreten sein, und alles dies sind Stunde, in denen der Schwerpunkt der Be¬
rufsthätigkeit weit weniger in der Gewinnung materieller Güter für eigne Rech¬
nung liegt, als in der Ausübung gemeinnütziger Thätigkeit. Man könnte ohne
Bedauern die Zahl der jetzt im Parlamentsleben so überaus rührigen Juristen
und Professoren reduzirt sehen; die fast vollständige Verdrängung dieser Be-
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