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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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wie das Dichten das ausschließliche Gebiet des Dichters ist, so wenig ist die
Farbe das ausschließliche Gebiet der Malerei. Ja das Wechselverhältnis der
Künste ist derart eigentümlich verwandt, daß selbst dort, wo sich die Künste in
ihren gegenseitigen Vorzügen auszuschließen scheinen, wie z, B. die Musik auf
Farbe, die Malerei auf musikalischen Ton verzichten muß, gerade eine desto
größere Verwandtschaft hinsichtlich der Wirkung auf die Gemütsstimmung statt¬
finden kann, und, insofern nun doch alle Kunst außer dem direkten Sinnen¬
eindruck eine Wirkung auf die Phantasie auszuüben strebt, ja dieser Phantasie¬
eindruck nicht am wenigsten eine Hauptsache bei ihr darstellt, sind dann gerade
solche entgegengesetzte Künste doch wieder nahestehend in ihrem speziellen Vor¬
zuge. Dies hat man ja längst erkannt, und schon der gewöhnliche Sprach¬
gebrauch, welcher von Farbenton und Kaugfarbe spricht, drückt es aus, daß eine
solche Verwandtschaft zwischen Farbe und Musik bestehe.

Es hat nun freilich Ästhetiker gegeben, welche die entgegenstehende Ansicht,
als ob es ein solches ausschließliches Gebiet gebe, über welches hinaus sich eine
Kunst ebensowenig wagen dürfe, wie sie einer andern Kunst gestatten dürfe, sich
desselben Vorzuges bedienen zu wollen, in schroffster Einseitigkeit durchzuführen
versuchten. Diese stellten dann unter anderm die Farbe als das ausschließliche
Gebiet der Malerei hin, auf welche namentlich Plastik und Architektur keine
Ansprüche Hütten. Dem stand nun schon die einfache Thatsache entgegen, daß
doch auch der Stein, das Metall, das Holz u. s. w., dessen sich Plastik und
Architektur bedienen, an sich schon Farbe hat, daß etwas Farbloses in der
Körperwelt überhaupt nicht existirt, daß man also höchstens die Vielfarbigkcit,
mit nichten aber auch die Einfarbigkeit diesen Künsten verwehren kann. Aber
es standen dem auch die alten Griechen, ans welche man sich gern berief, und
mit ihnen die kunstgeschichtlichen Thatsachen entgegen. Der reine Weiße Marmor
war sür den Süden etwas ähnliches wie das Schwarz der spezifisch modernen
nordischen Tracht für die nordische Kunstweise. Die Not wurde zur Tugend.
Man entdeckte im Süden, daß Weiß, im Norden, daß Schwarz auch eine Farbe
sei, welche gerade die feinste Farbenabstufung gestatte.

Kurz, der Satz, daß "uur das die Bestimmung einer Kunst sein könne,
wozu sie einzig und allein geschickt ist und das nicht eine andre Kunst ebenso¬
gut, wenn nicht besser könne als sie" (Lessing), kann praktisch nur den Sinn
haben, daß jede Kunst uur eine ihr speziell eigentümliche Kombination von Vor¬
zügen gestattet, während an den Einzclvorzügen auch andre Künste, ja in ge¬
wissem Sinne alle Künste, nur mit Unterschied, Teil haben.

Ich habe diesen Gesichtspunkt als den, wie ich glaube, einzig richtigen, aus
welchem Lessings "Laokoon" zu verstehen, weiterzubilden, eventuell auch zu berich¬
tigen sei, schon 1875 in meinen "Kritischen Kunststudien" (Münster, Adolph
Rüssel) näher auszuführen versucht. Man hat mir dies bestritten, während es
doch wohl evident sein dürfte, weil es handgreifliche Thatsache ist. Auch hat


wie das Dichten das ausschließliche Gebiet des Dichters ist, so wenig ist die
Farbe das ausschließliche Gebiet der Malerei. Ja das Wechselverhältnis der
Künste ist derart eigentümlich verwandt, daß selbst dort, wo sich die Künste in
ihren gegenseitigen Vorzügen auszuschließen scheinen, wie z, B. die Musik auf
Farbe, die Malerei auf musikalischen Ton verzichten muß, gerade eine desto
größere Verwandtschaft hinsichtlich der Wirkung auf die Gemütsstimmung statt¬
finden kann, und, insofern nun doch alle Kunst außer dem direkten Sinnen¬
eindruck eine Wirkung auf die Phantasie auszuüben strebt, ja dieser Phantasie¬
eindruck nicht am wenigsten eine Hauptsache bei ihr darstellt, sind dann gerade
solche entgegengesetzte Künste doch wieder nahestehend in ihrem speziellen Vor¬
zuge. Dies hat man ja längst erkannt, und schon der gewöhnliche Sprach¬
gebrauch, welcher von Farbenton und Kaugfarbe spricht, drückt es aus, daß eine
solche Verwandtschaft zwischen Farbe und Musik bestehe.

Es hat nun freilich Ästhetiker gegeben, welche die entgegenstehende Ansicht,
als ob es ein solches ausschließliches Gebiet gebe, über welches hinaus sich eine
Kunst ebensowenig wagen dürfe, wie sie einer andern Kunst gestatten dürfe, sich
desselben Vorzuges bedienen zu wollen, in schroffster Einseitigkeit durchzuführen
versuchten. Diese stellten dann unter anderm die Farbe als das ausschließliche
Gebiet der Malerei hin, auf welche namentlich Plastik und Architektur keine
Ansprüche Hütten. Dem stand nun schon die einfache Thatsache entgegen, daß
doch auch der Stein, das Metall, das Holz u. s. w., dessen sich Plastik und
Architektur bedienen, an sich schon Farbe hat, daß etwas Farbloses in der
Körperwelt überhaupt nicht existirt, daß man also höchstens die Vielfarbigkcit,
mit nichten aber auch die Einfarbigkeit diesen Künsten verwehren kann. Aber
es standen dem auch die alten Griechen, ans welche man sich gern berief, und
mit ihnen die kunstgeschichtlichen Thatsachen entgegen. Der reine Weiße Marmor
war sür den Süden etwas ähnliches wie das Schwarz der spezifisch modernen
nordischen Tracht für die nordische Kunstweise. Die Not wurde zur Tugend.
Man entdeckte im Süden, daß Weiß, im Norden, daß Schwarz auch eine Farbe
sei, welche gerade die feinste Farbenabstufung gestatte.

Kurz, der Satz, daß „uur das die Bestimmung einer Kunst sein könne,
wozu sie einzig und allein geschickt ist und das nicht eine andre Kunst ebenso¬
gut, wenn nicht besser könne als sie" (Lessing), kann praktisch nur den Sinn
haben, daß jede Kunst uur eine ihr speziell eigentümliche Kombination von Vor¬
zügen gestattet, während an den Einzclvorzügen auch andre Künste, ja in ge¬
wissem Sinne alle Künste, nur mit Unterschied, Teil haben.

Ich habe diesen Gesichtspunkt als den, wie ich glaube, einzig richtigen, aus
welchem Lessings „Laokoon" zu verstehen, weiterzubilden, eventuell auch zu berich¬
tigen sei, schon 1875 in meinen „Kritischen Kunststudien" (Münster, Adolph
Rüssel) näher auszuführen versucht. Man hat mir dies bestritten, während es
doch wohl evident sein dürfte, weil es handgreifliche Thatsache ist. Auch hat


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[0645] wie das Dichten das ausschließliche Gebiet des Dichters ist, so wenig ist die Farbe das ausschließliche Gebiet der Malerei. Ja das Wechselverhältnis der Künste ist derart eigentümlich verwandt, daß selbst dort, wo sich die Künste in ihren gegenseitigen Vorzügen auszuschließen scheinen, wie z, B. die Musik auf Farbe, die Malerei auf musikalischen Ton verzichten muß, gerade eine desto größere Verwandtschaft hinsichtlich der Wirkung auf die Gemütsstimmung statt¬ finden kann, und, insofern nun doch alle Kunst außer dem direkten Sinnen¬ eindruck eine Wirkung auf die Phantasie auszuüben strebt, ja dieser Phantasie¬ eindruck nicht am wenigsten eine Hauptsache bei ihr darstellt, sind dann gerade solche entgegengesetzte Künste doch wieder nahestehend in ihrem speziellen Vor¬ zuge. Dies hat man ja längst erkannt, und schon der gewöhnliche Sprach¬ gebrauch, welcher von Farbenton und Kaugfarbe spricht, drückt es aus, daß eine solche Verwandtschaft zwischen Farbe und Musik bestehe. Es hat nun freilich Ästhetiker gegeben, welche die entgegenstehende Ansicht, als ob es ein solches ausschließliches Gebiet gebe, über welches hinaus sich eine Kunst ebensowenig wagen dürfe, wie sie einer andern Kunst gestatten dürfe, sich desselben Vorzuges bedienen zu wollen, in schroffster Einseitigkeit durchzuführen versuchten. Diese stellten dann unter anderm die Farbe als das ausschließliche Gebiet der Malerei hin, auf welche namentlich Plastik und Architektur keine Ansprüche Hütten. Dem stand nun schon die einfache Thatsache entgegen, daß doch auch der Stein, das Metall, das Holz u. s. w., dessen sich Plastik und Architektur bedienen, an sich schon Farbe hat, daß etwas Farbloses in der Körperwelt überhaupt nicht existirt, daß man also höchstens die Vielfarbigkcit, mit nichten aber auch die Einfarbigkeit diesen Künsten verwehren kann. Aber es standen dem auch die alten Griechen, ans welche man sich gern berief, und mit ihnen die kunstgeschichtlichen Thatsachen entgegen. Der reine Weiße Marmor war sür den Süden etwas ähnliches wie das Schwarz der spezifisch modernen nordischen Tracht für die nordische Kunstweise. Die Not wurde zur Tugend. Man entdeckte im Süden, daß Weiß, im Norden, daß Schwarz auch eine Farbe sei, welche gerade die feinste Farbenabstufung gestatte. Kurz, der Satz, daß „uur das die Bestimmung einer Kunst sein könne, wozu sie einzig und allein geschickt ist und das nicht eine andre Kunst ebenso¬ gut, wenn nicht besser könne als sie" (Lessing), kann praktisch nur den Sinn haben, daß jede Kunst uur eine ihr speziell eigentümliche Kombination von Vor¬ zügen gestattet, während an den Einzclvorzügen auch andre Künste, ja in ge¬ wissem Sinne alle Künste, nur mit Unterschied, Teil haben. Ich habe diesen Gesichtspunkt als den, wie ich glaube, einzig richtigen, aus welchem Lessings „Laokoon" zu verstehen, weiterzubilden, eventuell auch zu berich¬ tigen sei, schon 1875 in meinen „Kritischen Kunststudien" (Münster, Adolph Rüssel) näher auszuführen versucht. Man hat mir dies bestritten, während es doch wohl evident sein dürfte, weil es handgreifliche Thatsache ist. Auch hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/645>, abgerufen am 15.01.2025.