Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Lessing ja garnicht direkt und positiv erklärt, die Ölmalerei sei besser garnicht Es hat bekanntlich Leute gegeben, welche den Mut hatten, in der That Lessing ja garnicht direkt und positiv erklärt, die Ölmalerei sei besser garnicht Es hat bekanntlich Leute gegeben, welche den Mut hatten, in der That <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0644" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197378"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_2200" prev="#ID_2199"> Lessing ja garnicht direkt und positiv erklärt, die Ölmalerei sei besser garnicht<lb/> erfunden worden, sondern nur die großen praktischen Bedenken hervorhebt. Aber<lb/> man könnte mit gleichem Recht auch fragen, ob es nicht besser sei, es gäbe gar<lb/> keine Kunst, keinen Lessingschen „Laokoon" u, s, w. In der That waren es<lb/> denn auch praktische Bedenken, welche Lessing zu diesem Ausspruche, ja zur Ab¬<lb/> fassung des „Laokoon" überhaupt veranlaßten. Er macht kein Hehl daraus:<lb/> sein Werk ist gegen die „Virtuosen" gerichtet, welche wie einesteils in den ge¬<lb/> wagtesten Allegorien, so andernteils in den gewagtesten Farbenexperimenten ihre<lb/> Stärke suchten. Er suchte ihnen theoretisch beizukommen und entgegenzuwirken.<lb/> Freilich muß man anderseits fragen: Wenn denn die Farbe, das „Malen¬<lb/> können" das ganz besondre Gebiet der Malerei ist, wie kommt es, daß man<lb/> Künstler wie Cornelius und vollends Carstens, Genclli u. s. w., deren stärkste<lb/> Seite doch jedenfalls die Farbe nicht war, überhaupt zu den „Malern" zählt,<lb/> ja ihnen eine so bedeutende Stelle anweist über andern, welche ohne alle Frage<lb/> besser „malen" konnten? ja warum stehen denn nicht die Koloristen xa.r ex-<lb/> oollsnes in erster Reihe, da doch selbst Naffact, Michelangelo, Lionardo, Dürer<lb/> u. s. w. keine Koloristen xar oxoollcmvö waren?</p><lb/> <p xml:id="ID_2201" next="#ID_2202"> Es hat bekanntlich Leute gegeben, welche den Mut hatten, in der That<lb/> so zu folgern. Diese erklärten Cornelius, Carstens, Genelli u. s. w. für Leute,<lb/> die ihren „Beruf verfehlt hätten"; das seien Plastiker, Dichter, aber keine<lb/> „Maler" gewesen. Warum, so fragten diese Leute weiter, mit dem Dichter<lb/> wetteifern in einem Punkte, worin dieser gerade seine Stärke hat, statt das<lb/> Gebiet zu betreten, worin der Maler, mit Goethe zu reden, den Dichter zur<lb/> Verzweiflung bringen könnte? Aber Goethe schlägt sich ja selbst. Er selbst<lb/> wetteifert doch in dem Liede: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?",<lb/> ja in der ganzen Mignongestalt in einer Weise mit dem Maler, welche diesen<lb/> zur Verzweiflung bringen könnte. Denn der Maler kann uns wohl eine<lb/> italienische Landschaft, ein italienisches Mädchen lebhafter vor Angen führen als<lb/> der Dichter; aber der Dichter malt dafür Italien überhaupt, malt das ganze<lb/> ätherische Geschöpf in einem Duft, dem nun wieder der Maler nicht nachkommen<lb/> kann. Doch — man sieht, wenn wir so weiter folgern, kommen wir nicht aus<lb/> dem Gebiete der bestechenden Halbwcchrhciten heraus, d. h. wir bewegen uns<lb/> fortwährend in Gesichtspunkten, die zwar offenbar viel Wahres haben, denen<lb/> aber wieder andre Gesichtspunkte entgegenstehen, die nicht minder erheblich er¬<lb/> scheinen. Woher das? Nun einfach, weil wir von einer falschen Grundvor¬<lb/> aussetzung ausgegangen sind. Wir faßten die Forderung, daß jede Kunst den<lb/> ihr besonders verliehenen Vorzug auszubilden sich bestrebe, so, als ob es über¬<lb/> haupt einen solchen Vorzug gäbe in dem Sinne, daß derselbe das ausschließliche<lb/> Gebiet dieser oder jener Kunst sei, an welchem keine andre Kunst im geringsten<lb/> Teil habe. Dies ist aber nicht der Fall, und uicht wenige voreilige Kunsturteile<lb/> sind eben aus der irrigen Meinung entstanden, es sei der Fall. Aber so wenig</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0644]
Lessing ja garnicht direkt und positiv erklärt, die Ölmalerei sei besser garnicht
erfunden worden, sondern nur die großen praktischen Bedenken hervorhebt. Aber
man könnte mit gleichem Recht auch fragen, ob es nicht besser sei, es gäbe gar
keine Kunst, keinen Lessingschen „Laokoon" u, s, w. In der That waren es
denn auch praktische Bedenken, welche Lessing zu diesem Ausspruche, ja zur Ab¬
fassung des „Laokoon" überhaupt veranlaßten. Er macht kein Hehl daraus:
sein Werk ist gegen die „Virtuosen" gerichtet, welche wie einesteils in den ge¬
wagtesten Allegorien, so andernteils in den gewagtesten Farbenexperimenten ihre
Stärke suchten. Er suchte ihnen theoretisch beizukommen und entgegenzuwirken.
Freilich muß man anderseits fragen: Wenn denn die Farbe, das „Malen¬
können" das ganz besondre Gebiet der Malerei ist, wie kommt es, daß man
Künstler wie Cornelius und vollends Carstens, Genclli u. s. w., deren stärkste
Seite doch jedenfalls die Farbe nicht war, überhaupt zu den „Malern" zählt,
ja ihnen eine so bedeutende Stelle anweist über andern, welche ohne alle Frage
besser „malen" konnten? ja warum stehen denn nicht die Koloristen xa.r ex-
oollsnes in erster Reihe, da doch selbst Naffact, Michelangelo, Lionardo, Dürer
u. s. w. keine Koloristen xar oxoollcmvö waren?
Es hat bekanntlich Leute gegeben, welche den Mut hatten, in der That
so zu folgern. Diese erklärten Cornelius, Carstens, Genelli u. s. w. für Leute,
die ihren „Beruf verfehlt hätten"; das seien Plastiker, Dichter, aber keine
„Maler" gewesen. Warum, so fragten diese Leute weiter, mit dem Dichter
wetteifern in einem Punkte, worin dieser gerade seine Stärke hat, statt das
Gebiet zu betreten, worin der Maler, mit Goethe zu reden, den Dichter zur
Verzweiflung bringen könnte? Aber Goethe schlägt sich ja selbst. Er selbst
wetteifert doch in dem Liede: „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?",
ja in der ganzen Mignongestalt in einer Weise mit dem Maler, welche diesen
zur Verzweiflung bringen könnte. Denn der Maler kann uns wohl eine
italienische Landschaft, ein italienisches Mädchen lebhafter vor Angen führen als
der Dichter; aber der Dichter malt dafür Italien überhaupt, malt das ganze
ätherische Geschöpf in einem Duft, dem nun wieder der Maler nicht nachkommen
kann. Doch — man sieht, wenn wir so weiter folgern, kommen wir nicht aus
dem Gebiete der bestechenden Halbwcchrhciten heraus, d. h. wir bewegen uns
fortwährend in Gesichtspunkten, die zwar offenbar viel Wahres haben, denen
aber wieder andre Gesichtspunkte entgegenstehen, die nicht minder erheblich er¬
scheinen. Woher das? Nun einfach, weil wir von einer falschen Grundvor¬
aussetzung ausgegangen sind. Wir faßten die Forderung, daß jede Kunst den
ihr besonders verliehenen Vorzug auszubilden sich bestrebe, so, als ob es über¬
haupt einen solchen Vorzug gäbe in dem Sinne, daß derselbe das ausschließliche
Gebiet dieser oder jener Kunst sei, an welchem keine andre Kunst im geringsten
Teil habe. Dies ist aber nicht der Fall, und uicht wenige voreilige Kunsturteile
sind eben aus der irrigen Meinung entstanden, es sei der Fall. Aber so wenig
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