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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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unter der Regentschaft zur Sprache kamen. Die unpraktische, unbehilfliche Natur
der föderalen Verbindung zwischen Irland und Großbritannien war es allein oder
doch vor allem, wenn Pitt und Lord Castlereagh sich vor die Notwendigkeit
gestellt sahen, die Union mit Anwendung von allerlei Truglist und Gewaltthat
herbeizuführen. Auch die Einwürfe Irlands gegen das damals herrschende
System waren nicht unbegreiflich. Irland wurde in jener Zeit -- 1782 bis
1800 ^. von Engländern regiert, die dem irischen Parlamente nicht Rechen¬
schaft über ihre Verwaltung schuldig waren, eine Einrichtung, die, wenn man
sie mit Grattans Plane wieder aufleben ließe, Parnell gewiß nicht gefallen
würde. Es gab damals ferner ein irisches Oberhaus, und Parnell hat ein
solches ganz ausdrücklich zurückgewiesen. In der That, jeder Versuch, das
System des vorigen Jahrhunderts wieder aufzurichten, würde weder auf der
eiuen noch auf der andern Seite des Gcorgskanals günstigen Blicken begegnen
und dies auch nicht verdienen. Mit Recht sagte Lord Clarc einige Jahre vor
der Abschaffung des irische" Parlaments: "Unsre gegenwärtige Verbindung mit
Großbritannien ist nicht zur Stärkung und Sicherung beider Teile, sondern
zur Schwächung beider geschaffen, sie muß fortwährend nationale Unzufrieden¬
heit und Eifersucht erzeugen, und in Irland Parteihaß und Mißregiernng ver¬
ewigen."

Das "Repeal," welches O'Connell vierzig Jahre später verlangte, war
etwas ganz andres als die Unabhängigkeit, auf welcher Parnell jetzt besteht.
Der "Befreier" war sehr freigebig mit seiner Loyalität, während die heutige
irische Partei stolz auf das Gegenteil ist. O'Connell haßte und tadelte agrarische
Verbrechen, Parnell scheint sie nie gemißbilligt zu haben, wenigstens hat er nie
gegen sie protestirt. Die Nepealer von 1843 baten die irische Gentry, sie zu
führen, die jetzigen Homeruler verwarfen die Mitglieder dieses Standes an den
Wahlurnen selbst, wenn sie katholisch waren. O'Connell stieß einen Demagogen
aus seinem Vereine aus, weil er einen Streik zur Verbesserung der Pacht¬
verhältnisse vorgeschlagen hatte, Parnell macht den Widerstand gegen den Pacht
zu einem wesentlichen Teile seiner Politik. Es würde nicht vorsichtig von
England gewesen sein, dem Irland der vierziger Jahre auch nur solche beschränkte
Rechte anzuvertrauen, wie sie in Grattans Tagen dem Lande gewährt waren,
aber es gab damals wenigstens, so zu sagen, mildernde Umstände. Die Bewegung
war volkstümlich, aber nicht demokratisch, aufregend, aber nicht aufrührerisch,
die Königin war geliebt, und ein irisches Oberhaus würde geachtet gewesen sein.
Die heutigen Gefahren sind nicht durchaus politischer Natur. Die irischen
Pächter haben "Blut geleckt," und sie werden, nachdem sie den Pachtschilling
teilweise los geworden sind, gewiß versuchen, sich seiner ganz zu entledigen.
Welche Rechte auch ein irisches Parlament beanspruchen würde, ohne Zweifel
würde darunter die erste Stelle die Befugnis einnehmen, die Besitzverhn'ltnisfe
i" Betreff von Grund und Boden nen zu regeln. Die irischen Landeigentümer


unter der Regentschaft zur Sprache kamen. Die unpraktische, unbehilfliche Natur
der föderalen Verbindung zwischen Irland und Großbritannien war es allein oder
doch vor allem, wenn Pitt und Lord Castlereagh sich vor die Notwendigkeit
gestellt sahen, die Union mit Anwendung von allerlei Truglist und Gewaltthat
herbeizuführen. Auch die Einwürfe Irlands gegen das damals herrschende
System waren nicht unbegreiflich. Irland wurde in jener Zeit — 1782 bis
1800 ^. von Engländern regiert, die dem irischen Parlamente nicht Rechen¬
schaft über ihre Verwaltung schuldig waren, eine Einrichtung, die, wenn man
sie mit Grattans Plane wieder aufleben ließe, Parnell gewiß nicht gefallen
würde. Es gab damals ferner ein irisches Oberhaus, und Parnell hat ein
solches ganz ausdrücklich zurückgewiesen. In der That, jeder Versuch, das
System des vorigen Jahrhunderts wieder aufzurichten, würde weder auf der
eiuen noch auf der andern Seite des Gcorgskanals günstigen Blicken begegnen
und dies auch nicht verdienen. Mit Recht sagte Lord Clarc einige Jahre vor
der Abschaffung des irische» Parlaments: „Unsre gegenwärtige Verbindung mit
Großbritannien ist nicht zur Stärkung und Sicherung beider Teile, sondern
zur Schwächung beider geschaffen, sie muß fortwährend nationale Unzufrieden¬
heit und Eifersucht erzeugen, und in Irland Parteihaß und Mißregiernng ver¬
ewigen."

Das „Repeal," welches O'Connell vierzig Jahre später verlangte, war
etwas ganz andres als die Unabhängigkeit, auf welcher Parnell jetzt besteht.
Der „Befreier" war sehr freigebig mit seiner Loyalität, während die heutige
irische Partei stolz auf das Gegenteil ist. O'Connell haßte und tadelte agrarische
Verbrechen, Parnell scheint sie nie gemißbilligt zu haben, wenigstens hat er nie
gegen sie protestirt. Die Nepealer von 1843 baten die irische Gentry, sie zu
führen, die jetzigen Homeruler verwarfen die Mitglieder dieses Standes an den
Wahlurnen selbst, wenn sie katholisch waren. O'Connell stieß einen Demagogen
aus seinem Vereine aus, weil er einen Streik zur Verbesserung der Pacht¬
verhältnisse vorgeschlagen hatte, Parnell macht den Widerstand gegen den Pacht
zu einem wesentlichen Teile seiner Politik. Es würde nicht vorsichtig von
England gewesen sein, dem Irland der vierziger Jahre auch nur solche beschränkte
Rechte anzuvertrauen, wie sie in Grattans Tagen dem Lande gewährt waren,
aber es gab damals wenigstens, so zu sagen, mildernde Umstände. Die Bewegung
war volkstümlich, aber nicht demokratisch, aufregend, aber nicht aufrührerisch,
die Königin war geliebt, und ein irisches Oberhaus würde geachtet gewesen sein.
Die heutigen Gefahren sind nicht durchaus politischer Natur. Die irischen
Pächter haben „Blut geleckt," und sie werden, nachdem sie den Pachtschilling
teilweise los geworden sind, gewiß versuchen, sich seiner ganz zu entledigen.
Welche Rechte auch ein irisches Parlament beanspruchen würde, ohne Zweifel
würde darunter die erste Stelle die Befugnis einnehmen, die Besitzverhn'ltnisfe
i» Betreff von Grund und Boden nen zu regeln. Die irischen Landeigentümer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/629>, abgerufen am 15.01.2025.