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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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parnell und die irische Frage.

als die Konservativen, so müßten sie statt dieser jetzt die Regierung übernehmen
und damit das Recht erlangen oder sich der Pflicht unterziehen, den Gesetz¬
entwurf einzudringen, der Parnell zur Annahme darzubieten sein wird. Es hat
etwas eigentümliches, etwas fast komisches, Leute sich nebeubuhlerisch uach einem
Privileg drängen zu sehen, das von so zweifelhaftem Werte ist, da die Lösung
der irischen Frage auf gesetzlichem Wege ungefähr so schwierig wie die Erfindung
der Quadratur des Zirkels oder des ?"rpvwam avons ist.

Vor kurzem las man in den Zeitungen ein Schreiben des Sohnes Glnd-
ftoncs über die irische Frage, in welchem der Satz vorkam: "Nichts könnte mich
veranlassen, eine Trennung zu befürworte", aber wenn fünf Sechstel des irischen
Volkes ein Parlament in Dublin zur Verwaltung seiner lokalen Angelegenheiten
zu haben wünschen, so mögen sie es im Namen der Gerechtigkeit und Weisheit
haben." Man schloß daraus, daß Gladstone geneigt sei, den Parnelliteu weit¬
gehende Zugeständnisse zu machen, um einen rnoclus vivMcli zwischen ihnen und
den Liberalen herbeizuführen. Dann wollte der Obssrvczr wissen, daß bereits
ein Meinungsaustausch zwischen Gladstone und den Führern der Homeruler
stattgefunden habe. Diese Nachricht wurde zwar in Abrede gestellt, aber ihr
Inhalt war wahrscheinlich nur verfrüht, und sie ist wohl nur der Schatten,
den eine Thatsache nächster Zukunft in die Gegenwart warf. Anderseits hat
sich das Kabinet in den Sitzungen, die in voriger Woche die Minister ver¬
sammelten, unzweifelhaft mit der Sache beschäftigt.

Als das englische Parlament dem irischen Volke ein neues Gesetz in Bezug
auf die Geschwornengerichte gab, welches die Richterbank mit einer Mehrheit
von Katholiken besetzen mußte, als man den Forderungen der irischen Pächter
den vierten Teil des gesetzlichen Rechtes der Gutsherren opferte, und als man
das Werk mit der Ausdehnung des Wahlrechts über die große Masse krönte,
betrat man einen Weg, der mit Sicherheit zu der gegenwärtigen Lage führen
mußte. Mau steht jetzt vor der ernsten Frage: Sollen wir, nachdem so viel
gewährt worden ist, um die Unzufriedenheit der Jrländer zu beschwichtigen,
weitergehen und ihnen alles, was sie noch verlangen, d. h. thatsächlich die Unab¬
hängigkeit und Selbständigkeit, zugestehen?

Manche Engländer glauben eine praktische Lösung der Frage anzudeuten,
wenn sie an "Grattcins Parlament" erinnern. Man muß hier annehmen, daß
sie die Geschichte der achtzehn Jahre nicht kennen, wo jene Versammlung die
Gewalt in den Händen hatte. Diese Geschichte ist ein Bericht über unaufhörliche
Kämpfe zwischen englischen Staatsmännern und dieser immer anspruchsvoller
werdenden Körperschaft mit ihren neuen Freiheiten. Die letztere war durch jede
Rücksicht, welche Sicherheitsbedürfnis und Ehrgefühl geboten, an England gebunden,
sie vertrat nur die Protestanten Irlands, und doch sanden fortwährend Streitig¬
keiten zwischen den beiden Parlamenten über Fragen des Rechtes, der Begün¬
stigungen und der Finanzen, sowie über die höhern Staatsfragen statt, die


parnell und die irische Frage.

als die Konservativen, so müßten sie statt dieser jetzt die Regierung übernehmen
und damit das Recht erlangen oder sich der Pflicht unterziehen, den Gesetz¬
entwurf einzudringen, der Parnell zur Annahme darzubieten sein wird. Es hat
etwas eigentümliches, etwas fast komisches, Leute sich nebeubuhlerisch uach einem
Privileg drängen zu sehen, das von so zweifelhaftem Werte ist, da die Lösung
der irischen Frage auf gesetzlichem Wege ungefähr so schwierig wie die Erfindung
der Quadratur des Zirkels oder des ?«rpvwam avons ist.

Vor kurzem las man in den Zeitungen ein Schreiben des Sohnes Glnd-
ftoncs über die irische Frage, in welchem der Satz vorkam: „Nichts könnte mich
veranlassen, eine Trennung zu befürworte», aber wenn fünf Sechstel des irischen
Volkes ein Parlament in Dublin zur Verwaltung seiner lokalen Angelegenheiten
zu haben wünschen, so mögen sie es im Namen der Gerechtigkeit und Weisheit
haben." Man schloß daraus, daß Gladstone geneigt sei, den Parnelliteu weit¬
gehende Zugeständnisse zu machen, um einen rnoclus vivMcli zwischen ihnen und
den Liberalen herbeizuführen. Dann wollte der Obssrvczr wissen, daß bereits
ein Meinungsaustausch zwischen Gladstone und den Führern der Homeruler
stattgefunden habe. Diese Nachricht wurde zwar in Abrede gestellt, aber ihr
Inhalt war wahrscheinlich nur verfrüht, und sie ist wohl nur der Schatten,
den eine Thatsache nächster Zukunft in die Gegenwart warf. Anderseits hat
sich das Kabinet in den Sitzungen, die in voriger Woche die Minister ver¬
sammelten, unzweifelhaft mit der Sache beschäftigt.

Als das englische Parlament dem irischen Volke ein neues Gesetz in Bezug
auf die Geschwornengerichte gab, welches die Richterbank mit einer Mehrheit
von Katholiken besetzen mußte, als man den Forderungen der irischen Pächter
den vierten Teil des gesetzlichen Rechtes der Gutsherren opferte, und als man
das Werk mit der Ausdehnung des Wahlrechts über die große Masse krönte,
betrat man einen Weg, der mit Sicherheit zu der gegenwärtigen Lage führen
mußte. Mau steht jetzt vor der ernsten Frage: Sollen wir, nachdem so viel
gewährt worden ist, um die Unzufriedenheit der Jrländer zu beschwichtigen,
weitergehen und ihnen alles, was sie noch verlangen, d. h. thatsächlich die Unab¬
hängigkeit und Selbständigkeit, zugestehen?

Manche Engländer glauben eine praktische Lösung der Frage anzudeuten,
wenn sie an „Grattcins Parlament" erinnern. Man muß hier annehmen, daß
sie die Geschichte der achtzehn Jahre nicht kennen, wo jene Versammlung die
Gewalt in den Händen hatte. Diese Geschichte ist ein Bericht über unaufhörliche
Kämpfe zwischen englischen Staatsmännern und dieser immer anspruchsvoller
werdenden Körperschaft mit ihren neuen Freiheiten. Die letztere war durch jede
Rücksicht, welche Sicherheitsbedürfnis und Ehrgefühl geboten, an England gebunden,
sie vertrat nur die Protestanten Irlands, und doch sanden fortwährend Streitig¬
keiten zwischen den beiden Parlamenten über Fragen des Rechtes, der Begün¬
stigungen und der Finanzen, sowie über die höhern Staatsfragen statt, die


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[0628] parnell und die irische Frage. als die Konservativen, so müßten sie statt dieser jetzt die Regierung übernehmen und damit das Recht erlangen oder sich der Pflicht unterziehen, den Gesetz¬ entwurf einzudringen, der Parnell zur Annahme darzubieten sein wird. Es hat etwas eigentümliches, etwas fast komisches, Leute sich nebeubuhlerisch uach einem Privileg drängen zu sehen, das von so zweifelhaftem Werte ist, da die Lösung der irischen Frage auf gesetzlichem Wege ungefähr so schwierig wie die Erfindung der Quadratur des Zirkels oder des ?«rpvwam avons ist. Vor kurzem las man in den Zeitungen ein Schreiben des Sohnes Glnd- ftoncs über die irische Frage, in welchem der Satz vorkam: „Nichts könnte mich veranlassen, eine Trennung zu befürworte», aber wenn fünf Sechstel des irischen Volkes ein Parlament in Dublin zur Verwaltung seiner lokalen Angelegenheiten zu haben wünschen, so mögen sie es im Namen der Gerechtigkeit und Weisheit haben." Man schloß daraus, daß Gladstone geneigt sei, den Parnelliteu weit¬ gehende Zugeständnisse zu machen, um einen rnoclus vivMcli zwischen ihnen und den Liberalen herbeizuführen. Dann wollte der Obssrvczr wissen, daß bereits ein Meinungsaustausch zwischen Gladstone und den Führern der Homeruler stattgefunden habe. Diese Nachricht wurde zwar in Abrede gestellt, aber ihr Inhalt war wahrscheinlich nur verfrüht, und sie ist wohl nur der Schatten, den eine Thatsache nächster Zukunft in die Gegenwart warf. Anderseits hat sich das Kabinet in den Sitzungen, die in voriger Woche die Minister ver¬ sammelten, unzweifelhaft mit der Sache beschäftigt. Als das englische Parlament dem irischen Volke ein neues Gesetz in Bezug auf die Geschwornengerichte gab, welches die Richterbank mit einer Mehrheit von Katholiken besetzen mußte, als man den Forderungen der irischen Pächter den vierten Teil des gesetzlichen Rechtes der Gutsherren opferte, und als man das Werk mit der Ausdehnung des Wahlrechts über die große Masse krönte, betrat man einen Weg, der mit Sicherheit zu der gegenwärtigen Lage führen mußte. Mau steht jetzt vor der ernsten Frage: Sollen wir, nachdem so viel gewährt worden ist, um die Unzufriedenheit der Jrländer zu beschwichtigen, weitergehen und ihnen alles, was sie noch verlangen, d. h. thatsächlich die Unab¬ hängigkeit und Selbständigkeit, zugestehen? Manche Engländer glauben eine praktische Lösung der Frage anzudeuten, wenn sie an „Grattcins Parlament" erinnern. Man muß hier annehmen, daß sie die Geschichte der achtzehn Jahre nicht kennen, wo jene Versammlung die Gewalt in den Händen hatte. Diese Geschichte ist ein Bericht über unaufhörliche Kämpfe zwischen englischen Staatsmännern und dieser immer anspruchsvoller werdenden Körperschaft mit ihren neuen Freiheiten. Die letztere war durch jede Rücksicht, welche Sicherheitsbedürfnis und Ehrgefühl geboten, an England gebunden, sie vertrat nur die Protestanten Irlands, und doch sanden fortwährend Streitig¬ keiten zwischen den beiden Parlamenten über Fragen des Rechtes, der Begün¬ stigungen und der Finanzen, sowie über die höhern Staatsfragen statt, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/628>, abgerufen am 15.01.2025.