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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Mein Freund der Nihilist.

Vor sehr langer Zeit habe ich mehrfachen den Schriften des ix-rs Vnllrutin
gelesen.

So werden Sie wissen, was er unter 1^ paMIomw versteht.

Jawohl: die Abwechslungsbedürftigkcit des menschlichen Geistes.

Ganz Recht. Und es liegt eine tiefe Wahrheit darin, daß es der Mensch
nicht ohne Schaden für Körper und Geist ertragen kann, beständig dasselbe zu
thun, daß namentlich die richtige Abwechslung von körperlicher und geistiger
Thätigkeit zu seiner richtigen Entwicklung und zu seinem Gcsundbleiben uner¬
läßlich ist.

Bravo, Herr Doktor! Für das Prinzip kämpfe auch ich, vor allem im
Interesse unsrer Jugend, welche jetzt das beklagenswerte Opfer einer ebenso be¬
schränkten, als gewissenlosen Pädagogik wird.

Gut, machen wir die Nutzanwendung. Wer morgens vier Stunden auf
dem Felde geschwitzt hat. der soll sich nachmittags geistig beschäftigen.

Z. B. mit Astronomie?

Warum nicht? Sie können nicht bestreikn, daß auch die Astronomie
wichtig ist. Vor allem aber ist es klar, daß gerade infolge dieser Abwechslung
sowohl körperlich als geistig weit intensiver wird gearbeitet werden als jetzt, wo
jeder sich den ganzen Tag bei derselben Sache abquält.

Ohne Zweifel. Nur überrascht es mich in hohem Grade, daß Sie in Ihrem
Zukunftsstaate auch der Wissenschaft einen Platz einräumen wollen. Am Ende
auch wohl gar der Kunst?

Was trauen Sie uns denn zu, Herr-Baron? Beiden die allerhöchsten.
Wir erwarten überhaupt alles von der Wissenschaft. Sie wird das Prinzip
sein, welches unser ganzes Leben durchdringt, die wahre und alleinige Herrscherin
in unserm Staate, da Sie nun einmal den Ausdruck nicht fallen lassen
wollen. Nur eins wird völlig anders werden: die Wissenschaft wird nicht mehr
das Erbteil einer Anzahl von Bevorzugten sein, und an der Kunst werden
nicht bloß die obern Zehntausend sich erfreuen, sondern alle Menschen werden
daran Teil haben, denn alle Menschen werden auf gleicher Stufe der Bildung stehen.

Herr Doktor, Herr Doktor! das wird ganz entsetzlich langweilig werden!

Seien Sie ohne Sorgen! In einem Staate, wo jeder arbeiten muß, bleibt
gar kein Raum für die Langeweile übrig -- auch die wird abgeschafft.

Nun, wenn es Ihnen gelingt, den Drachen der Langenweile zu erschlagen,
dann haben Sie mehr gethan als der heilige Georg, und ich verspreche Ihnen,
daß Sie kcmvnisirt werden sollen. Aber sagen Sie mir, wenn die Menschen
nnn vormittags Hen einfahren und nachmittags die Parallaxe der Fixsterne
berechnen, wo nehmen sie denn dann die Stiefel her, und was sie sonst noch
bedürfen?

Bitte, nehmen Sie die Sache cum grano Liüis. Auch für die Befriedigung
aller übrigen Bedürfnisse muß und wird gesorgt werden. Die ländliche Arbeit


Mein Freund der Nihilist.

Vor sehr langer Zeit habe ich mehrfachen den Schriften des ix-rs Vnllrutin
gelesen.

So werden Sie wissen, was er unter 1^ paMIomw versteht.

Jawohl: die Abwechslungsbedürftigkcit des menschlichen Geistes.

Ganz Recht. Und es liegt eine tiefe Wahrheit darin, daß es der Mensch
nicht ohne Schaden für Körper und Geist ertragen kann, beständig dasselbe zu
thun, daß namentlich die richtige Abwechslung von körperlicher und geistiger
Thätigkeit zu seiner richtigen Entwicklung und zu seinem Gcsundbleiben uner¬
läßlich ist.

Bravo, Herr Doktor! Für das Prinzip kämpfe auch ich, vor allem im
Interesse unsrer Jugend, welche jetzt das beklagenswerte Opfer einer ebenso be¬
schränkten, als gewissenlosen Pädagogik wird.

Gut, machen wir die Nutzanwendung. Wer morgens vier Stunden auf
dem Felde geschwitzt hat. der soll sich nachmittags geistig beschäftigen.

Z. B. mit Astronomie?

Warum nicht? Sie können nicht bestreikn, daß auch die Astronomie
wichtig ist. Vor allem aber ist es klar, daß gerade infolge dieser Abwechslung
sowohl körperlich als geistig weit intensiver wird gearbeitet werden als jetzt, wo
jeder sich den ganzen Tag bei derselben Sache abquält.

Ohne Zweifel. Nur überrascht es mich in hohem Grade, daß Sie in Ihrem
Zukunftsstaate auch der Wissenschaft einen Platz einräumen wollen. Am Ende
auch wohl gar der Kunst?

Was trauen Sie uns denn zu, Herr-Baron? Beiden die allerhöchsten.
Wir erwarten überhaupt alles von der Wissenschaft. Sie wird das Prinzip
sein, welches unser ganzes Leben durchdringt, die wahre und alleinige Herrscherin
in unserm Staate, da Sie nun einmal den Ausdruck nicht fallen lassen
wollen. Nur eins wird völlig anders werden: die Wissenschaft wird nicht mehr
das Erbteil einer Anzahl von Bevorzugten sein, und an der Kunst werden
nicht bloß die obern Zehntausend sich erfreuen, sondern alle Menschen werden
daran Teil haben, denn alle Menschen werden auf gleicher Stufe der Bildung stehen.

Herr Doktor, Herr Doktor! das wird ganz entsetzlich langweilig werden!

Seien Sie ohne Sorgen! In einem Staate, wo jeder arbeiten muß, bleibt
gar kein Raum für die Langeweile übrig — auch die wird abgeschafft.

Nun, wenn es Ihnen gelingt, den Drachen der Langenweile zu erschlagen,
dann haben Sie mehr gethan als der heilige Georg, und ich verspreche Ihnen,
daß Sie kcmvnisirt werden sollen. Aber sagen Sie mir, wenn die Menschen
nnn vormittags Hen einfahren und nachmittags die Parallaxe der Fixsterne
berechnen, wo nehmen sie denn dann die Stiefel her, und was sie sonst noch
bedürfen?

Bitte, nehmen Sie die Sache cum grano Liüis. Auch für die Befriedigung
aller übrigen Bedürfnisse muß und wird gesorgt werden. Die ländliche Arbeit


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[0615] Mein Freund der Nihilist. Vor sehr langer Zeit habe ich mehrfachen den Schriften des ix-rs Vnllrutin gelesen. So werden Sie wissen, was er unter 1^ paMIomw versteht. Jawohl: die Abwechslungsbedürftigkcit des menschlichen Geistes. Ganz Recht. Und es liegt eine tiefe Wahrheit darin, daß es der Mensch nicht ohne Schaden für Körper und Geist ertragen kann, beständig dasselbe zu thun, daß namentlich die richtige Abwechslung von körperlicher und geistiger Thätigkeit zu seiner richtigen Entwicklung und zu seinem Gcsundbleiben uner¬ läßlich ist. Bravo, Herr Doktor! Für das Prinzip kämpfe auch ich, vor allem im Interesse unsrer Jugend, welche jetzt das beklagenswerte Opfer einer ebenso be¬ schränkten, als gewissenlosen Pädagogik wird. Gut, machen wir die Nutzanwendung. Wer morgens vier Stunden auf dem Felde geschwitzt hat. der soll sich nachmittags geistig beschäftigen. Z. B. mit Astronomie? Warum nicht? Sie können nicht bestreikn, daß auch die Astronomie wichtig ist. Vor allem aber ist es klar, daß gerade infolge dieser Abwechslung sowohl körperlich als geistig weit intensiver wird gearbeitet werden als jetzt, wo jeder sich den ganzen Tag bei derselben Sache abquält. Ohne Zweifel. Nur überrascht es mich in hohem Grade, daß Sie in Ihrem Zukunftsstaate auch der Wissenschaft einen Platz einräumen wollen. Am Ende auch wohl gar der Kunst? Was trauen Sie uns denn zu, Herr-Baron? Beiden die allerhöchsten. Wir erwarten überhaupt alles von der Wissenschaft. Sie wird das Prinzip sein, welches unser ganzes Leben durchdringt, die wahre und alleinige Herrscherin in unserm Staate, da Sie nun einmal den Ausdruck nicht fallen lassen wollen. Nur eins wird völlig anders werden: die Wissenschaft wird nicht mehr das Erbteil einer Anzahl von Bevorzugten sein, und an der Kunst werden nicht bloß die obern Zehntausend sich erfreuen, sondern alle Menschen werden daran Teil haben, denn alle Menschen werden auf gleicher Stufe der Bildung stehen. Herr Doktor, Herr Doktor! das wird ganz entsetzlich langweilig werden! Seien Sie ohne Sorgen! In einem Staate, wo jeder arbeiten muß, bleibt gar kein Raum für die Langeweile übrig — auch die wird abgeschafft. Nun, wenn es Ihnen gelingt, den Drachen der Langenweile zu erschlagen, dann haben Sie mehr gethan als der heilige Georg, und ich verspreche Ihnen, daß Sie kcmvnisirt werden sollen. Aber sagen Sie mir, wenn die Menschen nnn vormittags Hen einfahren und nachmittags die Parallaxe der Fixsterne berechnen, wo nehmen sie denn dann die Stiefel her, und was sie sonst noch bedürfen? Bitte, nehmen Sie die Sache cum grano Liüis. Auch für die Befriedigung aller übrigen Bedürfnisse muß und wird gesorgt werden. Die ländliche Arbeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/615>, abgerufen am 15.01.2025.