Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Fast unerträglich wurde nun die Strenge der Behörden, immer extremer die
Pläne der Anarchisten. Die Flugblätter ihrer geheimen Presse fanden den
Weg in Palast und Hütte. Rastlos thätig waren die Emissäre, obgleich der
Tod am Galgen oder die Deportation ihr fast gewisses Loos war. Von beiden
Seiten wurde man unerbittlich. Ein junges Mädchen aus vornehmer Familie
hatte ihrem Verlobten mit großem Mute zur Flucht aus dem Gefängnisse ver-
holfen. Sie wurde eingekerkert und so behandelt, daß sie sich aus dem Fenster
stürzte und den Tod fand. Nach wenigen Tagen ereilte Meseuzoff die Rache:
er wurde auf der Petersburger Promenade, als er mit seinem Adjutanten
spazieren ging, erdolcht; der Mörder entfloh ins Ausland. Der Polizeichef
Strelnikoff wurde auf dem Boulevard von Odessa erschossen; der Thäter ward
am folgenden Tage gehängt. Ein Flügeladjutant und Günstling des Kaisers,
Oberst D, wurde am hellen Tage auf offner Straße mit einer Eisenstange er¬
schlagen; in der allgemeinen Verwirrung entkam der Mörder. Endlich wagte
man sich auch an die Person des Zaren. Sie haben von der Sprengung des
Speisesaales im Winterpalast gehört, von der Unterhöhlung der Eisenbahn,
welche der kaiserliche Zug Passiren sollte; ich könnte Ihnen noch eine ganze
Reihe ähnlicher Versuche aufzählen. Endlich, am 13. März 1881, geschah das
furchtbare; Alexander, der humanste aller Fürsten, die je auf dem Throne
Rußlands gesessen, der stets das Beste für sein Volk gewollt hatte, lag grauen¬
haft verstümmelt am Boden und war wenige Stunden später eine Leiche.

A. schwieg, als könnte er seine Augen nicht abwenden von dem entsetzlichen
Bilde. Auch ich erinnerte mich jener Nacht, wo plötzlich die Glocken der russische"
Kirche zu Dresden das Totengeläute anstimmten und die Bevölkerung der ganzen
Stadt schaudernd dastand.

Nun, wie denken Sie über diesen Vorgang? fragte ich nach einer Weile.

Soll ich es wiederholen, daß ich zu den Propagandisten gehöre und solche
Mittel aus vollem Herzen verabscheue? Dennoch will ich Ihnen offen gestehen,
daß ich den Mördern Alexanders meine Bewunderung nicht versagen kann.
Rhssakvw, Jellabow, Tibaltitsch, Michailoff und vor allem die einer vornehmen
Familie entstammte Perowskaja haben die Foltern der Untersuchung und einer
durch den betrunkenen Henker Froloff unnötig verlängerten Todesstrafe mit
antikem Heldenmute ertragen. Noch höher muß ich vielleicht den Heroismus
anschlagen, welchen Netschajeff damals bewies. Er schmachtete seit elf Jahren
im Kerker von Petropawlowsk, weil er einen abtrünnigen Nihilisten, der Spions¬
dienste geleistet, erdolcht hatte. Den Verschwornen gelang es, sich mit ihm in
Kommunikation zu setzen (denn Nihilisten finden sich selbst unter den Gefängnis¬
wärtern) und ihn zu fragen, ob er lieber wolle, daß man seine Befreiung ver¬
suche oder den Kaiser töte? Auf mich kommt es nicht an -- tötet den Kaiser!
antwortete er. Und nun sagen Sie selbst -- muß eine Sache uicht zuletzt
siegen, für die solche Menschen freudig ihr Leben einsetzen? Ich wiederhole es:
'


Grenzboten IV. 183.'.. 76

Fast unerträglich wurde nun die Strenge der Behörden, immer extremer die
Pläne der Anarchisten. Die Flugblätter ihrer geheimen Presse fanden den
Weg in Palast und Hütte. Rastlos thätig waren die Emissäre, obgleich der
Tod am Galgen oder die Deportation ihr fast gewisses Loos war. Von beiden
Seiten wurde man unerbittlich. Ein junges Mädchen aus vornehmer Familie
hatte ihrem Verlobten mit großem Mute zur Flucht aus dem Gefängnisse ver-
holfen. Sie wurde eingekerkert und so behandelt, daß sie sich aus dem Fenster
stürzte und den Tod fand. Nach wenigen Tagen ereilte Meseuzoff die Rache:
er wurde auf der Petersburger Promenade, als er mit seinem Adjutanten
spazieren ging, erdolcht; der Mörder entfloh ins Ausland. Der Polizeichef
Strelnikoff wurde auf dem Boulevard von Odessa erschossen; der Thäter ward
am folgenden Tage gehängt. Ein Flügeladjutant und Günstling des Kaisers,
Oberst D, wurde am hellen Tage auf offner Straße mit einer Eisenstange er¬
schlagen; in der allgemeinen Verwirrung entkam der Mörder. Endlich wagte
man sich auch an die Person des Zaren. Sie haben von der Sprengung des
Speisesaales im Winterpalast gehört, von der Unterhöhlung der Eisenbahn,
welche der kaiserliche Zug Passiren sollte; ich könnte Ihnen noch eine ganze
Reihe ähnlicher Versuche aufzählen. Endlich, am 13. März 1881, geschah das
furchtbare; Alexander, der humanste aller Fürsten, die je auf dem Throne
Rußlands gesessen, der stets das Beste für sein Volk gewollt hatte, lag grauen¬
haft verstümmelt am Boden und war wenige Stunden später eine Leiche.

A. schwieg, als könnte er seine Augen nicht abwenden von dem entsetzlichen
Bilde. Auch ich erinnerte mich jener Nacht, wo plötzlich die Glocken der russische»
Kirche zu Dresden das Totengeläute anstimmten und die Bevölkerung der ganzen
Stadt schaudernd dastand.

Nun, wie denken Sie über diesen Vorgang? fragte ich nach einer Weile.

Soll ich es wiederholen, daß ich zu den Propagandisten gehöre und solche
Mittel aus vollem Herzen verabscheue? Dennoch will ich Ihnen offen gestehen,
daß ich den Mördern Alexanders meine Bewunderung nicht versagen kann.
Rhssakvw, Jellabow, Tibaltitsch, Michailoff und vor allem die einer vornehmen
Familie entstammte Perowskaja haben die Foltern der Untersuchung und einer
durch den betrunkenen Henker Froloff unnötig verlängerten Todesstrafe mit
antikem Heldenmute ertragen. Noch höher muß ich vielleicht den Heroismus
anschlagen, welchen Netschajeff damals bewies. Er schmachtete seit elf Jahren
im Kerker von Petropawlowsk, weil er einen abtrünnigen Nihilisten, der Spions¬
dienste geleistet, erdolcht hatte. Den Verschwornen gelang es, sich mit ihm in
Kommunikation zu setzen (denn Nihilisten finden sich selbst unter den Gefängnis¬
wärtern) und ihn zu fragen, ob er lieber wolle, daß man seine Befreiung ver¬
suche oder den Kaiser töte? Auf mich kommt es nicht an -- tötet den Kaiser!
antwortete er. Und nun sagen Sie selbst — muß eine Sache uicht zuletzt
siegen, für die solche Menschen freudig ihr Leben einsetzen? Ich wiederhole es:
'


Grenzboten IV. 183.'.. 76
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0609" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197343"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2012" prev="#ID_2011"> Fast unerträglich wurde nun die Strenge der Behörden, immer extremer die<lb/>
Pläne der Anarchisten. Die Flugblätter ihrer geheimen Presse fanden den<lb/>
Weg in Palast und Hütte. Rastlos thätig waren die Emissäre, obgleich der<lb/>
Tod am Galgen oder die Deportation ihr fast gewisses Loos war. Von beiden<lb/>
Seiten wurde man unerbittlich. Ein junges Mädchen aus vornehmer Familie<lb/>
hatte ihrem Verlobten mit großem Mute zur Flucht aus dem Gefängnisse ver-<lb/>
holfen. Sie wurde eingekerkert und so behandelt, daß sie sich aus dem Fenster<lb/>
stürzte und den Tod fand. Nach wenigen Tagen ereilte Meseuzoff die Rache:<lb/>
er wurde auf der Petersburger Promenade, als er mit seinem Adjutanten<lb/>
spazieren ging, erdolcht; der Mörder entfloh ins Ausland. Der Polizeichef<lb/>
Strelnikoff wurde auf dem Boulevard von Odessa erschossen; der Thäter ward<lb/>
am folgenden Tage gehängt. Ein Flügeladjutant und Günstling des Kaisers,<lb/>
Oberst D, wurde am hellen Tage auf offner Straße mit einer Eisenstange er¬<lb/>
schlagen; in der allgemeinen Verwirrung entkam der Mörder. Endlich wagte<lb/>
man sich auch an die Person des Zaren. Sie haben von der Sprengung des<lb/>
Speisesaales im Winterpalast gehört, von der Unterhöhlung der Eisenbahn,<lb/>
welche der kaiserliche Zug Passiren sollte; ich könnte Ihnen noch eine ganze<lb/>
Reihe ähnlicher Versuche aufzählen. Endlich, am 13. März 1881, geschah das<lb/>
furchtbare; Alexander, der humanste aller Fürsten, die je auf dem Throne<lb/>
Rußlands gesessen, der stets das Beste für sein Volk gewollt hatte, lag grauen¬<lb/>
haft verstümmelt am Boden und war wenige Stunden später eine Leiche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2013"> A. schwieg, als könnte er seine Augen nicht abwenden von dem entsetzlichen<lb/>
Bilde. Auch ich erinnerte mich jener Nacht, wo plötzlich die Glocken der russische»<lb/>
Kirche zu Dresden das Totengeläute anstimmten und die Bevölkerung der ganzen<lb/>
Stadt schaudernd dastand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2014"> Nun, wie denken Sie über diesen Vorgang? fragte ich nach einer Weile.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2015" next="#ID_2016"> Soll ich es wiederholen, daß ich zu den Propagandisten gehöre und solche<lb/>
Mittel aus vollem Herzen verabscheue? Dennoch will ich Ihnen offen gestehen,<lb/>
daß ich den Mördern Alexanders meine Bewunderung nicht versagen kann.<lb/>
Rhssakvw, Jellabow, Tibaltitsch, Michailoff und vor allem die einer vornehmen<lb/>
Familie entstammte Perowskaja haben die Foltern der Untersuchung und einer<lb/>
durch den betrunkenen Henker Froloff unnötig verlängerten Todesstrafe mit<lb/>
antikem Heldenmute ertragen. Noch höher muß ich vielleicht den Heroismus<lb/>
anschlagen, welchen Netschajeff damals bewies. Er schmachtete seit elf Jahren<lb/>
im Kerker von Petropawlowsk, weil er einen abtrünnigen Nihilisten, der Spions¬<lb/>
dienste geleistet, erdolcht hatte. Den Verschwornen gelang es, sich mit ihm in<lb/>
Kommunikation zu setzen (denn Nihilisten finden sich selbst unter den Gefängnis¬<lb/>
wärtern) und ihn zu fragen, ob er lieber wolle, daß man seine Befreiung ver¬<lb/>
suche oder den Kaiser töte? Auf mich kommt es nicht an -- tötet den Kaiser!<lb/>
antwortete er. Und nun sagen Sie selbst &#x2014; muß eine Sache uicht zuletzt<lb/>
siegen, für die solche Menschen freudig ihr Leben einsetzen? Ich wiederhole es:<lb/>
'</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 183.'.. 76</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0609] Fast unerträglich wurde nun die Strenge der Behörden, immer extremer die Pläne der Anarchisten. Die Flugblätter ihrer geheimen Presse fanden den Weg in Palast und Hütte. Rastlos thätig waren die Emissäre, obgleich der Tod am Galgen oder die Deportation ihr fast gewisses Loos war. Von beiden Seiten wurde man unerbittlich. Ein junges Mädchen aus vornehmer Familie hatte ihrem Verlobten mit großem Mute zur Flucht aus dem Gefängnisse ver- holfen. Sie wurde eingekerkert und so behandelt, daß sie sich aus dem Fenster stürzte und den Tod fand. Nach wenigen Tagen ereilte Meseuzoff die Rache: er wurde auf der Petersburger Promenade, als er mit seinem Adjutanten spazieren ging, erdolcht; der Mörder entfloh ins Ausland. Der Polizeichef Strelnikoff wurde auf dem Boulevard von Odessa erschossen; der Thäter ward am folgenden Tage gehängt. Ein Flügeladjutant und Günstling des Kaisers, Oberst D, wurde am hellen Tage auf offner Straße mit einer Eisenstange er¬ schlagen; in der allgemeinen Verwirrung entkam der Mörder. Endlich wagte man sich auch an die Person des Zaren. Sie haben von der Sprengung des Speisesaales im Winterpalast gehört, von der Unterhöhlung der Eisenbahn, welche der kaiserliche Zug Passiren sollte; ich könnte Ihnen noch eine ganze Reihe ähnlicher Versuche aufzählen. Endlich, am 13. März 1881, geschah das furchtbare; Alexander, der humanste aller Fürsten, die je auf dem Throne Rußlands gesessen, der stets das Beste für sein Volk gewollt hatte, lag grauen¬ haft verstümmelt am Boden und war wenige Stunden später eine Leiche. A. schwieg, als könnte er seine Augen nicht abwenden von dem entsetzlichen Bilde. Auch ich erinnerte mich jener Nacht, wo plötzlich die Glocken der russische» Kirche zu Dresden das Totengeläute anstimmten und die Bevölkerung der ganzen Stadt schaudernd dastand. Nun, wie denken Sie über diesen Vorgang? fragte ich nach einer Weile. Soll ich es wiederholen, daß ich zu den Propagandisten gehöre und solche Mittel aus vollem Herzen verabscheue? Dennoch will ich Ihnen offen gestehen, daß ich den Mördern Alexanders meine Bewunderung nicht versagen kann. Rhssakvw, Jellabow, Tibaltitsch, Michailoff und vor allem die einer vornehmen Familie entstammte Perowskaja haben die Foltern der Untersuchung und einer durch den betrunkenen Henker Froloff unnötig verlängerten Todesstrafe mit antikem Heldenmute ertragen. Noch höher muß ich vielleicht den Heroismus anschlagen, welchen Netschajeff damals bewies. Er schmachtete seit elf Jahren im Kerker von Petropawlowsk, weil er einen abtrünnigen Nihilisten, der Spions¬ dienste geleistet, erdolcht hatte. Den Verschwornen gelang es, sich mit ihm in Kommunikation zu setzen (denn Nihilisten finden sich selbst unter den Gefängnis¬ wärtern) und ihn zu fragen, ob er lieber wolle, daß man seine Befreiung ver¬ suche oder den Kaiser töte? Auf mich kommt es nicht an -- tötet den Kaiser! antwortete er. Und nun sagen Sie selbst — muß eine Sache uicht zuletzt siegen, für die solche Menschen freudig ihr Leben einsetzen? Ich wiederhole es: ' Grenzboten IV. 183.'.. 76

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/609
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/609>, abgerufen am 15.01.2025.