Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Die Aussichten nach dein Wahlergebnis in England. ein System zu erdenken, durch welches zwei große Nachbarinseln, die sechshundert Aber was würde Gladstone mit seiner Partei zu einem gemäßigt liberalen Die Aussichten nach dein Wahlergebnis in England. ein System zu erdenken, durch welches zwei große Nachbarinseln, die sechshundert Aber was würde Gladstone mit seiner Partei zu einem gemäßigt liberalen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0599" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197333"/> <fw type="header" place="top"> Die Aussichten nach dein Wahlergebnis in England.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1966" prev="#ID_1965"> ein System zu erdenken, durch welches zwei große Nachbarinseln, die sechshundert<lb/> Jahre wie Hund und Katze zusammengelebt haben, dahin gebracht würden, in<lb/> einem Verhältnis nur halber Trennung neben einander zu existiren. Eher als<lb/> ein solcher Zustand wäre in der Vergangenheit die vollständige Verschmelzung<lb/> beider von einem großen Politiker durchzusetzen gewesen, und eher wäre eine<lb/> solche Verschmelzung vielleicht jetzt zustande zu bringen, wenn die englischen<lb/> Parteien einig wären.</p><lb/> <p xml:id="ID_1967" next="#ID_1968"> Aber was würde Gladstone mit seiner Partei zu einem gemäßigt liberalen<lb/> Programme Salisburys sagen? Wird ers ungenügend nennen, wird er den<lb/> Grafschaften größere lokale Macht und Befugnis, den Reformen der Grund¬<lb/> eigentumsverhältnisse durchgreifendere Maßregeln, den ländlichen Tagelöhnern<lb/> mehr Gelegenheit, ihre Lage zu verbessern, den Jrländern mehr Recht, ihre<lb/> eignen Geschäfte zu verhandeln und zu ordnen, gewähren, wird er die Staats¬<lb/> kirche gründlicher reformiren wollen als sein Nebenbuhler von der Torypartei?<lb/> Ferner, wie wird er sich zu Parnells etwaigen Ansprüchen verhalten? Kann<lb/> er ihm zu Gefallen eine einzige von den Bestimmungen streichen, welche die<lb/> Obmcicht des Reichsparlaments sichern? Will er in der Geschichte als der<lb/> Engländer fortleben, der mit dein Versuche, die Abfallsgelüste der Jrländer zu<lb/> beschwichtigen, sie im höchsten Maße stärkt und die liberale Partei der Insel,<lb/> die bei seinem Amtsantritte ziemlich stark an Zahl war, vor seinen Augen ver¬<lb/> schwinden ließ? Er hat bewiesen, daß er in seinem unklaren Enthusiasmus<lb/> für freisinnige Doktrinen und in seiner Neigung. „Volkswünschen" zu entsprechen<lb/> und damit populär zu bleiben, starker Dinge fähig ist, aber er wird sichs ver¬<lb/> mutlich, wie er selbst 1874 sagte, dreimal überlegen, bevor er das vereinigte<lb/> Königreich zerspalten läßt. In Schottland ließ er sich vor kurzem deu unglück¬<lb/> lichen Ausdruck „Königreich Irland" entschlüpfen, der bei den Iren unerfüllbare<lb/> Hoffnungen zu erwecken geeignet war. Er hätte sich dabei erinnern sollen, daß<lb/> es staatsrechtlich keine Königin von Irland, von Schottland und von England<lb/> giebt, sondern mir eine Svuveränin des einigem Reiches, welches aus dem be¬<lb/> steht, was im siebzehnten Jahrhundert in drei, im achtzehnten in zwei König¬<lb/> reiche zerfiel, seit Beginn des neunzehnten aber ein einziges Reich bildet. Das<lb/> Parlament ist allmächtig, es kann Irland wieder zu einem gesonderten König¬<lb/> reiche machen, vorher aber würde es dann die jetzige Einheit des Reiches auf¬<lb/> lösen müssen. Es ist schwer zu glaube», daß der Führer der Liberalen, um<lb/> sich die Mehrheit im Parlamente zu verschaffen und so wieder ans Staatsruder<lb/> zu kommen, in ein so unbesonnenes und verhängnisvolles Opfer der natio¬<lb/> nalen Interessen willigen werde. Großbritannien hat in seinen Kolonien prak¬<lb/> tische, thatsächliche Unabhängigkeit, aber dieselben waren niemals mit ihm zu<lb/> einem Reiche verschmolzen. Es hat die Ionischen Inseln den stammverwandten<lb/> Griechen abgetreten, aber diese wenig bedeutenden Eilande waren ernstlich nur<lb/> unter seiner Schutzherrschaft gewesen. Aber unerhört würde es in der ganzen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0599]
Die Aussichten nach dein Wahlergebnis in England.
ein System zu erdenken, durch welches zwei große Nachbarinseln, die sechshundert
Jahre wie Hund und Katze zusammengelebt haben, dahin gebracht würden, in
einem Verhältnis nur halber Trennung neben einander zu existiren. Eher als
ein solcher Zustand wäre in der Vergangenheit die vollständige Verschmelzung
beider von einem großen Politiker durchzusetzen gewesen, und eher wäre eine
solche Verschmelzung vielleicht jetzt zustande zu bringen, wenn die englischen
Parteien einig wären.
Aber was würde Gladstone mit seiner Partei zu einem gemäßigt liberalen
Programme Salisburys sagen? Wird ers ungenügend nennen, wird er den
Grafschaften größere lokale Macht und Befugnis, den Reformen der Grund¬
eigentumsverhältnisse durchgreifendere Maßregeln, den ländlichen Tagelöhnern
mehr Gelegenheit, ihre Lage zu verbessern, den Jrländern mehr Recht, ihre
eignen Geschäfte zu verhandeln und zu ordnen, gewähren, wird er die Staats¬
kirche gründlicher reformiren wollen als sein Nebenbuhler von der Torypartei?
Ferner, wie wird er sich zu Parnells etwaigen Ansprüchen verhalten? Kann
er ihm zu Gefallen eine einzige von den Bestimmungen streichen, welche die
Obmcicht des Reichsparlaments sichern? Will er in der Geschichte als der
Engländer fortleben, der mit dein Versuche, die Abfallsgelüste der Jrländer zu
beschwichtigen, sie im höchsten Maße stärkt und die liberale Partei der Insel,
die bei seinem Amtsantritte ziemlich stark an Zahl war, vor seinen Augen ver¬
schwinden ließ? Er hat bewiesen, daß er in seinem unklaren Enthusiasmus
für freisinnige Doktrinen und in seiner Neigung. „Volkswünschen" zu entsprechen
und damit populär zu bleiben, starker Dinge fähig ist, aber er wird sichs ver¬
mutlich, wie er selbst 1874 sagte, dreimal überlegen, bevor er das vereinigte
Königreich zerspalten läßt. In Schottland ließ er sich vor kurzem deu unglück¬
lichen Ausdruck „Königreich Irland" entschlüpfen, der bei den Iren unerfüllbare
Hoffnungen zu erwecken geeignet war. Er hätte sich dabei erinnern sollen, daß
es staatsrechtlich keine Königin von Irland, von Schottland und von England
giebt, sondern mir eine Svuveränin des einigem Reiches, welches aus dem be¬
steht, was im siebzehnten Jahrhundert in drei, im achtzehnten in zwei König¬
reiche zerfiel, seit Beginn des neunzehnten aber ein einziges Reich bildet. Das
Parlament ist allmächtig, es kann Irland wieder zu einem gesonderten König¬
reiche machen, vorher aber würde es dann die jetzige Einheit des Reiches auf¬
lösen müssen. Es ist schwer zu glaube», daß der Führer der Liberalen, um
sich die Mehrheit im Parlamente zu verschaffen und so wieder ans Staatsruder
zu kommen, in ein so unbesonnenes und verhängnisvolles Opfer der natio¬
nalen Interessen willigen werde. Großbritannien hat in seinen Kolonien prak¬
tische, thatsächliche Unabhängigkeit, aber dieselben waren niemals mit ihm zu
einem Reiche verschmolzen. Es hat die Ionischen Inseln den stammverwandten
Griechen abgetreten, aber diese wenig bedeutenden Eilande waren ernstlich nur
unter seiner Schutzherrschaft gewesen. Aber unerhört würde es in der ganzen
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |