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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Mörders Macbeth - Vorlesungen.

Paßt, welches Werber selbst sich mit seinem Buche um Shakespeare und dessen
Erkenntnis in Deutschland erwirbt. Und was soll man zu der unverantwort¬
lichen Grobheit sagen, mit der er die Shakespeare-Studien Gustav Nümelinö,
eines der hellsten Geister unsrer Zeit, regalirt? Er sagt (S. 238): "Da ist z. B.
gleich wieder Herr Rümelin, der sich anch bewogen gefühlt hat, der Welt ein
Licht über Shakespeares Mängel nufzusteckeu, welches ebenfalls nichts weiter
als ein Irrlicht seines eignen Mißverstandes ist. Sein Bestreben in dem Buche
"Shakespeare-Studien" geht dahin: "auch die Schranken und Schatten in Shake¬
speares Genie nachzuweisen; an die Stelle eines Titanenmythns eine geschichtlich
bedingte und begreifbare Erscheinung zu setzen." Er konnte hierbei ans ein
großes, ihm günstiges Publikum rechnen und hat es wahrscheinlich auch gefunden.
Denn die Mittelmäßigkeit ist die ständige Majorität. Sie macht ganz gern
Chorus für das Große; erhält sie aber Aussicht, es klein gemacht zu sehen, so
ist das noch mehr nach ihrem Geschmack." Ist das nicht dieselbe Schimpferei,
wie sie Schopenhauer liebte, der jeden, der seine Meinung nicht teilte, sofort
für eiuen schlechten Kerl erklärte? Man sollte glauben, dieser Ton sei aus der
wissenschaftlichen Polemik Deutschlands längst verbannt! Aber freilich, Werber
ist noch einer der wenigen Überlebenden einer überwundenen philosophischen
Epoche, in welcher der Dünkel einer spekulativen Ästhetik sich breit machte, und
darum ist ihm der Realist Rümelin ganz besonders antipathisch.

Eines der neuen Lichter, das nun Werber selbst aufsteckt, soll uns Banauo
als einen ganz andern Menschen beleuchten, als den wir ihn bisher zu ver¬
stehen gewöhnt waren. Visher hielten wir den Genossen Macbeths für einen
ehrlichen Mann. In dem Kontraste beider Gestalten erkannten wir einen der
wesentlichsten Hinweise Shakespeares ans den sittlichen Gehalt seiner Tragödie,
darauf nämlich, daß das Schicksal, welches Macbeth gegen sich heraufbeschwört,
"icht das Werk äußerer höllischer Mächte, sondern seines ganz persönlichen
Charakters sei. Ihm sowohl als dem Banquo prophezeie" die Hexen künftige
Größe -- aber wie verschieden wirkt diese Ankündigung ans beide! Beide sind
ehrgeizig; aber Banquo läßt sich durch die Wahrsagerei der Hexen zu keinerlei
Verbrechen hinreißen. Er ist zunächst und allein geneigt, nach ihrem Verschwinden
die Prophezeiung gleichgiltig zu nehmen: "Die Erd' hat Blasen, wie das Wasser
hat: so waren diese." Ihm, dem ehrlichen Banauo, legt Shakespeare jenes schöne
Bild in deu Mund, als er mit dem treuherzigen Duncan Macbeths Schloß betritt:


Dieser Sommergast,
Die Schwalbe, die an Tempeln nistet, zeigt
Durch ihren fleiß'gen Ban, daß Himmelsatem
Hier lieblich haucht; kein Vorsprung, Fries, noch Pfeiler,
Kein Winkel, wo der Vogel nicht gebaut
Sein hängend Bett und Wiege für die Brut;
Wo er am liebsten heckt und wohnt, da fand ich
Am reinsten stets die Luft.

Mörders Macbeth - Vorlesungen.

Paßt, welches Werber selbst sich mit seinem Buche um Shakespeare und dessen
Erkenntnis in Deutschland erwirbt. Und was soll man zu der unverantwort¬
lichen Grobheit sagen, mit der er die Shakespeare-Studien Gustav Nümelinö,
eines der hellsten Geister unsrer Zeit, regalirt? Er sagt (S. 238): „Da ist z. B.
gleich wieder Herr Rümelin, der sich anch bewogen gefühlt hat, der Welt ein
Licht über Shakespeares Mängel nufzusteckeu, welches ebenfalls nichts weiter
als ein Irrlicht seines eignen Mißverstandes ist. Sein Bestreben in dem Buche
»Shakespeare-Studien« geht dahin: »auch die Schranken und Schatten in Shake¬
speares Genie nachzuweisen; an die Stelle eines Titanenmythns eine geschichtlich
bedingte und begreifbare Erscheinung zu setzen.« Er konnte hierbei ans ein
großes, ihm günstiges Publikum rechnen und hat es wahrscheinlich auch gefunden.
Denn die Mittelmäßigkeit ist die ständige Majorität. Sie macht ganz gern
Chorus für das Große; erhält sie aber Aussicht, es klein gemacht zu sehen, so
ist das noch mehr nach ihrem Geschmack." Ist das nicht dieselbe Schimpferei,
wie sie Schopenhauer liebte, der jeden, der seine Meinung nicht teilte, sofort
für eiuen schlechten Kerl erklärte? Man sollte glauben, dieser Ton sei aus der
wissenschaftlichen Polemik Deutschlands längst verbannt! Aber freilich, Werber
ist noch einer der wenigen Überlebenden einer überwundenen philosophischen
Epoche, in welcher der Dünkel einer spekulativen Ästhetik sich breit machte, und
darum ist ihm der Realist Rümelin ganz besonders antipathisch.

Eines der neuen Lichter, das nun Werber selbst aufsteckt, soll uns Banauo
als einen ganz andern Menschen beleuchten, als den wir ihn bisher zu ver¬
stehen gewöhnt waren. Visher hielten wir den Genossen Macbeths für einen
ehrlichen Mann. In dem Kontraste beider Gestalten erkannten wir einen der
wesentlichsten Hinweise Shakespeares ans den sittlichen Gehalt seiner Tragödie,
darauf nämlich, daß das Schicksal, welches Macbeth gegen sich heraufbeschwört,
»icht das Werk äußerer höllischer Mächte, sondern seines ganz persönlichen
Charakters sei. Ihm sowohl als dem Banquo prophezeie» die Hexen künftige
Größe — aber wie verschieden wirkt diese Ankündigung ans beide! Beide sind
ehrgeizig; aber Banquo läßt sich durch die Wahrsagerei der Hexen zu keinerlei
Verbrechen hinreißen. Er ist zunächst und allein geneigt, nach ihrem Verschwinden
die Prophezeiung gleichgiltig zu nehmen: „Die Erd' hat Blasen, wie das Wasser
hat: so waren diese." Ihm, dem ehrlichen Banauo, legt Shakespeare jenes schöne
Bild in deu Mund, als er mit dem treuherzigen Duncan Macbeths Schloß betritt:


Dieser Sommergast,
Die Schwalbe, die an Tempeln nistet, zeigt
Durch ihren fleiß'gen Ban, daß Himmelsatem
Hier lieblich haucht; kein Vorsprung, Fries, noch Pfeiler,
Kein Winkel, wo der Vogel nicht gebaut
Sein hängend Bett und Wiege für die Brut;
Wo er am liebsten heckt und wohnt, da fand ich
Am reinsten stets die Luft.

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[0589] Mörders Macbeth - Vorlesungen. Paßt, welches Werber selbst sich mit seinem Buche um Shakespeare und dessen Erkenntnis in Deutschland erwirbt. Und was soll man zu der unverantwort¬ lichen Grobheit sagen, mit der er die Shakespeare-Studien Gustav Nümelinö, eines der hellsten Geister unsrer Zeit, regalirt? Er sagt (S. 238): „Da ist z. B. gleich wieder Herr Rümelin, der sich anch bewogen gefühlt hat, der Welt ein Licht über Shakespeares Mängel nufzusteckeu, welches ebenfalls nichts weiter als ein Irrlicht seines eignen Mißverstandes ist. Sein Bestreben in dem Buche »Shakespeare-Studien« geht dahin: »auch die Schranken und Schatten in Shake¬ speares Genie nachzuweisen; an die Stelle eines Titanenmythns eine geschichtlich bedingte und begreifbare Erscheinung zu setzen.« Er konnte hierbei ans ein großes, ihm günstiges Publikum rechnen und hat es wahrscheinlich auch gefunden. Denn die Mittelmäßigkeit ist die ständige Majorität. Sie macht ganz gern Chorus für das Große; erhält sie aber Aussicht, es klein gemacht zu sehen, so ist das noch mehr nach ihrem Geschmack." Ist das nicht dieselbe Schimpferei, wie sie Schopenhauer liebte, der jeden, der seine Meinung nicht teilte, sofort für eiuen schlechten Kerl erklärte? Man sollte glauben, dieser Ton sei aus der wissenschaftlichen Polemik Deutschlands längst verbannt! Aber freilich, Werber ist noch einer der wenigen Überlebenden einer überwundenen philosophischen Epoche, in welcher der Dünkel einer spekulativen Ästhetik sich breit machte, und darum ist ihm der Realist Rümelin ganz besonders antipathisch. Eines der neuen Lichter, das nun Werber selbst aufsteckt, soll uns Banauo als einen ganz andern Menschen beleuchten, als den wir ihn bisher zu ver¬ stehen gewöhnt waren. Visher hielten wir den Genossen Macbeths für einen ehrlichen Mann. In dem Kontraste beider Gestalten erkannten wir einen der wesentlichsten Hinweise Shakespeares ans den sittlichen Gehalt seiner Tragödie, darauf nämlich, daß das Schicksal, welches Macbeth gegen sich heraufbeschwört, »icht das Werk äußerer höllischer Mächte, sondern seines ganz persönlichen Charakters sei. Ihm sowohl als dem Banquo prophezeie» die Hexen künftige Größe — aber wie verschieden wirkt diese Ankündigung ans beide! Beide sind ehrgeizig; aber Banquo läßt sich durch die Wahrsagerei der Hexen zu keinerlei Verbrechen hinreißen. Er ist zunächst und allein geneigt, nach ihrem Verschwinden die Prophezeiung gleichgiltig zu nehmen: „Die Erd' hat Blasen, wie das Wasser hat: so waren diese." Ihm, dem ehrlichen Banauo, legt Shakespeare jenes schöne Bild in deu Mund, als er mit dem treuherzigen Duncan Macbeths Schloß betritt: Dieser Sommergast, Die Schwalbe, die an Tempeln nistet, zeigt Durch ihren fleiß'gen Ban, daß Himmelsatem Hier lieblich haucht; kein Vorsprung, Fries, noch Pfeiler, Kein Winkel, wo der Vogel nicht gebaut Sein hängend Bett und Wiege für die Brut; Wo er am liebsten heckt und wohnt, da fand ich Am reinsten stets die Luft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/589>, abgerufen am 15.01.2025.