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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Werders Macbeth-Vorlesungen.

der verschiednen Völkersystcme lag ihm der Ursprung der allgemeinen Ge¬
schichte, hierin find die Nationalitäten zum Bewußtsein ihrer selbst gekommen,
denn die Nationen sind nicht durchaus naturwüchsig. Nationalitäten von so
großer Macht und eigentümlichem Gepräge, wie die englische, italienische, sind
uicht sowohl Schöpfungen des Landes und der Nasse, als der großen Abwand¬
lungen der Begebenheiten. Um den Plan, nach welchem der Altmeister dieses
sein Lebenswerk arbeitet, darzulegen, ist es^ am besten, seine eignen Worte anzu¬
führen: "Im Laufe der Jahrhunderte hat das Menschengeschlecht gleichsam
einen Besitz erworben, der in dem materiellen und dem gesellschaftlichen Fort¬
schritt, dessen es sich erfreut, besonders aber auch in seiner religiösen Entwicklung
besteht. Einen Bestandteil dieses Besitzes, sozusagen das Juwel desselben, bilden
die unsterblichen Werke des Genius in Poesie und Literatur, Wissenschaft und
Kunst, die, unter lokalen Bedingungen entstanden, doch das allgemein Mensch¬
liche repräsentiren. Dem gesellen sich, unzertrennbar von ihnen, die Erinne¬
rungen an die Ereignisse, Gestaltungen und großen Männer der Vorzeit bei.
Eine Generatio" überliefert sie der andern, und immer von neuem mögen sie
aufgefrischt in das allgemeine Gedächtnis zurückgerufen werden, wie ich es zu
unternehmen den Mut und das Vertrauen habe."

Es hieße Eulen nach Athen tragen, diesem Werke, das seit 1881 bereits
in dritter Auflage erschienen ist, ein Loblied zu singen. Vielen unsrer Leser
wird es aus eignem Studium bekannt sein. Wenn gegenwärtig, wo wir dies
schreiben, Leopold von Ranke schon wieder einen neuen Band (VI: Zersetzung
des karolingischen, Begründung des deutschen Reiches) der Öffentlichkeit über¬
gäbe, so geht unser Wunsch dahin, daß es dem Meister vergönnt sein möge,
ni der Jugendfrische, die er sich bis in sein hohes Alter bewahrt hat, dies
Hauptwerk seines Lebens einer glücklichen Vollendung entgegenzuführen und
damit dem deutschen Volke ein xr^" ^ zu hinterlassen. Im irdischen Leben
sind ihn: fast alle Ehren zuteil geworden, die ein Fürst seinem treuen Diener
erweisen kann; die Nachwelt aber wird gerade mit diesem Werke um liebsten
seinen Namen verknüpfen.




Werders Macbeth-Vorlesungen.

s thut wirklich wohl, sich wieder einmal in die Poesie Shakespeares
zu vertiefen, wenn man an der Lektüre mpdcrucr Dichter sich
nachgerade in der Gefahr sieht, sein Gefühl für die hohe Kunst
abzustumpfen. Es thut wohl, sich aus den Debatten liber die
neuesten literarischen Moden, über Idealismus, Realismus, Na¬
turalismus in der Kunst, zu dem Genius zu flüchten, der alle diese stilistischen


Grenzbotni IV. 188V. 7?.
Werders Macbeth-Vorlesungen.

der verschiednen Völkersystcme lag ihm der Ursprung der allgemeinen Ge¬
schichte, hierin find die Nationalitäten zum Bewußtsein ihrer selbst gekommen,
denn die Nationen sind nicht durchaus naturwüchsig. Nationalitäten von so
großer Macht und eigentümlichem Gepräge, wie die englische, italienische, sind
uicht sowohl Schöpfungen des Landes und der Nasse, als der großen Abwand¬
lungen der Begebenheiten. Um den Plan, nach welchem der Altmeister dieses
sein Lebenswerk arbeitet, darzulegen, ist es^ am besten, seine eignen Worte anzu¬
führen: „Im Laufe der Jahrhunderte hat das Menschengeschlecht gleichsam
einen Besitz erworben, der in dem materiellen und dem gesellschaftlichen Fort¬
schritt, dessen es sich erfreut, besonders aber auch in seiner religiösen Entwicklung
besteht. Einen Bestandteil dieses Besitzes, sozusagen das Juwel desselben, bilden
die unsterblichen Werke des Genius in Poesie und Literatur, Wissenschaft und
Kunst, die, unter lokalen Bedingungen entstanden, doch das allgemein Mensch¬
liche repräsentiren. Dem gesellen sich, unzertrennbar von ihnen, die Erinne¬
rungen an die Ereignisse, Gestaltungen und großen Männer der Vorzeit bei.
Eine Generatio» überliefert sie der andern, und immer von neuem mögen sie
aufgefrischt in das allgemeine Gedächtnis zurückgerufen werden, wie ich es zu
unternehmen den Mut und das Vertrauen habe."

Es hieße Eulen nach Athen tragen, diesem Werke, das seit 1881 bereits
in dritter Auflage erschienen ist, ein Loblied zu singen. Vielen unsrer Leser
wird es aus eignem Studium bekannt sein. Wenn gegenwärtig, wo wir dies
schreiben, Leopold von Ranke schon wieder einen neuen Band (VI: Zersetzung
des karolingischen, Begründung des deutschen Reiches) der Öffentlichkeit über¬
gäbe, so geht unser Wunsch dahin, daß es dem Meister vergönnt sein möge,
ni der Jugendfrische, die er sich bis in sein hohes Alter bewahrt hat, dies
Hauptwerk seines Lebens einer glücklichen Vollendung entgegenzuführen und
damit dem deutschen Volke ein xr^« ^ zu hinterlassen. Im irdischen Leben
sind ihn: fast alle Ehren zuteil geworden, die ein Fürst seinem treuen Diener
erweisen kann; die Nachwelt aber wird gerade mit diesem Werke um liebsten
seinen Namen verknüpfen.




Werders Macbeth-Vorlesungen.

s thut wirklich wohl, sich wieder einmal in die Poesie Shakespeares
zu vertiefen, wenn man an der Lektüre mpdcrucr Dichter sich
nachgerade in der Gefahr sieht, sein Gefühl für die hohe Kunst
abzustumpfen. Es thut wohl, sich aus den Debatten liber die
neuesten literarischen Moden, über Idealismus, Realismus, Na¬
turalismus in der Kunst, zu dem Genius zu flüchten, der alle diese stilistischen


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[0585] Werders Macbeth-Vorlesungen. der verschiednen Völkersystcme lag ihm der Ursprung der allgemeinen Ge¬ schichte, hierin find die Nationalitäten zum Bewußtsein ihrer selbst gekommen, denn die Nationen sind nicht durchaus naturwüchsig. Nationalitäten von so großer Macht und eigentümlichem Gepräge, wie die englische, italienische, sind uicht sowohl Schöpfungen des Landes und der Nasse, als der großen Abwand¬ lungen der Begebenheiten. Um den Plan, nach welchem der Altmeister dieses sein Lebenswerk arbeitet, darzulegen, ist es^ am besten, seine eignen Worte anzu¬ führen: „Im Laufe der Jahrhunderte hat das Menschengeschlecht gleichsam einen Besitz erworben, der in dem materiellen und dem gesellschaftlichen Fort¬ schritt, dessen es sich erfreut, besonders aber auch in seiner religiösen Entwicklung besteht. Einen Bestandteil dieses Besitzes, sozusagen das Juwel desselben, bilden die unsterblichen Werke des Genius in Poesie und Literatur, Wissenschaft und Kunst, die, unter lokalen Bedingungen entstanden, doch das allgemein Mensch¬ liche repräsentiren. Dem gesellen sich, unzertrennbar von ihnen, die Erinne¬ rungen an die Ereignisse, Gestaltungen und großen Männer der Vorzeit bei. Eine Generatio» überliefert sie der andern, und immer von neuem mögen sie aufgefrischt in das allgemeine Gedächtnis zurückgerufen werden, wie ich es zu unternehmen den Mut und das Vertrauen habe." Es hieße Eulen nach Athen tragen, diesem Werke, das seit 1881 bereits in dritter Auflage erschienen ist, ein Loblied zu singen. Vielen unsrer Leser wird es aus eignem Studium bekannt sein. Wenn gegenwärtig, wo wir dies schreiben, Leopold von Ranke schon wieder einen neuen Band (VI: Zersetzung des karolingischen, Begründung des deutschen Reiches) der Öffentlichkeit über¬ gäbe, so geht unser Wunsch dahin, daß es dem Meister vergönnt sein möge, ni der Jugendfrische, die er sich bis in sein hohes Alter bewahrt hat, dies Hauptwerk seines Lebens einer glücklichen Vollendung entgegenzuführen und damit dem deutschen Volke ein xr^« ^ zu hinterlassen. Im irdischen Leben sind ihn: fast alle Ehren zuteil geworden, die ein Fürst seinem treuen Diener erweisen kann; die Nachwelt aber wird gerade mit diesem Werke um liebsten seinen Namen verknüpfen. Werders Macbeth-Vorlesungen. s thut wirklich wohl, sich wieder einmal in die Poesie Shakespeares zu vertiefen, wenn man an der Lektüre mpdcrucr Dichter sich nachgerade in der Gefahr sieht, sein Gefühl für die hohe Kunst abzustumpfen. Es thut wohl, sich aus den Debatten liber die neuesten literarischen Moden, über Idealismus, Realismus, Na¬ turalismus in der Kunst, zu dem Genius zu flüchten, der alle diese stilistischen Grenzbotni IV. 188V. 7?.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/585>, abgerufen am 15.01.2025.