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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Leopold von Ranke.

als daß er mit dem neuen Heere, das er mit so unbegreiflicher Schnelligkeit
um sich versammelt hatte, als der größte Feldherr seiner Zeit, für den wir ihn
hielten, den Sieg über die entgegenstehenden Heere, deren Geist wir nicht kannten,
leicht gewinnen werde. Was eine abermalige Niederlage der Preußen für sie
selbst und für ganz Deutschland bedeutet hätte, davon mögen einige wenige von
uns etwas geahnt haben."

Zwar war es damals nicht Brauch, auf den Schulen vaterländische Ge¬
sinnung zu pflegen, und gerade Pforta, welches Leopold besuchte, trachtete mehr
nach dem Ruhme, eine Bildungsstätte tüchtiger Gelehrten als national gesinnter
Männer zu sein. Aber die Wucht der Ereignisse mußte doch auf jedes denkende
Gemüt einwirken. Preußens wunderbarer Aufschwung konnte doch nur als die
Großthat eines heroischen Geistes erscheinen, der von tiefdurchdrungenem Vater¬
landsgefühl getragen war. Der junge Ranke freilich war so sehr in seine
Studien vertieft, daß er mitten in jenen Kriegswirren den Entschluß faßte, die
Universität Leipzig zu beziehen.

Die Erziehung, welche Leopold in dem väterlichen Hause genossen hatte,
war nicht ohne Einwirkung auf seine Gesinuungs- und Anschauungsweise ge¬
blieben. In der Familie, welche mehrere Pastoren zu ihren Ahnen zählte, waltete
ein frommer Geist; von Gott in allen Lebenslagen dnrch Gebet Trost und Hilfe
zu erflehen, war jedem zum Bedürfnis geworden. Leopold gehörte zu den seltnen
Knaben, bei denen es früh zu einer bestimmten Erkenntnis des Rechten und
Guten und zu dein unerschütterlichen Vorsatze kommt, davon nicht abzuweichen. Der
streng rechtliche Sinn, welcher all sein Thun und Handeln beseelte, ist denn
anch im spätern Leben stets in ihm wirksam gewesen. Er hat ihn auch davor
bewahrt, in die Irrungen, von welchen so viele Gemüter nach den Freiheits¬
kriegen ergriffen wurden, zu verfallen. Der deutschen Jugend, welche an dem
Kampfe gegen den welschen Fremdherrscher teilgenommen hatte, schritten die
Ereignisse zu langsam vorwärts, sie schloß sich in der Burschenschaft zusammen
und wollte durch diese für ihre Ideen Propaganda machen. Da kam die verhängnis¬
volle That Sands. Der Burschenbund wurde der Teilnahme an dem Morde
geziehen. "Es war eine unbeschreibliche Aufregung, die lange Zeit kein andres
Gespräch als über die geheimnisvolle That und ihre möglichen Beweggründe
aufkommen ließ. Es konnte nicht fehlen, daß unter jungen Leuten, die sich
täglich mit den Schriftstellern des Altertums beschäftigten, die Sache auch in
das Allgemeine gezogen und bis zu der Frage fortgeführt wurde, ob eine That
wie die des Brutus oder der Charlotte Corday an sich unbedingt zu verdamme"
sei." Ranke befand sich gerade damals in Frankfurt a. O. Dorthin hatte er
an das Gymnasium einen Ruf als Oberlehrer erhalten. Daß er ein Schüler
Gottfried Hermanns war, hatte veranlaßt, daß er mehrere ältere Männer so¬
gleich überging. Nach Frankfurt hatte er dann auch seinen Bruder Friedrich
Heinrich gezogen. Dieser schwärmte für Turnvater Jahr und die burschenschaftlichen


Leopold von Ranke.

als daß er mit dem neuen Heere, das er mit so unbegreiflicher Schnelligkeit
um sich versammelt hatte, als der größte Feldherr seiner Zeit, für den wir ihn
hielten, den Sieg über die entgegenstehenden Heere, deren Geist wir nicht kannten,
leicht gewinnen werde. Was eine abermalige Niederlage der Preußen für sie
selbst und für ganz Deutschland bedeutet hätte, davon mögen einige wenige von
uns etwas geahnt haben."

Zwar war es damals nicht Brauch, auf den Schulen vaterländische Ge¬
sinnung zu pflegen, und gerade Pforta, welches Leopold besuchte, trachtete mehr
nach dem Ruhme, eine Bildungsstätte tüchtiger Gelehrten als national gesinnter
Männer zu sein. Aber die Wucht der Ereignisse mußte doch auf jedes denkende
Gemüt einwirken. Preußens wunderbarer Aufschwung konnte doch nur als die
Großthat eines heroischen Geistes erscheinen, der von tiefdurchdrungenem Vater¬
landsgefühl getragen war. Der junge Ranke freilich war so sehr in seine
Studien vertieft, daß er mitten in jenen Kriegswirren den Entschluß faßte, die
Universität Leipzig zu beziehen.

Die Erziehung, welche Leopold in dem väterlichen Hause genossen hatte,
war nicht ohne Einwirkung auf seine Gesinuungs- und Anschauungsweise ge¬
blieben. In der Familie, welche mehrere Pastoren zu ihren Ahnen zählte, waltete
ein frommer Geist; von Gott in allen Lebenslagen dnrch Gebet Trost und Hilfe
zu erflehen, war jedem zum Bedürfnis geworden. Leopold gehörte zu den seltnen
Knaben, bei denen es früh zu einer bestimmten Erkenntnis des Rechten und
Guten und zu dein unerschütterlichen Vorsatze kommt, davon nicht abzuweichen. Der
streng rechtliche Sinn, welcher all sein Thun und Handeln beseelte, ist denn
anch im spätern Leben stets in ihm wirksam gewesen. Er hat ihn auch davor
bewahrt, in die Irrungen, von welchen so viele Gemüter nach den Freiheits¬
kriegen ergriffen wurden, zu verfallen. Der deutschen Jugend, welche an dem
Kampfe gegen den welschen Fremdherrscher teilgenommen hatte, schritten die
Ereignisse zu langsam vorwärts, sie schloß sich in der Burschenschaft zusammen
und wollte durch diese für ihre Ideen Propaganda machen. Da kam die verhängnis¬
volle That Sands. Der Burschenbund wurde der Teilnahme an dem Morde
geziehen. „Es war eine unbeschreibliche Aufregung, die lange Zeit kein andres
Gespräch als über die geheimnisvolle That und ihre möglichen Beweggründe
aufkommen ließ. Es konnte nicht fehlen, daß unter jungen Leuten, die sich
täglich mit den Schriftstellern des Altertums beschäftigten, die Sache auch in
das Allgemeine gezogen und bis zu der Frage fortgeführt wurde, ob eine That
wie die des Brutus oder der Charlotte Corday an sich unbedingt zu verdamme»
sei." Ranke befand sich gerade damals in Frankfurt a. O. Dorthin hatte er
an das Gymnasium einen Ruf als Oberlehrer erhalten. Daß er ein Schüler
Gottfried Hermanns war, hatte veranlaßt, daß er mehrere ältere Männer so¬
gleich überging. Nach Frankfurt hatte er dann auch seinen Bruder Friedrich
Heinrich gezogen. Dieser schwärmte für Turnvater Jahr und die burschenschaftlichen


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[0575] Leopold von Ranke. als daß er mit dem neuen Heere, das er mit so unbegreiflicher Schnelligkeit um sich versammelt hatte, als der größte Feldherr seiner Zeit, für den wir ihn hielten, den Sieg über die entgegenstehenden Heere, deren Geist wir nicht kannten, leicht gewinnen werde. Was eine abermalige Niederlage der Preußen für sie selbst und für ganz Deutschland bedeutet hätte, davon mögen einige wenige von uns etwas geahnt haben." Zwar war es damals nicht Brauch, auf den Schulen vaterländische Ge¬ sinnung zu pflegen, und gerade Pforta, welches Leopold besuchte, trachtete mehr nach dem Ruhme, eine Bildungsstätte tüchtiger Gelehrten als national gesinnter Männer zu sein. Aber die Wucht der Ereignisse mußte doch auf jedes denkende Gemüt einwirken. Preußens wunderbarer Aufschwung konnte doch nur als die Großthat eines heroischen Geistes erscheinen, der von tiefdurchdrungenem Vater¬ landsgefühl getragen war. Der junge Ranke freilich war so sehr in seine Studien vertieft, daß er mitten in jenen Kriegswirren den Entschluß faßte, die Universität Leipzig zu beziehen. Die Erziehung, welche Leopold in dem väterlichen Hause genossen hatte, war nicht ohne Einwirkung auf seine Gesinuungs- und Anschauungsweise ge¬ blieben. In der Familie, welche mehrere Pastoren zu ihren Ahnen zählte, waltete ein frommer Geist; von Gott in allen Lebenslagen dnrch Gebet Trost und Hilfe zu erflehen, war jedem zum Bedürfnis geworden. Leopold gehörte zu den seltnen Knaben, bei denen es früh zu einer bestimmten Erkenntnis des Rechten und Guten und zu dein unerschütterlichen Vorsatze kommt, davon nicht abzuweichen. Der streng rechtliche Sinn, welcher all sein Thun und Handeln beseelte, ist denn anch im spätern Leben stets in ihm wirksam gewesen. Er hat ihn auch davor bewahrt, in die Irrungen, von welchen so viele Gemüter nach den Freiheits¬ kriegen ergriffen wurden, zu verfallen. Der deutschen Jugend, welche an dem Kampfe gegen den welschen Fremdherrscher teilgenommen hatte, schritten die Ereignisse zu langsam vorwärts, sie schloß sich in der Burschenschaft zusammen und wollte durch diese für ihre Ideen Propaganda machen. Da kam die verhängnis¬ volle That Sands. Der Burschenbund wurde der Teilnahme an dem Morde geziehen. „Es war eine unbeschreibliche Aufregung, die lange Zeit kein andres Gespräch als über die geheimnisvolle That und ihre möglichen Beweggründe aufkommen ließ. Es konnte nicht fehlen, daß unter jungen Leuten, die sich täglich mit den Schriftstellern des Altertums beschäftigten, die Sache auch in das Allgemeine gezogen und bis zu der Frage fortgeführt wurde, ob eine That wie die des Brutus oder der Charlotte Corday an sich unbedingt zu verdamme» sei." Ranke befand sich gerade damals in Frankfurt a. O. Dorthin hatte er an das Gymnasium einen Ruf als Oberlehrer erhalten. Daß er ein Schüler Gottfried Hermanns war, hatte veranlaßt, daß er mehrere ältere Männer so¬ gleich überging. Nach Frankfurt hatte er dann auch seinen Bruder Friedrich Heinrich gezogen. Dieser schwärmte für Turnvater Jahr und die burschenschaftlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/575>, abgerufen am 15.01.2025.